Corfe Castle & Swanage

Ein stürmischer und sonniger Tag begann ruhig und gelassen. Ich nahm mir etwas Zeit am Morgen, um einen Krimi zu lesen, etwas, das ich mir sonst um die Zeit selten leiste. Auf diese Weise kamen wir etwas später los als sonst, was aber nicht viel ausmachte. 70 Kilometer weiter befand sich unser nächstes Ziel, das wir sorgfältig ausgewählt hatten. Corfe Castle, sicher eine der spektakulärsten Burgruinen der Welt. Man sieht sie nicht sofort, sondern erst, wenn man nur noch wenige Hundert Meter entfernt ist. Doch dann sieht sie einfach umwerfend aus, von Weitem übrigens noch mehr als von Nahem. Das Dorf drum herum ist ebenso malerisch, wenn auch etwas übertrieben mit all den Souvernir-Geschäften. In den Romanen der „Fünf Freunde“ von Emilie Blunt bildet Corfe Castle eine berühmte Kulisse.

Als wir endlich an dem Ticketschalter vorbei waren, entdeckten wir ein Schild, das uns auf eine geführte Tour hinwies, die gerade begonnen hatte. 20 Meter weiter entdeckten wir sie, lange konnte sie noch nicht unterwegs gewesen sein. Also schlossen wir uns an. Ein mittelalter Archäologe erzählte anschaulich und motiviert die vielen Anekdoten des Ortes und verband sie geschickt mit der Geschichte. Er erzählte von grausam getöteten Soldaten, zeigte uns den Steinhaken, der für Hinrichtungen verwendet wurde und den Ort, an dem das Verließ gewesen war. Man nannte es „Oublier“, aus dem französischen für „Vergessen“. Dort warf man die Gefangenen hinein, die dann schlichtweg verhungerten. Die beste Geschichte aber behielt er sich für den Schluss vor. Aber dazu gleich.

Man merkte, dass er oft vor Kindern sprach, denn seine bildlichen Darstellungen wecken ganz sicher die Neugier. Natürlich auch der Erwachsenen. Wir erfuhren, wie wichtig Corfe Castle einst gewesen ist. Es muss den Buckingham Palace des Mittelalters dargestellt haben, mit teurem Purham Marble und weiterem Luxus, der die Staatskasse völlig geplündert haben dürfte. Den Mittelpunkt der Festung bildet aber noch immer die mächtige Struktur einer normannischen Burg, die heute nur noch eine leere Schale ist. Zur Zeit des Bürgerkrieges wurde die Burg vehement von der Besitzerin, Lady Bankes, verteidigt. Durch einen Trick, der natürlich ausführlich beschrieben wurde, konnte die Festung letztlich erobert werden. Danach wurde sie von den Truppen Cromwells gesprengt, was insgesamt ein halbes Jahr dauerte. Aus diesem Grund sieht die Burg heute so aus, wie sie eben aussieht. Viele Mauern sind umgekippt, ragen in die Landschaft. Das Tor steht schief, ist auseinandergebrochen. Doch noch immer sieht die Ruine majestätisch und gewaltig aus.

Eine Geschichte am Schluss der Führung aber weckte die ganze Fantasie der Zuhörer. Nachdem Lady Bankes die letzte Schlacht um die Festung verloren hatte, durfte sie aufgrund ihrer Tapferkeit die Burg mitsamt dem Gefolge und ihren Sachen verlassen. Sie nahm allerdings ihre Juwelen und Schätze nicht mit, die seitdem verschwunden sind. Unser Führer, ein Archäologe, behauptete zu wissen, wo sie das Geschmeide versteckt hat. Im Brunnen oben bei ihren Gemächern. Leider ist dieser noch nie untersucht worden. Vielleicht ist es nur eine Geschichte. Er klang allerdings verdammt überzeugend. Kaum einer von uns, der danach nicht gerne mit einer Schaufel versucht hätte, nachzusehen, was daran ist.

Als wir mit der Führung fertig waren, hatten wir alles gesehen, was es in der Ruine zu sehen gab. Die Aussichten waren fantastisch, eine alte Dampflok konnten wir ebenfalls von oben aus sehen, leider diesmal ohne Dampf.
Im National Trust Café gönnten wir uns einen Cream Tea, das heißt, ich bekam einen halben Scone, während Nina die restlichen anderthalb verzehrte. Die Marmelade war schwer von Früchten, die „Cloted Cream“ so dick wie Butter. Und alles vor der Kulisse der Ruine, dem blauen Himmel und dem kleinen Garten, indem das Café untergebracht ist. Stilvoller kann man kaum Englisch sein.
Oder?

Der Tag war noch lange nicht vorbei, daher entschlossen wir uns, weiter nach Swanage zu fahren. Vor Jahren hatten wir hier schon einmal genächtigt. Erst steuerten wir einen Campingplatz an, den wir von damals bereits kannten. Geändert hatten sich nur die Preise. Alles andere war genauso alt wie damals. So ist England aber auch.
Der Weg nach Swanage selbst gestaltete sich danach als schwierig. Einmal falsch abgebogen und wir liefen sicher zwei Kilometer weiter als geplant. Erst nach einer Dreiviertelstunde erreichten wir den Strand und dieses halb vergessene Seeressort. Der Blick auf die Kreidefelsen der Juraküste ist immer wieder herzergreifend.
Langsam wurde es Abend und ein kalter Wind zog auf, so dass wir uns nicht allzu lange am Meer aufhielten. Der Heimweg gestaltete sich dann als wesentlich leichter. Ich glaube, wir liefen keine zwanzig Minuten. Am Ende war es ein schöner Abendspaziergang.
Jetzt werden wir noch eine einfache Mahlzeit genießen, dazu spanischen Landwein, den ich in wahren Mengen in Frankreich gekauft habe. Wenigstens hier behalte ich finanziell die Oberhand. Die armen Engländer, die Wein mögen. Die können sicher nie viel sparen. Ich jedenfalls wäre sicher dauernd pleite. War ich auch, als ich noch in England gelebt habe.
Morgen fahren wir wieder in Richtung Sussex und denken langsam daran, den kleinen Kreis zu schließen, den wir uns vorgenommen haben. Und wieder schauen wir auf einen wundervollen Tag zurück, nehmen die herrlichen Eindrücke mit. Zum Glück habe ich damit begonnen, diese Reisejournale zu schreiben.
So möge dieser Urlaub ewig dauern.