Udine & Gemona

Ich konnte einfach keinen Tag mehr ertragen, um bei dieser Hitze eine weitere Stadt zu besichtigen. Ich dachte an Genua, dachte an Venedig und gestern Padua, alles Erlebnisse am Rande der Selbstzerstörung. Die Hoffnung, dass es in Trieste besser werden würde, standen gleich null. Trotzdem kämpfte ich lange mit mir, sicher zwei Tage, wenn nicht länger, denn Trieste hat seit Anfang an auf meiner Wunschliste gestanden und es war eine sehr schwere Entscheidung, jetzt nicht hinzufahren. Aber ich weiß auch, was es mich gekostet hätte, denn den Flüssigkeitsverlust der letzten Tage merke ich bereits, es ist schwer zu erklären, aber allein das Existieren bei dieser Wärme ist anstrengend, und ich war in letzter Zeit überaus aktiv.

Heute wachte ich vor sieben auf, mein Rücken wollte, dass ich aufstehe. Ich war nicht der Erste, anscheinend trieb die Wärme, bereits um diese Zeit waren es sicher 25 Grad, die Leute aus den stickigen Zelten. Ich beeilte mich nicht sonderlich, sondern ging in Ruhe meiner Wege, mit dem Resultat, dass ich um acht Uhr bereit für die Abfahrt war. Es hätte so schön sein können, wenn ich den Italiener an sich nicht unterschätzt hätte. Letzte Woche füllte sich der Campingplatz im Appenin-Gebirge, heute wälzte sich die Pilgerfahrt der Sonnenanbeter Richtung Strand in Jesolo. Leider war das auch meine Richtung und da standen wir alle gemeinsam. Binnen kürzester Zeit war mein Wasser in der Flasche so heiß, dass ich hätte Tee kochen können, wenn mir der Sinn nach etwas Perversem gestanden hätte. Es war brütend und sengend, wahrscheinlich war ich der Einzige, der keine Klimaanlage hatte, denn meist sah ich vergnügte Gesichter hinter den geschlossenen Scheiben. Wahrscheinlich haben sie mich ausgelacht, den blöden Deutschen, der meint, mit seiner Nuckelpinne hierher fahren zu müssen. Bald jedoch wendete sich das Blatt, denn die Straße gabelte sich. Die Sonnenanbeter standen weiterhin im Stau, ich hatte freie Fahrt, denn da wo ich hin wollte, wollte niemand anders hin. Wie im echten Leben also.

Ich hatte mich heute für Udine entschieden, eine kleine Stadt, die ich schon kannte und die ich gewählt hatte, weil sie auf dem Weg in die Berge lag. Es war eine genauso schlechte Wahl wie es Trieste gewesen wäre. Meine Hoffnung, dass es in Udine eine Spur kühler sein könnte, war naiv gewesen. Die Transe stellte ich im Schatten ab, doch auch hier lief mir das Wasser in Strömen den Astralkörper hinunter. Ich hatte zu viel Zeit in einem kühlen Supermarkt verbracht und anstatt so schnell wie möglich zu verschwinden, ergötzte ich mich an den italienischen Produkten wie Wildschweinragout oder die 100 Sorten Pasta. Das rächte sich, denn erst um 12 Uhr war ich in Udine. Mit stählernem Willen setzte ich mich gegen meine Faulheit durch und ging in die Stadt. Sie war nicht nur wegen der Hitze eine schlechte Wahl. Vor zwei Jahren hatte ich sie schon einmal besucht, nicht lange genug, um sie zu vergessen. Ich lief also die ausgetrampelten Pfade entlang, und da ich noch immer unter dem starken Eindruck von Padua stand, langweilte ich mich nach kurzer Zeit. Udine hat durchaus eine hübsche Altstadt, aber mit Padua kann sie eben nicht mithalten. Ich bewunderte trotzdem den herrlichen Säulensaal des Rathauses, der eindeutig dem Dogenpalast in Venedig nachempfunden ist. Gegenüber steht ein Uhrenturm, der erinnerte mich ebenfalls an denselben am Piazza San Marco.

Kürzlich habe ich bei Rüdiger Nehberg gelesen, wie er einen Landstreicher definiert. Nämlich als jemanden, der immer an neue Orte gehen muss, dann aber enttäuscht ist und weiter zieht, immer in neuer Erwartung, dass der nächste Ort perfekt ist. Ich glaube, damit hat er mich perfekt beschrieben. Udine ist schön, nur ist es für mich ein bereits abgegessener und „enttäuschter“ Ort. Ich werde den Fehler nicht noch einmal machen. Da ich vor zwei Jahren von Kroatien her kam, werde ich die Gegenden meiden, die ich dort besucht habe. Damit ist Istrien abgehakt. Macht nichts, es gibt andere Optionen.
Letztlich wurde mein Besuch in Udine ein Versuch, dem Wetter irgendwie zu entkommen. Ich erwischte sicher die einzige Bar, in der die Klimaanlage nicht wirkte. Ein Espresso bei 37 Grad, das ist eine echte Herausforderung. Irgendwann hatte ich keine Lust mehr, ging zurück zum Auto. Das stand natürlich nicht mehr im Schatten. Als ich das Lenkrad einschlagen wollte, erschreckte ich mich vor meinem eigenen Schrei. Blasen bildeten sich an meinen Händen, die Haut schälte sich in langen Fetzen vom Fleisch. Ich übertreibe natürlich, aber trotzdem brauchte es eine Zeit, bis ich losfahren konnte. So heiß war das Lenkrad.
Ich tat das einzig Vernünftige, ich fuhr schnurstracks zu einem Centro Commerciale, die sind immer klimatisiert. Ich verbrachte die nächsten zwei Stunden damit, mir Sachen anzusehen, die ich niemals in meinem Leben kaufen würde. Ich hatte trotzdem eine Menge Spaß. Es gab auch eine Wifi-Verbindung, zu meinem Ärgernis, sind die Italiener in dieser Richtung noch engstirniger als die deutschen. Hier muss man nämlich immer seine Adresse hinterlassen, wenn man ins Internet geht. Oft genügt nicht einmal das und die Passnummer muss notiert werden. Hier jedenfalls hätte die Adresse genügt, das Passwort würde dann an mein Handy geschickt. Leider war die Vorwahl vorgegeben, +39. Nur wer auch ein italienisches Handy hat, darf also ins Internet. Ich war wirklich bedient. Das ist nicht nur engstirnig, das ist auch eine Spur rassistisch. Tut mir wirklich Leid, aber das sind die dümmsten Regeln, die ich bislang gesehen habe. Jetzt verstand ich auch, weshalb ich auf dem Campingplatz im Appenin meine Daten habe angeben müssen, es war keine Schikane des ansonsten sehr netten Rezeptionisten, es war Vorschrift. Sei es drum, ich verbringe hier nicht mehr viel Zeit, daher rege ich mich nicht mehr auf.

Irgendwann gegen vier wollte ich weiter. Das Lenkrad-Problem hatte ich wieder, es war keinen Deut kühler geworden. Mein Ziel hieß Gemona, wo sich ein Campingplatz befindet, der auf dem Weg nach Österreich liegt. Auch hier war ich vor zwei Jahren untergekommen.
Ich hatte keine besonders große Lust, in die Kleinstadt zu laufen, schrieb lieber an meinem Roman und an diesem Journal. Wenn ich mir jetzt den Himmel anschaue, könnte ich meinen, dass wir eine Chance auf Regen haben. Es ist sicher das erste Mal seit langer Zeit, dass mich dieser Gedanke erfreut.