Koroni

Ein ruhiger Tag geht zu Ende. Nachdem ich viele Tage lang immer nur eine Nacht an einem Ort verbrachte, musste ich heute Morgen nicht packen. Schon das ist eine Erholung, einfach einmal bleiben zu können. Wie ich gestern beschrieb, steht es oft nicht in meiner Macht, das zu entscheiden. Aber heute war es anders, diese kleine Auszeit tat mir bereits beim Frühstück gut. Ich vermied auch das Lesen über die weitere Route, nahm nach einigen Tagen der Pause auch wieder ein Buch zur Hand, das ich hier auf dem Campingplatz gefunden hatte. Schon eigenartig, welche Bücher es so in den Handel schaffen, aber ich werde es erst einmal ganz lesen.
Ohne Eile also startete ich, ich kann mich gar nicht mehr erinnern, wann ich so müßig einen Tag begonnen hatte. Auch wenn es ein Genuss war, weiß ich, dass ich es nicht oft tun kann, „es“ wird es zu verhindern wissen.

Schon gestern Abend war ich im Dorf, schlenderte durch die Gassen. Ein heftiger Regenschauer am Nachmittag hatte die Luft regelrecht angefeuchtet, die schwüle Hitze lag in allen Gassen. Ich würde sehr gerne hier einmal essen gehen, im Moment jedoch ist das Leben hier durch die langen Strecken und die hohen Benzinkosten sehr teuer. Also koche ich selbst und schaue dann anderen beim Ausgehen zu. Ist doch auch schön. Koroni ist wirklich nach meinem Geschmack, genau der richtige Ort, um auszuspannen.
Heute am späten Vormittag ging ich wieder los, suchte den Weg über den schmalen Strand zum Dorf. In der Ferne sah ich das Kastell, das den Ort krönt, anders als in anderen Dörfern dominiert es nicht, sondern fügt sich nahtlos ein. Ich kam an einem Haus vorbei, direkt am Hafen, das schon wesentlich bessere Zeiten gesehen haben muss. Trotz der mächtigen Fassade ist es eine Ruine. Solche Häuser wecken immer meine Fantasie, zu gerne würde ich es betreten und wahrscheinlich sofort damit beginnen, es zu restaurieren. Die Frage ist, ob ich es aushalten würde, hier zu bleiben. Vielleicht eines Tages, wenn dieser innere Sturm an Kraft verliert. Aber davon ist noch nichts zu spüren. Denn es ist nicht nur das Weiterziehen von Ort zu Ort, letztlich schaffe ich es auch nicht, lange in einem Freundeskreis oder in einer Firma zu bleiben. Ich schaffe es jetzt allerdings seit Jahren zu schreiben. Auf die eine oder andere Art die letzten zehn Jahre am Stück, davor immer nur mit Pausen. Hier also ein Haus zu beziehen, ist momentan ein fixer, wenn auch lustiger Gedanke.

Der Hafen ist angefüllt mit Tavernen, die sich im Grunde alle ähneln. Ohne große Eile schlenderte ich vorbei. Deshalb liebe ich diesen Ort, denn trotz aller Gelassenheit habe ich nie das Gefühl, irgendetwas zu verpassen. So kenne ich Griechenland, so habe ich die griechischen Inseln erkundet, immer in Ruhe, denn so viel gab es nie zu sehen. Der Peloponnes ist in dieser Richtung schon anders, die Unruhe spüre ich daher besonders intensiv. Aber nicht hier. Und heute.

Ich ging langsam zum Kastell hinauf, keine Frage, dass ich von dort herrliche Ausblicke auf die Bucht und den Hafen hatte. Es ist eine mächtige Wehranlage gewesen, deren Mauern jetzt langsam Richtung Meer krümeln. Das Innere des Kastells wird von Menschen als Schrebergärten benutzt, warum auch nicht? Es muss aber auch eine Art Kloster mit dabei sein, denn ich fand eine ganze Reihe kleiner Kirchen und Kapellen, eine malerischer als die andere. Überall saßen strenge Damen in schwarzer Kleidung davor, die darauf achteten, dass man nicht etwa in Shorts die heiligen Hallen betrat. Überall lagen deshalb lange Klamotten aus, die man überziehen konnte. Ich verzichtete dankend, von außen sahen die Kirchen ohnehin charismatischer aus. Manche waren weiß getüncht, im Kykladenstil. Andere rustikal gemauert. Dabei muss hier einmal ein antikes Bauwerk gestanden haben, denn in die Mauern waren Marmorteile integriert. Ich liebe so etwas, ich fand den linken Teil eines Giebels in einer krude zusammengesetzten Mauer. Im Verwerten bzw. Klauen war der Mensch immer schon besonders geschickt. Ich meine auch die Grundmauern einer recht großen Kirche gesehen zu haben, die allerdings kaum noch zu erkennen ist. Jetzt sind hier wie gesagt eher kleine Kapellen.
Die Zeit floss dahin. Auf der anderen Seite des Hügels entdeckte ich einen kilometerlangen Sandstrand. Dabei erinnerte ich mich, dass ich mich direkt an der Spitze eines der Finger des Peloponnes befand, also wirklich am Ende Europas. Dieser Strand war leer und schön, das Wasser türkis, die Felsen rau. Ganz Griechenland eben, wie im Bilderbuch.
Danach musste ich es ausprobieren, das Schreiben direkt am Meer, am Wasser, in einem Café. Auf Anraten der Kellnerin bekam ich ein Frappé, genau das Richtige für einen heißen Tag, auch wenn selbst ich davon einen Koffeinschock bekam. Wenigstens fiel mir das Schreiben leicht, denn das ist wirklich die beste Voraussetzung. In der Bar am Meer war es nicht übermäßig voll, aber immerhin waren einige Tische besetzt. Ich brauche das, denn ab und zu muss ich aufschauen und wen beobachten. Ganz alleine ist mir zu einsam. Kaffeehauspoet eben.
Jetzt wird es langsam Abend und ich lasse den Tag ausklingen. Morgen geht es weiter, in Richtung Sparta, wo eine ehemalige Byzantinische Stadt auf mich wartet, die eindeutig der archäologische Höhepunkt auf der „Insel“ sein soll – seit dem Bau des Istmus-Kanals ist es eine Insel. Auch wenn ich noch nicht vollständig wieder hergestellt bin, fühle ich mich jedoch schon wesentlich besser. Große Wanderungen traue ich mir noch nicht zu. Aber die Erkundung eines Ruinenfeldes ganz sicher.
Einen Ort wie Koroni werde ich wieder suchen, wenn ich mit dem Roman fertig bin. Aber das wird sicher noch mehr als eine Woche dauern. Chalkidiki habe ich mir gedacht, mal sehen, wo ich mich am Ende niederlassen werde.