Marrakesch

Was für ein Tag, der jetzt langsam ausklingt. Er begann einmal mehr recht früh, denn es wird sicher gegen 5:30 hell, so dass ich inzwischen einen natürlichen Rhythmus entwickelt zu haben scheine, der mich immer recht pünktlich gegen 6:30 erwachen lässt. Ich folge ihm soweit. So kam es, dass ich mich gegen acht aufs Rad schwingen konnte und die Strecke nach Marrakesch auch recht schnell und problemlos hinter mich brachte. Schon von der Straße zum Campingplatz aus konnte ich in der Ferne das Minaret Koutouba sehen, der Ort also, zu dem ich jetzt fahren wollte. Immer wieder tauchte er auf der Strecke auf und kam zum Glück immer näher.
Wieder begann ich meine Tour auf dem Djemaa El-Fna, war wieder ähnlich beeindruckt wie bereits am gestrigen Tag. Diesmal jedoch habe ich nicht nur die Schwingungen gespürt, sondern habe mir die Aktivitäten noch ein wenig genauer angeschaut. Ich sah Schlangenbeschwörer und Berber-Affen, Frauen, die temporäre Tätowierungen an Händen und Armen vornahmen, von irgendwo her kam arabische Musik, nicht zu leise, ich sah Lebensmittelstände, die getrocknete Früchte oder Orangensaft verkauften, dazwischen immer wieder Marokkaner, die auf traditionellen Instrumenten spielten. Es ist schwer, alle diese Eindrücke wiederzugeben, sie prasselten förmlich auf mich ein und ich lies es zu. Direkt vom Platz aus lief ich weiter zu den Märkten, hatte meinen Lonely Planet in meinem Rucksack verstaut und ließ mich einfach treiben. Da es noch früh war, öffneten die Stande in den Souqs/Märkten erst, die Händler waren noch nicht eingestellt auf Frühaufsteher wie mich und ließen mich weitestgehend gewähren und meiner Wege gehen. Das Angebot hier ist reich, man findet alles, von Teppichen, Lampen, Gewürzen, Parfüm, Latschen, Messinggeschirr, Holzeinlegearbeiten und so vieles mehr. Dicht an dicht schmiegen sich die Geschäfte, die sich ab einem bestimmten Punkt kaum noch voneinander unterscheiden. Ich lief einfach, wusste bereits nach wenigen Minuten nicht mehr, wo ich mich befand. Es machte nichts, ich ließ mich berieseln, bestaunte diese Welt. Dann begannen die Händler doch, mich anzusprechen. „Qu’est que vous cherchez?“ Ich weiß auch nicht, was mich trieb, aber ich antwortete: „La verité.“ Das war ein großer Fehler. Zum einen verstand mein armer Händler nicht, was ich da gesagt hatte, zum anderen war es ihm auch egal, denn er versuchte, mich flugs in seinen Gewürzladen hinein zu ziehen. Ich musste lächeln, weil ich mich an Nabil erinnerte, der mir so glorreich mit Gewürzen ein kleines Vermögen aus der Tasche geleiert und mich so auf seine Art der Wahrheit ein kleines Stück näher gebracht hatte. Der Händler lächelte zurück, verstand aber, dass ich seine Ware nicht brauchte. Jetzt hatte ich verstanden, wie man mit der Aufdringlichkeit am ehesten hier umgehen kann. Ich habe seither immer gelächelt und zurück gegrüßt, wenn mich jemand auf seine Waren aufmerksam gemacht hat. Ich hatte den Eindruck, dass diese Höflichkeit durchaus zurückkam, auch wenn ich nichts gekauft habe. Manche Marokkaner haben dann auch einfach nur zurückgegrüßt und mir einen schönen Tag gewünscht. Es ist doch schön, wenn man so viel guter Laune begegnet.
Ich verlor mich also in den Souqs, irgendwann befand ich mich jedoch fast wieder an meinem Ausgangspunkt, auf dem Djemaa El-Fna. Wundervoll, alle Wege führen hier her. Ich versuchte mich jetzt ein wenig zu orientieren, doch das gestaltete sich schwieriger als gedacht. Ich lief ein Stück in die wie ich dachte richtige Richtung. Nach kurzer Zeit war ich aus dem Teil Marrakeschs für Touristen hinaus und befand mich in der Stadt, in der die Marokkaner leben. Kaum noch ein weißes Gesicht, nur noch Menschen arabischer Abstammung. Ich war übrigens auf der Suche nach Ali ben Youssef Medersa, doch statt im Norden zu suchen, gelangte ich auf mir völlig unbekannte Weise im Süden der Altstadt. Selten hat mich ein Ort mehr verwirrt, selten brauchte ich so lange, mich zu orientieren. Das war alles nicht schlimm, denn ich sah auf diese Weise viel von der Stadt abseits der Touristenwege. Zu einem Zeitpunkt befand ich mich in einem wahren Irrgarten von kleinen Gassen, die Menschen grüßten mich freundlich, wenn auch etwas verwundert, denn, was sie wussten, doch ich noch nicht, mein Weg führte mich über kurz oder lang in eine Sackgasse. Auch das machte nichts, ich schaute mir die prächtigen Türen an, die meist aus dunklem Holz mit schwarzen Eisennieten verziert waren, die sicher schon manches Jahrzehnt gesehen haben. Irgendwann fand ich den Weg, eigentlich hätte ich nur einmal quer über die Märkte gehen müssen, immer dem Hauptpfad folgend, doch das sind diese wundersamen Dinge im Leben. Manchmal weiß man eben nicht, wozu Umwege notwendig sind. Auch jetzt fand ich mein Ziel nicht sogleich, suchte noch ein wenig, doch bald stand ich wie durch ein Wunder direkt davor.

Souq und Medina Marrakesch

Bei der Medersa handelt es sich um eine ehemalige theologische Universität. Durch einen dunklen Flur kam ich in einen grandiosen Hof, der mich in allen Belangen an die Alhambra in Granada erinnerte. Herrliche Steinmetzarbeiten an den Wänden, ebenso Schnitzereien auf Zedernholz da drüber. Ich bewunderte diese Kunstwerke wie alle anderen auch mit offenem Mund und noch größeren Augen. Im Hof befindet sich ein Wasserbecken, dahinter ist ein riesiger, ebenso prächtiger Gebetsraum, so habe ich es zumindest verstanden. Oben in mehreren Galerien sind die ehemaligen Aufenthaltsräume für Schüler. Im Grunde sind es winzige Kammern, kaum größer als 2×2 Meter, insgesamt 132 davon. Jetzt aber kommt der Clou, zu den besten Zeiten wurden hier 900 Schüler gelehrt. Wie die hier untergebracht wurden, in den winzigen Zellen, von denen die meisten nicht einmal ein Fenster haben, ist mir ein Rätsel. Einige Zellen sind so hergerichtet wie vor vielleicht hundert Jahren, eine karge Einrichtung mit Koranhalter, Teekessel und einigen Schreibutensilien. Ich kann mir jedoch nicht vorstellen, dass dafür Platz gewesen sein soll. Aber egal.
In meinem Ticket war ebenfalls ein Besuch des Musée de Marrakech enthalten. Das war der nächste Höhepunkt, den ich jedem Besucher Marrakeschs empfehlen kann. Nicht so sehr wegen der Ausstellungsstücke, die sicher auch sehr interessant sind, sondern wegen der Atmosphäre. Das Museum ist in einem ehemaligen Palast eines reichen Marokkaners untergebracht. Durch einen erhabenen Hof gelangt man in das Museum, nach einigen hellen Fluren kommt man in die außergewöhnliche Halle, die früher sicher einmal nach oben hin offen war, heute aber geschlossen ist. Hier hörte ich schon vorher die traditionelle Musik, doch der Anblick des Hofes war genauso erstaunlich. Ein riesiger, sicher 3 Meter im Durchmesser großer Messingkrohnleuchter hing an der hohen Decke. Überall sonst hätte er erschlagend gewirkt, nicht aber hier im sicher 20×20 Meter großen Innenhof. Die Wände waren mit bunten Kacheln bedeckt, ebenso die Säulen. Auch hier fand ich kunstvolle Steinmetzarbeiten. Auch sprudelten hier munter drei Wasserfontänen, das passte einfach alles harmonisch zusammen. Ich setzte mich auf eine Stufe und genoss die Atmosphäre. Es war der perfekte Gegensatz zum Beginn des Tages, vom Gewimmel Marrakeschs losgelöst sozusagen. Als ich mich genug ausgeruht hatte, ging ich noch durch den Hamam des ehemaligen Palastes. Leider verstehe ich nicht viel davon, doch es muss ein sehr reicher Kaufmann gewesen sein, der sich seine eigenen Bäder leisten konnte. Hier war eine Fotoausstellung mit Bildern Marokkos aus den 30er Jahren. Ich weiß nicht warum, aber solche Fotos lassen mich immer an die Vergänglichkeit denken. Auf einem Foto war eine riesige Menschenmenge zu sehen und ich dachte daran, dass auf diesem Foto, auf dem so viel Lebendigkeit herrscht, kein einziger Mensch mehr am Leben ist. Aber das nur am Rande. Es waren interessante Bilder dabei, vor allem weil ich einige Orte bereits kannte. Sicher ist es jedoch eine temporäre Ausstellung. Die permanente besteht aus Keramik, Säbeln, Kleidungsstücken, sicher auch interessant, doch der Höhepunkt des Besuchs ist und bleibt der Innenhof und das Gebäude selbst.
Vor dem Museum ist noch das Koubba Ba’adiyn, dessen Funktion ich nicht ganz verstanden habe. Es ist eine Art zweistöckiger Turm, der in der Mitte ein flaches Bassin enthält. Meine spätere Recherche ergab, dass es sich um einen Ort der rituellen Waschungen handelte. Somit sind die Koubba und die Medersa die beiden Orte hier, die man als Nicht-Muslim eigentlich nicht anschauen darf. Ich war sehr froh darüber.

 Ali ben Youssef Medersa, Musée de Marrakech und Koubba Ba’adiyn

Wieder kehrte ich zu Djemaa El-Fna zurück und lunchte, natürlich eine Tajine. Danach nutze ich die Zeit für einen Kaffee und beobachtete einfach für eine Zeit die Leute. Es war bereits später Nachmittag, als ich aufbrach, um mir einen ungewöhnlichen Park anzuschauen, der auf dem Heimweg lag: Cyber Park Arsat Moulay Abdel Salam. Eigentlich ein Park aus dem 18. Jahrhundert, ist es jetzt, ja, ein Cyber Park. Neben dem üppigen und sehr gepflegten Garten, der Ruhe bietet und viel Grün samt Schatten und vielen Springbrunnen, befinden sich hier überall Internetterminals, die meist durch junge Marokkaner besetzt sind. Es ist ein faszinierender Ort, denn der Garten selbst ist durchaus im klassischen Stil gehalten. Damit nicht genug, gibt es hier WLAN gratis und wieder merkte ich, dass Moderne und Tradition hier wie selten zusammenpassen. Ein erstaunlicher Ort, denn so etwas habe ich selbst in Deutschland noch nicht gesehen. Wahrscheinlich wegen der abstrusen Internetgesetze, mit denen eine kontrollwütige deutsche Regierung versucht, die Gewohnheiten ihrer Bürger zu lenken. Hier, in Marrakesch, ist davon nichts zu spüren, hier kommen vor allem junge Menschen her und nutzen die modernen Technologien aus dieser unserer Zeit.
So beschloss ich den Tag und machte mich auf den Weg zurück zum Campingplatz. Morgen werde ich mich wieder ins Getümmel stürzen, am Montag dann aber sicher abfahren.

Cyber Park