Fahrt nach Kalabrien
Es war wieder eine eiskalte Nacht. Wie sehr sie mir zusetzte, wusste ich erst, nachdem ich abgefahren war. Ich war eigentlich nie wirklich bei vollem Bewusstsein, bis ich gegen zwölf anhielt, um diesen Zustand durch einen starken Kaffee zu beenden.
Die Kälte brachte schlechte Träume mit sich und einen unruhigen Schlaf. Zusätzlich, nur um die Sache noch interessanter zu gestalten, kamen auch noch Zahnschmerzen hinzu. Die sind nichts Neues, dank eines allzu rabiaten Eingriffs kurz vor meiner Abfahrt plage ich mich seit Monaten damit herum, mal etwas mehr, mal weniger. Heute Nacht jedenfalls hielten sie mich vom Schlafen ab, was auch dazu führte, dass ich vor halb neun gar nicht erwachte. Wieder einmal also hatte ich wertvolle Stunden verloren. Ich glaube, ich habe schon einmal davon berichtet, aber so ähnlich müssen sich Menschen fühlen, die auf der Straße leben. Man kann sich das nicht vorstellen, wenn man es nicht mitgemacht hat, aber man funktioniert einfach nicht. Der Körper braucht lange, um sich von der nächtlichen Strapaze zu erholen. Und selbst dann ist er den ganzen Tag müde.
In jedem Fall kam ich auf diese Weise erst weit nach zehn Uhr vom Campingplatz hinunter. Und meine Kraft, Entscheidungen zu treffen, war nicht besonders ausgeprägt, so dass ich eine folgenschwere traf. Ich dachte mir, um einige Euro zu sparen, nehme ich nicht die Autobahn bis nach Salerno, von wo aus sie ohnehin gratis zu befahren ist. So also kämpfte ich mich durch Kleinstädte, die sich nahtlos an Pompeji anschließen. Stop and go, nervenaufreibend und langsam, immer Gefahr laufend, irgendeinen halbwahnsinnigen Italiener zu rammen, der meint, sich mit seinem zerbeulten Fiat irgendwo hineindrängeln zu müssen. Ebenfalls nicht ohne sind die vielen Mopedfahrer, die einen rechts und links überholen, je nachdem, wo gerade Platz ist. Sie spielen mit ihrem Leben, denn oft fahren sie im toten Winkel mit, nur um an einem vorbeizuschießen, wann immer Gelegenheit dazu ist. Auch Garmin machte einen folgeschweren Fehler, lotste mich in eine Sackgasse hinein. Sicher hat sich der Straßenverlauf verändert, aber in diesem Moment stand ich in einer düsteren, engen Straße, nur ein finster dreinschauender Italiener in Sichtweite. Nur um die Vorurteile wieder gerade zurücken, der Italiener half mir beim nahezu unmöglichen Wenden. Da ich mir der Ausmaße des Campers auch nach vielen Jahren noch nicht sicher bin, lotste mich der Fremde sicher und energisch aus der Sackgasse. Ich schämte mich, dass ich ihn vorher so vertrauensunwürdig eingeschätzt hatte.
Ich traute meinen Augen nicht, aber nach 90 Minuten hatte ich ganze 22 Kilometer zurückgelegt. Für die restlichen acht nach Salerno brauchte ich weitere 30 Minuten. Es war ein fahrender Albtraum. Endlich, weit nach zwölf, erreichte ich die Autobahn. Das hätte ich bereits vor zwei Stunden machen sollen, die drei Euro (geschätzt) für die Maut hätte ich sicher irgendwo gefunden. Ab jetzt ging es wesentlich schneller. Doch bemerkte ich die stetige Steigung kaum. In jedem Fall beunruhigten mich die Schilder, aus denen unmissverständlich hervorging, dass ich eigentlich ab Mitte November Schneeketten zumindest an Bord haben musste. Daraus konnte ich eigentlich schließen, dass diese Fahrt noch interessanter werden konnte. In jedem Fall stieg ich immer weiter nach oben, war froh, dass ich auf der Autobahn fahren konnte. Die Berge um mich herum wirken sonst beinahe unpassierbar, Maut zu sparen wäre hier kontraproduktiv. Die Frage stellt sich nicht, denn es gibt in Kalabrien keine.
Dann sah ich den ersten Schnee. Ich hielt an, um es zu testen. Kalt und weiß. Er war echt. Ein Blick in den Autoatlas bestätigte, dass ich mich wirklich in ca. 1000 Metern Höhe befand. Ich muss gestehen, dass ich es kaum bemerkt hatte. Zum Glück kam es nicht soweit, nichtvorhandene Schneeketten aufziehen zu müssen. Der Schnee war eher ein Hauch, wie ein bisschen Zuckerguss auf Aldi-Gebäck, also kaum vorhanden. Trotzdem stellte die Strecke trotz Autobahn einige Anforderungen. Es war kurvig und an vielen Stellen wird gebaut. In einigen Jahren ist es sicher einmal störungsfrei möglich, von Neapel bis Messina zu fahren. Aber im Moment brauchte ich meine gesamten noch vorhandenen Kräfte, die an diesem Tag nicht besonders ausgeprägt waren. Aber ich schaffte es, fuhr im tiefsten Kalabrien von der Autobahn. Entgegen jeder Erwartung war der Campingplatz auch noch geöffnet. Er ist direkt am Meer, auch wenn es bei diesen Temperaturen nicht sehr viel Spaß macht.
Morgen werde ich ausruhen, vielleicht etwas aufräumen und einkaufen. Ich habe das Gefühl, in den letzten Wochen viel unternommen zu haben, seit ich aus dem Süden der Türkei abgefahren bin. Es war letztlich eine gute Entscheidung, sie hat dieser Reise wieder einen neuen Sinn gegeben.
Die Überfahrt nach Sizilien plane ich für Montag. Mal sehen, ob es klappt.