Kaş

Und wieder ein Tag, der mich an der Entscheidung abzufahren zweifeln lässt. Es ist diese wundervolle Sonne. Bereits morgens um sieben schien sie zauberhaft und warm weckte mich sanft und es fällt mir wieder schwer, meine Entscheidung aufrecht zu halten. Hatte ich gestern wirklich darüber nachgedacht weiterzufahren, hatten sich diese Zweifel wie Wolken unter diesen heißen Strahlen in Luft aufgelöst.

Ich ließ alles sehr ruhig angehen, musste einmal die Platzkatze aus dem Camper scheuchen, weil sie begonnen hatte, in meinen Vorräten zu stöbern. Eigentlich schmiss ich sie raus, weil sie überhaupt drinnen war. Hier haben Tiere nichts verloren, von einigen ungebetenen Mücken einmal abgesehen. Die bekommt man nie vollständig heraus.
So verbrachte ich einen ruhigen Vormittag, erfreute mich an dem Wetter und glaube manchmal meinem eigenen Glück nicht. Mein Sommer begann in Südspanien, kurz hinter Granada und hat seither nicht mehr aufgehört. Das gelegentliche Wärmegewitter gehört auch dazu. Natürlich beginnen die Laubbäume langsam, sich zu färben, doch da die meisten Bäume Nadelbäume sind, sieht es optisch noch aus wie im Hochsommer.

Nachdem ich genug gelesen hatte, lief ich in den Ort, der hier erfrischend nah ist. Kas mag ich wirklich, es erinnert mich an eine kykladische Stadt vor zwanzig Jahren, schon ein wenig eingenommen vom Tourismus ohne den Charakter vollständig zu verlieren. Auch wenn es jetzt auf den griechischen Inseln nur noch wenige davon gibt. Wahrscheinlich werde ich etwas länger bleiben, denn ich begann heute damit, den nächsten Roman zu schreiben. Nachdem ich zwei Monate lang entweder überarbeitet oder Urlaub gemacht hatte, bin ich etwas aus meinem Rhythmus heraus. Auch habe ich meine Taktik etwas geändert. Ich machte eine Reihe von Notizen, änderte Ideen und bin mir noch nicht ganz klar, wo mich diese Geschichte hinführen wird. Es ist faszinierend, wie sie sich trotzdem schon etwas zeigt. Wäre sie eine Geliebte, die sich entblättert, würde ich sagen, dass sie schon ihre Handschuhe abgelegt hat und der Rock etwas hoch rutscht. Weit bin ich daher noch nicht gekommen, aber das wird schon werden. Ich erinnerte mich ebenfalls daran, dass ich einen Ort suchen wollte, an dem ich in Ruhe schreiben könnte. Hier hätte ich ihn gefunden. Er liegt wundervoll direkt am Meer, ist nicht einsam, denn viele Gäste sind noch hier und eine kleine Ortschaft ist auch nicht weit. Und dennoch wollte ich morgen abfahren. Wir werden sehen, ob etwas daraus wird.

Heute also geschah nicht mehr viel. Ich hatte gestern vom Hafen aus einige lykische Gräber oben in den Felsen gesehen. Die suchte ich. Erst war ich auf der falschen Fährte, lief zu weit und entdeckte sie nicht mehr. Sie sind viel näher an der Stadt, als ich vermutet hatte. Ich fand sie nach einigem Spazierengehen. Es waren am Ende gar nicht die Gräber selbst, die ich erkletterte. Sie sind in den Felsen geschlagen, natürlich leer und sehen von unten beinahe spektakulärer aus als aus der Nähe. Doch die Aussicht ist natürlich wundervoll. Dabei stellte ich erst unten aus einiger Entfernung fest, dass ich bei Weitem nicht alle gefunden hatte. Viele Gräber befanden sich noch viel höher als die, die ich besichtigt hatte. Ein Grund vielleicht, noch einen Tag zu bleiben? Ausreden lassen sich doch immer finden.

Was mich ebenfalls an dem Ort fasziniert, ist die Tatsache, dass die alten Gebäude der Fischer noch nicht verschwunden sind. Ich fand ein uraltes Haus, das direkt vor einem modernen Hotel liegt. So muss es also einmal ausgesehen haben. Die Gassen am Hafen geben auch einen ungefähren Eindruck davon. Ich mag nicht entscheiden, was ich lieber mag. Ich kann die Menschen verstehen, die sich ein gutes Leben verdienen möchten. Doch für den Ort hier sehe ich schwarz. Als ich noch ein wenig in der Gegend umherwanderte, entdeckte ich, dass an einem riesigen modernen Hafen gebaut wird. Ich kenne mich nicht aus, doch würde ich vermuten, dass er auch Riesendampfer beherbergen wird. Dann wäre es aus mit der Stille hier. Ich hoffe, dass ich mich irre. Noch sind die neumodischen Entwicklungen hier nicht so schlimm wie beispielsweise von Antalya bis Alanya oder in Bodrum, aber wenn Kas erst einmal zugänglicher wird, wäre es mit der Idylle vorbei. Schade darum wär es allemal.
Also genieße ich den Ort, solange es noch geht.

Und schon jetzt kämpfe ich mit der Entscheidung, ob ich morgen weiterfahren soll oder nicht. Seit beinahe zwei Monaten nun bin ich bereits in der Türkei. Solange wie sonst nirgends. Und etwas hält mich fest, etwas, das ich rational kaum erklären kann, denn auch auf Sizilien ist es noch recht warm. Und in Tunesien ebenfalls. Vielleicht muss ich nicht immer sofort Antworten finden.
Ich werde mich einfach zurücklehnen und das Beste daraus machen. Wer weiß, wozu es gut ist.