Blagaj

Endlich hab ich es geschafft. Kurz nach sieben wachte ich auf und zwang mich wenige Minuten später auch aufzustehen. Zwar verlor ich durch den immensen Abwasch, der sich angesammelt hatte, etwas Zeit, letztlich konnte ich dennoch gegen halb neun aufbrechen. Durch diesen guten Start wurde es eine angenehme Fahrt, die bei gemäßigten Temperaturen gut verdaulich war. Irgendwie hatte ich das Gefühl, dass es immerzu bergab ging, aber vielleicht täuschte das auch. Immer wieder veränderte sich die Landschaft, die sehr bergig ist, dadurch wurdfe es nie eintönig.

Je weiter die Zeit voranschritt, desto praller schien die Sonne. War ich vor zwei Wochen noch tagelang in den Camper eingesperrt gewesen, weil es so gegossen hatte, änderte sich die Situation jetzt endgültig. Mostar liegt noch südlicher als Split, somit ist es kein Wunder, wenn das Klima etwas sommerlicher ist als in Ljubljana oder Zagreb.
Heute jedoch fuhr ich erst nach Blagaj, in dem sich einige Campingplätze befinden. Warum niemand auf die Idee kommt, einen in Mostar selbst zu betreiben, weiß ich nicht, aber irgendjemand wird sich dem sicher bald steigenden Bedarf anpassen. Ich wählte gleich den ersten Platz, die denkbar schlechteste Entscheidung, denn auf dem Gelände sind zwar Bäume, die aber erst dieses Jahr gepflanzt wurden. Die also nicht höher als 1,5 Meter sind. 37 Grad im Schatten, von dem keiner vorhanden ist, das macht Freude. Und ich muss heute Nacht in einer Blechbüchse schlafen. Vielleicht gewöhne ich mich daran. Da die Sonne jetzt wirklich so sehr brannte, dass ich mich auf dem Platz nicht länger aufhalten wollte, lief ich in den Ort Blagaj. Die anderen Campingplätze, die sich in lauschigem Schatten am Fluss befinden, beachtete ich nicht. Das hätte an Masochismus gegrenzt.
Ich kam an einer ausgebombten Kirche vorbei, einer Ruine, in die ich auch Zutritt hatte, denn irgendwer hatte das Schloss aufgebrochen. Der Ort, der eigentlich von Gewalt zeugte, war friedlich, die Vegetation erkämpft sich langsam verlorenes Territorium zurück. Zwischen den Steinen saßen Echsen und harrten der Hitze, die langsam immer intensiver wurde.

Ich merkte, dass sich die Vegetation hier völlig verändert hatte. Die Berge waren nicht mehr bewaldet, sondern kahl und felsig, beinahe wie die meisten Kykladen-Inseln, die nur so aussehen, weil vor Jahrtausenden der Attische Bund beschlossen hatte, ein Flottenprogramm ins Leben zu rufen, das die Wälder in Griechenland zum großen Teil vernichtete. Durch Erosion verschwand auch rasch der fruchtbare Boden, so dass nichts mehr eine Chance hatte zu wachsen. Vielleicht ist es hier ähnlich gewesen, das Mittelmeer ist nicht mehr weit.
Kurze Zeit später hatte ich den Ort im Grunde einmal durchquert, noch war es auszuhalten. Die Uhr zeigte gerade halb eins. Was mich jetzt ritt, weiß der Teufel. Ich sah ein Schild, auf dem der Weg zur Burg beschrieben war, die hoch über der Stadt thronte, also machte ich mich auf den Weg. Langsam wurde die Hitze immer größer, doch ich sah nicht ein, warum ich umkehren sollte. Ein breiter Weg aus Geröll wand sich vor mir, doch auch, als ich ungefähr einen Kilometer gelaufen und die Burg von unten schon umrundet hatte, sah ich keinen Pfad nach oben. Ich kehrte um und suchte wieder, traf dabei auf ein paar Australier, die ebenfalls suchten. Ich fand aber nichts, die Australier hielten sich zwischenzeitlich an den Brombeeren schadlos, sicher eine gute Betätigung, da sie im Schatten stattfand. Meine nicht. Ich war mittlerweile wieder weiter gelaufen, sah eine verrostete Kiepe samt Drahtseil, die auf den steilen Burghügel führte. Und wieder so eine rätselhafte Entscheidung, denn ich beschloss, hier einfach den Berg hochzuklettern, immer am Drahtseil lang. Es war ein unglaublicher Aufstieg. Alle 15 Meter musste ich verschnaufen, denn es war so anstrengend wie kaum etwas, das ich in letzter Zeit getan hatte und das will einiges heißen. Innerhalb weniger Minuten brannten die Muskeln in meinen Schenkeln, also nahm ich das Drahtseil. verrostet wie es war und zog mich daran empor. Wieder so eine merkwürdige Idee. Ich hatte diesen Weg von Anfang an unterschätzt. Er war ausgesprochen rutschig, denn das Geröll im Tal kam von hier. Es ging vielleicht 300 Meter nach oben, oft konnte ich, wenn ich stand, vor mir den Hang berühren, wenn ich die Arme ausstreckte, so steil war es. Manchmal habe ich kaum ein Gespür für Gefahren, denn niemand würde so einen Unfug anfangen, schon gar nicht allein. Als ich mich umdrehte, merkte ich, dass mir die Australier von unten zusahen. Ich merkte aber auch, dass ein Abstieg jetzt, nachdem ich zwei Drittel geschafft hatte, gefährlicher wäre als die letzten Meter aufzusteigen, zumal der Berg etwas abflachte. Diesen Eindruck hatte ich zumindest. Es kann aber auch sein, dass das Dinge sind, die ich mir einrede, damit mich meine innere Stimme nicht in Panik versetzt. Das klappt ganz gut, denn zu keiner Sekunde hatte ich Angst, auch wenn es mir jetzt, da ich mir die Geschichte beim Schreiben überlege, einigermaßen dämlich vorkommt. Die letzten Meter waren die Hölle, denn mittlerweile hatte das Thermometer die Tageshöchsttemperatur erreicht. Klettern bei der Hitze ist nicht unbedingt eine Tätigkeit, die ich empfehlen kann. Oben angelangt, sah ich mir die Bescherung an. Meine frisch gewaschenen Hosen waren vom Rost des Seils völlig verdreckt, vielleicht jenseits einer Rettung. Schlimmer noch, meine Hände waren an einigen Stellen aufgeschnitten, zumindest ein bisschen. Ich beschloss, diese Nichtigkeiten erst einmal zu ignorieren.

Die Burgruine war natürlich einmalig nach so einem Aufstieg. Ich glaube nicht, dass sie für die Öffentlichkeit zugänglich ist, ein Schild, das mich diesbezüglich bestätigte, sah ich aber erst beim Abstieg. Ich ging natürlich hinein, sah, dass die Restaurationsarbeiten fortgeschritten, jedoch nicht beendet waren. Nichts war gesichert, so dass ich auf eigene Gefahr bis zum Rand einer eingestürzten Mauer gehen konnte. Hier ging es steil bergab, doch die Aussicht auf das Tal darunter war alle Mühe wert. Dass es wirklich kein ganz ungefährliches Unternehmen war, auch hier oben nicht, sah ich daran, dass einige Löcher tief in den Boden hinein reichten. Alles war ungesichert, unten vermutete ich Wasser. Sollte jemand hineinfallen, wäre er in ernsthaften Schwierigkeiten. Ich bewegte mich sehr vorsichtig, ging auch nicht zu nah an diese Löcher heran. Wer weiß. Diese Ruine hatte ich mir jedenfalls verdient.
Auf dem Rückweg sah ich den Pfad, der mich sicher nach unten bringen und den ich vorhin lieber hätte nehmen sollen. Am Ende war es egal, Menschen haben immer schon Anstrengungen in Kauf genommen, um zu erfahren, wie es am Ende leichter geht. Ich traf beim Abstieg die Australier, die in der Richtung pfiffiger gewesen waren als ich. Sie waren eigentlich auf der Suche nach der alten Stadt, ein antiker Ort, der schon vor langer Zeit aufgegeben wurde und der jetzt eine Art Geisterstadt sein muss. Umso enttäuschter war die einzige Frau in dieser Gruppe, als ich ihr sagte, dass es dort oben nur die Burgruine gäbe, von einer Stadt keine Spur. Am Ende hatten sie natürlich mein Interesse geweckt, denn als ich unten auf dem Hauptpfad anlangte, ging ich ihn weiter, nicht in Richtung Blagaj, sondern entgegengesetzt. Das war zu viel. Die Hitze machte mir jetzt mehr als zu schaffen, mein Wasser war alle und ich musste an Achmed denken, meinen marokkanischen Freund bei Erg Chebbi, der mich vor Monaten vor der Wüste gewarnt hatte. Dieses Zeichen nahm ich ernst und drehte um. Die alte Stadt muss warten, bis ich ein anderes Mal wiederkomme. Hier war es jetzt einfach zu heiß. Als ich Blagaj erreichte und mich in die erste Bar setzte, merkte ich, dass ich mich völlig übernommen hatte. Mein Versuch, dort an meiner Geschichte zu schreiben, scheiterte kläglich, ich konnte kaum einen klaren Gedanken fassen, leerte ein kaltes Getränk nach dem anderen. Es war ein teurer Preis für die Ruine, aber ich musste anscheinend diese Grenze erreichen. Völlig ausgedorrt dauerte es Stunden, bis ich mich wieder etwas normaler fühle. Es ist beinahe 20 Uhr und so langsam geht es wieder.
Vor Monaten habe ich mal geschrieben, dass ich mich im Süden an einen anderen Rhythmus gewöhnen wollte. Früh aufstehen, Mittags ruhen, Nachmittags wieder aktiv werden. Das habe ich heute ignoriert.
Morgen steht Mostar auf dem Programm, danach werde ich Bosnien wieder verlassen, um meine Reise in Kroatien fortzusetzen.