Les Baux
Die Nacht war warm und im Camper beinahe stickig. Draußen herrschten angenehme 17 Grad, ein leises Lüftchen erfrischte uns, als wir endlich um zwei Uhr darauf kamen, die Türen des Autos zu öffnen. Am Morgen brachte der Bäcker frische Croissants und Baguettes direkt zum Platz, ein sehr charmanter und fleißiger Mann, der jeden einzeln begrüßte und die elementaren Bestandteile eines individuellen Frühstücks diskutierte, dabei fast jeden Wunsch erfüllte.
Wir waren recht früh auf den Beinen, denn der Tag drohte sehr heiß zu werden. Unser Plan bestand darin, möglichst zeitig in Les Baux anzukommen, um diese auf einem Plateau liegende Ruine, die fast schattenlos der Sonne ausgesetzt ist, möglichst nicht in der Mittagshitze besichtigen zu müssen. Die Fahrt dorthin war kurz, wir kamen durch ein recht uriges Dorf , das wir uns für später merkten. Schon lange bevor wir Les Baux erreichten, sahen wir auf den steinigen Hügeln die Festung, die bedrohlich über den Tälern thront. Sie unterscheidet sich kaum von den Felsen, auf denen sie gebaut ist, schmiegt sich somit völlig natürlich in die Landschaft.
Schon sehr früh sahen wir die ersten Parkplätze, überall stehen Parkuhren, die anzeigen, dass man an einem der am höchsten bewerteten Objekten der Provence angelangt war. Über 1,5 Millionen Besucher zählt dieser winzige Ort im Jahr, schon bei den Parkplätzen war die erste Form des Eintrittsgeldes fällig. Entgegen unserer sonstigen Strategie, für das Abstellen des Autos nichts zu bezahlen, bissen wir in den sauren Apfel, um unsere kostbare Vormittagszeit nicht durch das Überlisten der örtlichen Behörden zu vergeuden. Ich bin aber sicher, dass es auch hier einen Weg gibt.
Eine steile Treppe führte uns zu einem Tor, den Zugang zum Dorf. Der erste Blick galt sofort einer Galerie und einer Art Luxus-Souvenirladen, der eigenartige Gebilde in Katzenform anbot. Ich war auf der Suche nach einer Zeitung, um zu erfahren, ob die „Mannschaft“ – so heißt das deutsche Team hier in Frankreich – gestern wieder einmal versagt und demnächst nach Hause fliegen muss. Ich fand allerdings keinen Zeitungsladen, alle Geschäfte boten nur die meist üblichen Souvenirs wie Lavendelbeutel, Herbe-de-Provence-Mühlen und buntes Geschirr an oder servierten völlig überteuerte Gerichte an ahnungslose Touristen. Es ist einfach alles übertrieben und auch wenn das Dorf Les Baux eigentlich malerisch liegt und vorsichtig restauriert ist, so leidet die Atmosphäre unter seiner Berühmtheit. Authentisch wirkt es alles nicht, eher wie das Disneyland der Provence.
Trotz diesen harschen Urteils lohnt sich der Besuch der eigentlichen Attraktion, der Burgruine. Bei Weitem nicht alle Besucher Les Baux gönnen sich den nicht unerheblichen Eintritt, doch hier ist es angebracht, etwas tiefer in die Tasche zu greifen. Es gibt einen Audioguide dazu, der uns alles zu diesem Ort erzählt hat. Als wir unsere Tour begannen, fand gerade eine kleine Show statt. Vier riesige Trebouchets, enorme Katapulte aus dem Mittelalter, wurden gerade vorgeführt. Erst ein kleines, das noch von wenigen Schülern – ich hatte wieder einmal Glück und zwei Schulklassen verfolgten uns auf fast der gesamten Strecke – bedient werden konnte, die von den beiden finsteren Gesellen in einfachen mittelalterlichen Gewändern und Sprechanlagen vor dem Mund angewiesen wurden. Ein kleiner mit Sand gefüllter Ballon flog ca. 20 Meter weit. Eine nette Angelegenheit. Als Nächstes war das größte Katapult an der Reihe, dazu benötigte es sicher 15 männliche Schüler, die ihr überschäumendes Testosteron ein wenig abbauen und vor den Schülerinnen glänzen konnten. Sie bewegten mit Hilfe von zwei großen Schaufelrädern das sicher 30 Meter lange Katapult nach unten, das wieder mit einer Plastikkugel geladen wurde. Hauptattraktion war dann die 16-jährige, die von den Klassen auserkoren wurde, um die Arbeit der 15 Jungen auszulösen. Ein immer wieder interessantes Spiel zu beobachten, wer in diesen Klassen das Sagen hat und wer nur gehorcht, aber das ist eine andere Geschichte. Die Kugel flog hoch und weit, zerschellte mit einem „Plop“ auf einer Steinebene, doch war es die Gewalt, mit der sie geschleudert wurde. Jeder, der sich für diese mittelalterlichen Belagerungsmaschinen interessiert, empfehle ich den Film „Kingdom of Heaven“, bei der Belagerung von Jerusalem kommen diese Maschinen zum Einsatz.
Von dem Plateau hat man die herrlichsten Ausblicke auf die Täler unter der Burg. Olivenbäume und Weinreben wechseln sich ab, in der Ferne kann man Arles sehen und auch die Fabriken von Foss-de-la-Mer, die nicht weit entfernt von Marseille liegen. Es war kaum elf Uhr, doch die Sonne brannte bereits erbarmungslos, aber wir hielten durch. Zur eigentlichen Ruine kamen wir jetzt erst, ich hatte aus irgendeinem Grund mehr erwartet. Von den Gebäuden ist kaum noch etwas übrig, man sieht meist nur die in den Stein gehauenen Räume, die Teil der Anlage waren. Doch der Audioguide und einige Bilder erschufen vor unseren geistigen Augen das Leben des Mittelalters. Dabei sind es oft Kleinigkeiten, Spuren von Wasserrohren, Teile von Rundbögen oder schwarz gefärbte Kaminschächte, die von anderen Zeiten erzählen. Wir stiegen trotz der Warnschilder auf alle Türme, die Aussichten wurden dabei immer besser. Das Val d’Enfer hatte allerdings für mich keine vergleichbare Inspiration wie für Dante, der das Tal in der Göttlichen Komödie für seine Hölle benutzt hat. Es war sehr abenteuerlich, diese Türme zu erklimmen, denn die Stufen waren uneben, scheinen bereits seit Jahrhunderten in Gebrauch. Einmal rutschte ich ab und hatte Glück, dass mich ein anderer Felsen stoppte. Ich tat mir nicht einmal weh.
Irgendwann erfuhren wir, warum die Ruine heute in diesem Zustand ist. 1631 hat der König die Zerstörung befohlen, der Steinmetz hat damals leider ganze Arbeit geleistet. Eigentlich schade, denn der Bau muss wirklich beeindruckend gewesen sein, aber hier machte es Spaß, seine Fantasie anzustrengen. Da das Gelände auch sehr groß ist, verlaufen sich die Touristen ein wenig, so dass es nie zu voll wurde. Es war dadurch eine rundum gelungene Sache.
Es war beinahe zwei Uhr und bei Weitem zu warm für weitere Aktionen. Unser Besuch war abgeschlossen und wir überlegten, was wir jetzt tun könnten. Eine Zeitung brauchte ich nicht mehr, meine Schwester hatte mich bereits aus der Schweiz über den Sieg der „Mannschaft“ informiert. Wir erinnerten uns an das kleine Dorf, dass so einladend gewirkt hatte. Dort fuhren wir hin und setzten uns auf dem Hauptplatz unter einen Sonnenschirm, um hier die nächsten Stunden zu verbringen. Keiner von uns hatte den Antrieb, irgendetwas zu tun, wir saßen goldrichtig. Um 16 Uhr begann ein Fußballspiel, wir sahen zu, wie die Italiener gegen einen Nobody aus dem Turnier flogen, ein Schicksal, dass sie mit den Franzosen teilten. Eine verrückte WM. Sonntag jedoch habe ich mir das nächste Spiel vorgemerkt: Deutschland gegen England. Ich weiß noch nicht, für wen mein Herz schlagen wird, eine schwierige Geschichte. Im Grunde meines Herzens fühle ich, dass wir die Engländer lange genug für das Nicht-Tor von ’66 haben büßen lassen, ich habe aufgehört zu zählen, wie oft sie gegen Deutschland bei wichtigen Turnieren verloren haben. Und wie gesagt, 7 Jahre Leben in England haben Spuren hinterlassen. Mal sehen, wie tief diese sind.
Die nächsten zwei Tage werden wir es ruhiger angehen lassen, warum auch nicht. Es ist Urlaub und wir sind in der Provence.
Gibt es bessere Gründe?