Marrakesch

Gestern war ich nach meiner Schreibsession noch am Hafen, wo es ausgesprochen geschäftig zuging. Aus irgendeinem Grund wunderte es mich, dass dieser Ort noch eine andere, mindestens ebenso erfolgreiche Industrie hat. Hier habe ich tolle Fotos gemacht, Fischer, die ihren Fang ausnehmen, im Hintergrund die Stadt, über ihnen eine Hundertschaft Möwen. Fotos haben die Eigenschaft, dass sie keine Gerüche tragen können, was in diesem Fall ein absoluter Vorteil war, denn es stank gewaltig. Ich weiß nicht, wonach genau, ob es die Aborte im Hintergrund waren, die Innereien der Fische oder die sich darauf stürzenden Möwen. Wahrscheinlich ein Gemisch aus allem. Ich hielt es nicht lange dort aus, aber die Fotos sind sicherlich grandios.
Auf dem Rückweg zum Campingplatz wurde ich noch das eine oder andere Mal gefragt, ob ich nicht endlich Haschisch kaufen wolle. Langsam ging es mir auf die Nerven. Ich hoffe, dass es nicht den Eindruck dieser schönen Stadt prägen wird. Ich empfand meine innere Abwehr auf die vielen Anfragen fast noch schlimmer als in Tanger, das dafür berüchtigt ist.
So also machte ich mich mit meinem Pack Gewürzen auf Richtung Camper, wo ich meine Tajine vorbereitete. Wie beschrieben addierte ich die Gewürze. Das Ergebnis war besser als beim ersten Mal, doch weit entfernt davon, meinen Ansprüchen zu genügen. Besonders ein Gewürz – ich habe es noch nicht identifiziert – machte den Geschmack eher bitter. Ich werde sicher noch etwas weiter suchen müssen, um an ein wohlschmeckendes Gericht aus einer Tajine zu kommen. Doch machte es gewaltigen Spaß, hier zu experimentieren und dieses Land auch geschmacklich zu erkunden. Leider trank ich an diesem Abend ein wenig zu viel Wein, eigentlich nicht mehr als zwei Gläser, doch da ich mich in letzter Zeit sehr zurückgehalten hatte, war ich mehr als nur angetrunken. An den Abwasch war nicht mehr zu denken, ich torkelte förmlich und war froh, noch das Zähneputzen zu schaffen.
Am nächsten Morgen bereute ich diese kleine Trinkeinlage, denn mein Kopf drohte zu zerspringen. Mühsam sammelte ich alles zusammen, nach dem Einwurf einer Paracetamol ging es etwas besser. Der Besitzer des Campingplatzes war etwas enttäuscht, dass ich schon weiter fuhr. War er doch am Tag zuvor so stolz gewesen, einen Schriftsteller beherbergen zu dürfen. Wenn er gewusst hätte, dass ich auch noch ein absolut erfolgloser bin, hätte er mich sicher mit Freuden gehen lassen. So aber genoss ich meinen kleinen Ruhm.
Die Fahrt nach Marrakesch begann sehr gut, 20 Kilometer auf einer zweispurigen Straße und ich hegte die Hoffnung, sehr zeitig anzukommen. Wie heißt es so schön? Man soll den Tag nicht vor dem Abend loben. Denn irgendwann begannen die Baustellen. In ein bis zwei Jahren wird hier eine schöne Straße entstanden sein, die Essaouira mit Marrakesch verbindet. Doch im Moment ist es eine Herausforderung für Vehikel und Fahrer. Manchmal musste ich kilometerlang auf Schotterpisten aushalten, das Auto wurde durchgerüttelt, alles an Bord, inklusive mir ebenfalls. Zuguterletzt, 40 Kilometer und zwei Stunden später, hörten die Baustellen auf und es ging zumindest einspurig weiter. Der Rest der Fahrt war dann einfach. Dank Garmin fand ich den Campingplatz ohne Schwierigkeiten, was wirklich ein kleines Wunder darstellte, denn er ist sehr schlecht ausgeschildert. Was ich ohne Garmin machen würde…. aber lassen wir das. Es ist ein Gerät. Oder doch nicht?

Während der Fahrt ging mir nochmals der gestrige Tag durch den Kopf. Dabei stellte ich erheitert fest, dass das Leben einem manchmal sofort die Lektionen schickt, die zu lernen wir genötigt sind. Ich hatte mir gestern, auf der Fahrt nach Essaouira, so viele Gedanken über meine Finanzen gemacht. Ich hatte gerechnet und gerechnet ohne dabei wirklich weiter zu kommen. Doch die Sorgen hatten nicht aufgehört. Und was machte ich dann später? Eine Laune meiner Seele antwortete dem Händler, ein Wink, den ich erst viel später, nämlich heute, verstand. Es war keine Aktion, die ich durchdacht hatte, spontan und scheinbar unnötig. Doch war es alles andere als das. Das Schicksal zwang mich also, an einem Tag, an dem ich mir über Geld Gedanken machte, besonders viel auszugeben. Ich hatte danach sofort mein deutsches Konto kontrolliert. Es bestand kein Problem, die Finanzen der Reise stehen auf sehr festen Füßen. Mein Schicksal hat mir also eine Lehre erteilt, als ich diese nötig hatte. Als die Angst mich zu umschlingen drohte, habe ich mich selbst gezwungen, sie durch Aktion und Verstand zu bekämpfen. Es macht mir immer Freude, eine solche Erfahrung zu machen, denn nichts ist befriedigender, einen Sieg gegen eine Angst zu erringen. Ich weiß nicht, ob ich sie wirklich bezwungen habe, sicher noch nicht, aber ich habe ihr bereits in die Augen gesehen. Und ihr somit etwas von ihrem Schrecken genommen.

Es war mit Sicherheit der heißeste Tag bisher, die Thermometer in der Stadt zeigten für mich atemberaubende 33 Grad, ich war in meinem Element. Der Campingplatz ist sicher der schönste, den ich bislang gesehen habe. Überall Blumen, ein Swimmingpool mit Palmen, WiFi, nur der Baumbestand ist noch etwas jung, was wenig Schatten bedeutet. Es ist ein wirklich heiterer Ort zum Verweilen und ich sitze jetzt hier, bei einem Glas Pastis am Swimmingpool und lasse den Tag ausklingen. Aber ich greife vor.
Die Fahrt hatte länger gedauert, als ich gedacht hatte, trotzdem war ich noch nicht befriedigt von meiner „Tagesleistung“. Also schnallte ich mein Fahrrad ab und bemerkte dann, dass die hintere Bremse fest saß. Eine winzige Feder war abgesprungen, was die Schwerläufigkeit des Rades erklärte. In Sekunden war der Fehler behoben und ich konnte losfahren. Ich hatte das Bedürfnis, auf dem Platz Djemaa El-Fna einen Minztee zu trinken. Die 12 Kilometer bis dorthin radelte ich mit Leichtigkeit. Was eine funktionierende Bremse alles ermöglicht…
Der Verkehr hielt sich in Grenzen, einige vorbei fahrende Lastwagen bliesen mir ihren schwarzen Ruß ins Gesicht, wieder musste ich an die Umweltzone in Berlin denken, die ich immer mehr zu schätzen lerne. Doch es ging, ich kam gut voran, auch weil die Marokkaner, so chaotisch sie auch fahren, durchaus auf die schwächeren Verkehrsteilnehmer achten. Da können wir Deutschen eine Menge lernen.
Ich fand den Platz Djemaa El-Fna nicht sofort, doch als ich erst einmal auf ihm stand, war ich wirklich beeindruckt. Ich wusste nicht sofort, warum, aber es ist, ein riesiger Platz, voller Menschen aller Nationen, umgeben von einigen typisch marokkanischen Gebäuden, aber eben etwas, was man in einer Medina, die eher durch Enge geprägt ist, nicht gewohnt ist. Ich fand ein kleines Café, bestellte einen Tee und betrachtete das Treiben. Dann fiel es mir ein, der Grund, warum mich dieser Ort so anzog. Seine Magie hatte nicht aufgehört zu wirken. Hier laufen die Fäden zusammen. Hier trifft sich Afrika und Europa, alt und jung, Moderne und Tradition. Hier ist Marokko, aber hier ist auch mehr, etwas Unbeschreibliches, Magisches. Es herrscht eine heitere Atmosphäre, die nicht nur von den jetzigen Menschen stammt, sondern von vielen, die bereits hier waren und Spuren hinterlassen haben. Woher ich das weiß? Keine Ahnung, aber ich weiß es. Die Worte fielen mir noch im Café ein und ich habe sie – anders als sonst – behalten.
Ich blieb lange sitzen und genoss die Stimmung. Ich bin mir sicher, neben vielen Höhepunkten, die ich bereits in diesem Land erleben durfte, wird mir diese in besonderer Erinnerung bleiben.
Mehr tat ich nicht in Marrakesch an diesem Tag, doch ich empfand tiefe Befriedigung. Auch die Heimfahrt war leicht, ich erfreute mich danach an einer heißen Dusche in sauberen sanitären Einrichtungen, etwas, dass ich schon eine Weile nicht mehr erlebt habe. Ich freue mich auf die nächsten Tage in Marrakesch, denn hier fühle ich mich wohl und werde dieser Stadt mehr als nur einen Tag widmen.