Ein Tag für die Kunst, die Kunst für’s Leben.
Quimper war auch an diesem Tag beeindruckend, wie am Vortag. Aber Hand auf’s Herz: Es ist eine relativ kleine Stadt. Zumindest wenn man das historische Zentrum betrachtet. Nach einer Stunde kannte ich wirklich auch die kleinste Gasse. Also musste ich etwas finden, das meine Stunden möglichst sinnvoll füllen konnte. Was lag näher, als ins Musée des baux arts zu gehen? Auch das Wetter spielte mit, weil es ein wenig an Strahlkraft verloren hatte. Es war kühler und wolkiger, aber auch nicht schlecht. Trotzdem störte mich der Gedanke nicht, einige Zeit drinnen zu verbringen.
Es ist eine lohnende Kollektion, die man hier sehen kann. Sehr bretonisch geprägt, ohne ländlich zu wirken. Gleich der erste Raum ist regionalen Künstlern gewidmet, die Alltagsszenen dargestellt haben. Die Gemälde sind sorgsam ausgesucht, manchmal heiter, manchmal traurig. Das Meer als Quelle von Leben, aber auch als Grund für den Tod ist oftmals dabei. Schon ein eigenartiges Gefühl für einen Städter wie mich, das Schiffsbrüche beinahe zum Alltag dieser Menschen hier gehörten und weiterhin gehören.
Im Obergeschoss wurde es klassischer. Meines Erachtens befinden sich hier bemerkenswerte Kopien von griechischen Statuen. Oder von klassischen Statuen inspirierte. Sie beeindruckten mich besonders, lebendige Skulpturen voller Energie, in kühlem marmornen Weiß, die mich alles andere als kalt ließen. Eine Statue zeigte eine junge Frau, die sich nach der Jagd ausruht. Ein wirklich knackiger Hintern, kleine feste Brüste. Sehr erotisch, wie ich fand. Die holländischen Meister hingegen sind mir ein bisschen zu schwer. Das waren sie aber immer schon. Stattdessen beschäftigte mich ein leichteres Werk von Wilhelm List, einem Wiener Sezessionisten. Für mich ist es mystische Kunst, voller Geheimnisse, Allegorien, über die ich nachdenken kann. Immer wenn ich Werke aus dieser Zeit sehen, frage ich mich, wer die Modelle waren. Sicher sind es Porträts, aber von unbekannten Frauen, wahrscheinlich aus den unteren Klassen. Es sind unbekannten Gesichter der wahren Wiener Menschen, die aufgrund ihrer Armut nicht viel Zeit auf dieser Welt hatten. So war es immer. So ist es auch jetzt noch. Natürlich nicht im gleichen Maße, aber wer weiß, wo uns die ungleiche Verteilung von Besitz noch hinführt.
Ich weiß nicht viel über List, dennoch erinnerten mich seine goldenen Symbole an Klimt. Ich werde es recherchieren.
Um Punkt zwölf Uhr schloss das Museum für zwei Stunden. Ich traute meinen Ohren nicht, aber so war es. Die zuvorkommenden Wärter versicherten mir, dass ich nachmittags wiederkommen könnte. Ich fand das alles unter diesen Umständen nicht schlimm. Denn auf diese Weise konnte ich mir ein Sandwich besorgen und einen Kaffee trinken, um danach gestärkt erneut die Gemälde genießen zu können. Ohne um 14 Uhr nochmals mein Ticket zeigen zu müssen, wurde ich durchgewunken und konnte meinen Rundgang fortsetzen.

Musée des beaux-arts de Quimper

Ich weiß nicht wieso, aber ich stelle jetzt einen Tag später fest, was für ein flüchtiges Erlebnis mein Museumsbesuch war. Ich versuche gerade krampfhaft, mir die Bilder vorzustellen, die ich gestern ausgiebig betrachtet habe. Es geht nicht. Sie verschwimmen alle. Das ist ein bisschen ärgerlich, auch weil ich mir dabei oberflächlich vorkomme. Weder also kann ich mir Namen merken, noch habe die Bilder vor Augen. Auch wenn ich sicher vier Stunden im Museum verbracht habe, hat der Besuch nichts hinterlassen. Nun, das stimmt nicht. Ich weiß, dass es ein schöner Besuch war, voller großartiger Entdeckungen. Dieses Glücksgefühl ist geblieben, auch wenn ich es einen Tag später kaum zu beschreiben in der Lage bin. Aber vielleicht ist es das, was Schönheit und Kunst auslöst. Glück. Deshalb schauen wir sie uns an. Nicht also, um uns ewig daran zu erinnern. Oder gar in ihrer Tiefe zu erkennen, was vielleicht wieder zu rational ist. Das ist der Grund, warum ich es nicht bedauere, dass die Bilder vor meinem geistigen Auge verschwimmen. Es ist so, wie mit jeder Erinnerung. Schon in dem Moment, in dem sie vorübergeht, verschwindet sie schon. Sie festzuhalten ist närrisch. Stur auf ihr zu bestehen noch viel mehr, denn meist bin ich kaum in der Lage, mit Sicherheit zu sagen, ob sie wirklich so stattgefunden hat. Zu oft schon hat mich mein Gedächtnis betrogen. Vielleicht habe ich auch eine zu flüchtige Auffassungsgabe, bin zwar in der Lage, viel aufzunehmen, doch nicht lange festzuhalten. Menschen sind jedoch unterschiedlich. Andere mögen das alles anders sehen.

Nach dem Museumsbesuch war mein Aufenthalt in Quimper im Grunde beendet. Ich holte noch einige Informationen zu meiner Weiterreise ein, aber da war ich in Gedanken bereits fort. Das geht alles recht schnell. Meine erste Woche in Frankreich ist bereits um. Kaum zu glauben.
Aber jetzt geht es erst einmal weiter.
So wie immer.