Enna/Catania

Ich habe mir den Wecker gestellt. Um noch etwas vom Tag zu haben, ihn also nicht vollständig im Auto zu verbringen, wollte ich wenigstens früh los. Um sieben summte also das Handy, ein wirklich ungewohntes Geräusch. Ich glaube, seit fast zwei Jahren habe ich das nicht mehr hören müssen oder wenn, dann selten. Was das für ein Luxus ist. Wundervoll.

Ich schaffte es letztlich gegen halb acht aus dem Bett. Nicht schlecht, aber auch nicht fantastisch, da ich noch eine Menge zu erledigen hatte. Die Wäsche musste ich zusammenlegen, abwaschen und selbstverständlich ausgiebig frühstücken. Auch sah es im Camper wieder aus wie bei mir unterm Sofa. Keine Ahnung, warum das immer so schnell unordentlich wird. Erst zwei Tage zuvor hatte ich intensiv aufgeräumt. Ich mache etwas falsch. Am Ende kam ich dann erst nach neun los, viel zu spät, hatte ich doch mit acht gerechnet. Aber letztlich wollte ich mir den Stress nicht antun, es hat auch so alles sehr gut funktioniert. Schon auf dem Weg zur Autobahn kam ich an drei Polizeikontrollen vorbei. Die Carabinieri schauten immer sehr misstrauisch auf die Transe, waren aber immer zum Glück bereits mit anderen Unglücklichen beschäftigt. Ich fuhr die gleiche Strecke wie am Tag zuvor mit dem Fahrrad. Es ist schon deprimierend, wie schnell das geht, innerhalb von Minuten war ich dort, wo ich gestern mit so viel Mühe hingeradelt war. Meine Beine schmerzen noch heute, ist aber kein Wunder. Es hat trotzdem gut getan. Dann verließ ich die Küste.

Die Autobahn führte ins Landesinnere. Es ist eine beeindruckende Landschaft in Sizilien. Überall ist es bergig, einsame Landhöfe stehen verwittert am Rande von Feldern, auf einigen Höhen schauen Orte auf die Besucher hinunter. Einen dieser Orte wollte ich besuchen, bevor ich wieder nach Catania fuhr. Enna liegt direkt auf dem Weg. Schon von Weitem ist die Stadt zu sehen, hoch oben auf einem Berg, schwer erreichbar scheinbar. Die Serpentinen nach der Autobahn waren allerdings nicht so schwierig zu nehmen. Garmin spielte mir einen kleinen Streich, führte mich geradewegs ins Zentrum der Stadt, die historischen Gassen sind nicht gerade für Fahrzeuge dieser Größe gemacht, auch wenn die Italiener das durchaus anders sehen. Ich hatte einige Mühe, wieder aus der Stadt herauszukommen, parkte letztlich an einem riesigen Friedhof, nicht weit vom Zentrum entfernt, so dachte ich zumindest.
Ich muss sagen, dass Enna aus der Ferne wesentlich eindrucksvoller aussah als jetzt aus der Nähe. Zwar sind die Gassen und Straßen eng, doch fehlt ihnen der mittelalterliche oder antike Charakter. Sicher, es gibt eine Menge alter Gebäude, doch immer wieder sah ich Beton und moderne Fassaden. Wie mir ein Einheimischer erzählte, war die Stadt im Zweiten Weltkrieg von den Deutschen besetzt, die Amerikaner haben sie natürlich aus der Luft angegriffen. Das führte damals wie heute zu einigem Chaos. Wie groß die Zerstörung gewesen sein muss, kann man recht gut erkennen. Überall dort, wo ein modernes Haus steht, wurde ein Gebäude Opfer des Krieges. Ob auch Menschen weiß man nicht, die hinterlassen weniger Spuren.

Ich versuchte mich zu orientieren, was mir recht schwerfiel. Natürlich hatte ich den Rough Guide im Auto vergessen, was mir im Moment nichts ausmacht. Auf diese Weise kann ich die Stadt so sehen, wie sie ist, vielleicht auch Tipps von Einheimischen einholen. In der Ferne sah ich die Mauern einer Burg, also beschloss ich dorthin zu wandern. Es ging stetig bergauf, natürlich merkte ich die Anstrengung nach wenigen Metern. Mich hat der gestrige Ausflug doch etwas mitgenommen. An der Festung angelangt machte ich mich erst einmal bei einer Touristeninformation kundig, erhielt eine Karte und einige Tipps. Ich komme noch darauf zu sprechen. Die Burg selbst ist nicht mehr als eine gut erhaltene Schale. Mehrere Höfe erstrecken sich in beachtlicher Größe, aber ansonsten konnte ich mir nicht viel vorstellen. Ein Einheimischer mit amtlich aussehender Plakette führt die Touristen umher. Leider stellte sich heraus, dass er wohl alles andere als amtlich ist. In sehr schlechtem Deutsch hetzte er mich drei Minuten lang durch die Höfe, dann musste er plötzlich gehen. Natürlich war diese Führung nicht wie angekündigt gratis, er wollte einige Münzen. Zum Glück hatte ich kaum welche, aber ich kann nicht sagen, dass ich besonders von seiner Leistung überzeugt war, also hatte ich kein schlechtes Gewissen, ihm nur ca. einen Euro gegeben zu haben. Wenigstens zeigte er mir einen Turm, den ich erklimmen konnte. Zwar kam ich völlig ausgelaugt oben an, aber die Aussicht war einfach wundervoll. Nicht nur Enna sah wieder malerisch aus, auch die Gegend drum herum. In einiger Entfernung liegt eine weitere Stadt, auch auf einem Hügel. Sicher lohnt sich ein Besuch nicht, aber von hier aus sah es einfach blendend aus. Wenigstens hatte mir der Führer erzählt, dass man auf dem Turm in ca. 1100 Metern Höhe steht. Wieder einmal hatte ich natürlich die falsche Jacke gewählt. Es ist ein Kreuz. Aber an das Frieren habe ich mich fast gewöhnt.

Ich lief danach in Richtung Dom den Hügel hinunter. Die Dame von der Touristeninformation hatte mir erzählt, dass es vor dem Dom eine kleine Kirche gibt, in der nun eine Bar ist. Tatsächlich, beim zweiten Mal sah ich sie dann auch. Ich muss auch ein wenig blind sein. Hier trank ich natürlich einen Café Macchiato, in dieser alten barocken Kirche. Sie weist durch fehlende Restaurierung mehr Charme auf ihre verspielten Schwestern in perfektem Zustand. Das Unglaubliche aber ist die Gruft. Hier sind früher die Toten getrocknet worden. Man sieht eine Reihe von Sitzen mit Löchern, durch die sicher die Leichenflüssigkeit fließen sollten. Ich hätte einmal fragen sollen, empfand es dann aber als zu pietätlos. Trotzdem, das sind die „geheimen“ Hinweise, die ich liebe.
Den Dom selbst sah ich nur von außen. Er ist ebenfalls nicht restauriert, somit sieht man ihm das Alter an. Mir fielen noch einige Gebäude auf, von denen ich natürlich nicht wusste, was sie waren. Nur dass sie historischer Natur sind, das war klar. Dank der Karte fand ich die zweite große Attraktion des Ortes, einen normannischen Turm, den Torre di Federico, von wo aus ein geheimer Gang zur Festung führt. Den kann man leider nicht sehen, aber ich kletterte auch hier ganz nach oben. Als hätte ich nicht schon genug Bewegung gehabt. Auch von hier hatte ich wieder herrliche Aussichten. Beinahe habe ich es vergessen zu erwähnen, aber ich sah einen alten Bekannten. Der Ätna dominiert auch hier schon die Landschaft, seine schneebedeckten Hänge und die Rauchschwaden aus dem Krater hoben sich gegen die Stadt ab. Was für ein Wahrzeichen er ist.

Dann hatte ich genug, erschöpft, aber glücklich machte ich mich auf zum Auto, fuhr die Strecke bis nach Catania durch. Alles hat gut funktioniert, morgen Nachmittag kommt Nina an, vorher ruhe ich mich ein wenig aus, mache natürlich noch ein wenig sauber. Was eben in zwei Tagen anfällt. Es wird sicher genauso schön wie in der Türkei. Das Wetter jedenfalls spielt mit.
Hoffentlich bleibt es so.