Besuch von Martel
Wieder Zeit für eine Abfahrt.
Ich drehe noch eine kleine Schleife, bevor es unweigerlich wieder in Richtung Bordeaux geht.
Schon als ich in Souillac war, hatte ich mit dem Gedanken gespielt, nach Martel zu fahren. Letztlich war es für einen Tagesausflug aber zu weit. Meine Fitness ließ so etwas sicher nicht zu, zumindest habe ich es mir nicht zugetraut.
Nun aber entschied ich, dass es es besuchen wollte. Irgendwie lag Martel oder eines der kleinen Dörfer auch nah genug auf meinem Weg. Zusätzlich hatte ich wenig Interesse daran, die mörderische Strecke nach Lacave zurückzufahren, obwohl sie, weitgehend abschüssig, in dieser Richtung sicher nicht so mörderisch gewesen wäre. Also Martel, besser gesagt Gluges, wo sich der Campingplatz befand. Ich musste nur auf die D840, eine ziemlich stark befahrene Nationalstraße. Meinen Berechnungen zufolge sollten es ca. 15 KM Fahrstrecke werden, nun wirklich keine Herausforderung. Am Tag zuvor war ich die selbe Strecke einfach zur Gouffre de Padirac gefahren.
Es stellte sich als wirklich leichte Etappe heraus. Kaum Steigungen, kaum Abfahrten, zumindest am Anfang. Ich erreichte das 10 Km entfernte Montvalent, wieder so ein entzückendes Dorf abseits der Touristenroute, samt Kirche und kleiner Festung, urig und verlassen, am Berg klebend und das darunter liegende Tal dominierend. So wie übrigens einige andere Orte auch, die ich von hier aus sehen konnte. Das Dordogne-Tal ist wirklich einmalig. Gerade hier, wo die meisten nicht mehr hinkommen, ist es ziemlich unberührt.
Nach Montvalent folgte die Abfahrt. Auch das ist beängstigend, weil es so steil ist. Dank meines Ohrschadens vor einigen Jahren bin ich nicht mehr ganz so sicher auf dem Rad, weil der Verlust eines Gleichgewichtsorgans eben nicht so rasch wegzustecken ist, auch wenn ich mich damit seit ein paar Jahren recht gut arrangiert habe. Wieder so eine Fehlfunktion des Körpers.
In Gluges angekommen, stellte ich fest, dass der Campingplatz erst Ende Juni aufmacht. Das ist der Nachteil, wenn man abseits der üblichen Route absteigen will. Zum Glück gab es im drei Kilometer entfernten Creysse noch einen Platz. Dank einer Steigung durfte ich auch ein bisschen schieben. Am Ende aber blieb es eine einfache Tour.
Ich war mir nicht ganz sicher, ob ich wirklich zwei Nächte bleiben wollte, entschied dann aber recht schnell, dass es zwei Tage sein mussten. Das hat Vorteile. Ich trinke eine halbe Flasche Wein am Tag, somit entspricht ein Aufenthalt von zwei Nächten der Einheit einer Flasche Wein. Bleibe ich drei Tage, muss ich entweder sparen, verschwenden oder eine kleine Flasche billigen Fusels kaufen. Zwei Nächte oder ein Vielfaches davon sind also ideal.
Da es in Creysse, ebenfalls so ein lieblicher winziger Ort, der eine uralte Kirche und einen klobigen Wehrturm zu bieten hat, nebst einer malerischen Gasse aus alten Häusern, keinen Supermarkt gibt, entschied ich mich dazu, gleich nach Martel weiterzufahren. Warum auch nicht? Es war früh, gerade einmal Mittag. Die Sieben Kilometer bis nach Martel hatten es nun aber in sich. So kam ich doch noch auf eine ansprechende Tour, weil Martel natürlich hoch oben in den Bergen liegt.
Aber es lohnte sich. Martel ist ein ein Ort mit durch und durch mittelalterlichem Flair. Seine Gassen sind historisch einmalig, die alten Häuser können bestimmt viele Geschichten erzählen. Auf dem Marktplatz sah ich einen überdachten Markt, keine Überraschung hier, und eine Reihe von Bars und Restaurants. Der Platz ist wundervoll, ich liebe so weite Plätze, weil eine Stadt sich so etwas erst einmal leisten können muss.
Ich schlenderte also durch die engen Straßen, fand die Kirche, die nicht so recht hinein passt. Kein Wunder, sie ist erst zweihundert Jahre alt, weil die ältere zerstört wurde. Der Witz an der Sache ist, dass ich gerade „Unterwerfung“ lese, ein interessantes, wenn auch hochgradig deprimierendes Buch. Der Protagonist jedenfalls hält sich für eine Zeit in Martel auf. Diesen Abschnitt las ich am Abend und war ziemlich überrascht. So erfuhr ich aus dem Roman, dass Martel von Karl Martell „gegründet“ wurde, also eigentlich nicht, aber er hat hier die Araber aufgehalten, die sich dann im Frühmittelalter mit dem größten Teil von Spanien begnügt haben. Karl hat eine Kirche bauen lassen, um die herum dann Martel entstanden ist. Wieder etwas gelernt. Dabei fiel mir auf, dass ich überhaupt nichts mehr lese. Die Orte, die ich besuche, nehme ich nur noch visuell, nicht mehr intellektuell wahr. Dabei wäre es von großem Interesse, hat sich doch hier in der Gegend ein großer Teil des hundertjährigen Krieges zwischen den Engländern und Franzosen abgespielt. Gerade englische Geschichte kenne ich ein wenig. Kein Wunder. Ich muss mehr darüber lesen, nehme ich mir vor.
Mit meinem Besuch in Martel war ich hochgradig zufrieden. Ich ging noch ausgiebig einkaufen, bevor ich in rasender Geschwindigkeit den Berg wieder hinunterfuhr. 5 Kilometer hinauf waren beschwerlicher. Das gilt es mal wieder festzuhalten.
Am Abend erst begann es zu regnen. Ich kann damit leben.In jedem Fall ist diese Reise reicher als die von vor zwei Jahren. Ich lasse mich nicht mehr so leicht ins Bockshorn jagen, wenn es mal etwas tröpfelt.