Fahrt nach Pompeji

Es war gar nicht so schwer, Rom zu verlassen. Sicher ist das der Tatsache geschuldet, dass ich mir nun wirklich sehr viel Zeit genommen habe. Fünf ganze Tage lang habe ich Bekanntes und Unbekanntes besucht. Fünf Tage, an denen ich mich körperlich völlig überfordert habe, weil ich kaum Pausen machte. Das muss ich beim nächsten Mal wirklich anders planen, denn bereits gestern Abend um sieben konnte ich kaum einen Finger rühren. Auch heute bei der Fahrt merkte ich diese Strapaze noch. Dabei ist es kein schlechtes Gefühl, eher eines von einer Art Erfolg, etwas Erreichtes, Außergewöhnliches. Vielleicht weil ich die lange Fahrt vom Süden der Türkei auf mich genommen, die Überfahrt von Griechenland aus nach Ancona gewählt hatte und nicht nach Bari, also Kosten und Zeit investiert habe, um Rom zu sehen. Und das habe ich erreicht und jede Sekunde dabei genossen. Ich werde noch lange an diese Tage zurückdenken, die sicher eher am Ende der Fahrt nochmals ein echter Höhepunkt waren.

Heute war ich ausgesprochen wankelmütig. Ich hatte vor, nach Manfredonia zu fahren, einem Ort nördlich von Bari. Es schien mir eine gute Idee, denn Garmin zeigte diesen Ort auf der Fahrt in den Süden als Zwischenstation an. Allerdings hatte ich die Rechnung ohne die Hersteller des treuen Navis gemacht, denn das detaillierte Kartenmaterial hört einfach nach Neapel auf, was ich erst merkte, als ich losgefahren war. Das muss man sich einmal vorstellen, da schickt einen das Navi auf einen Umweg von 200 Kilometern, nur weil es die Straßen nicht kennt. Ich meine, natürlich tut es das, aber es ist nicht besonders vertrauenserweckend, oder? 20 Kilometer, nachdem ich Rom verlassen hatte, kam mir diese Idee, einfach die Strecke nochmals genauer unter die Lupe zu nehmen. Es war unglaublich. Kurz entschlossen änderte ich mein Ziel, plante in Pompeji einen Zwischenstopp ein und machte mich erneut auf den Weg. Nach ungefähr 80 weiteren Kilometern überlegte ich es mir wieder anders. So ein Kreuz. Ich stellte wieder Manfredonia ein, siehe da, ich hatte nichts verloren, denn der Abzweig nach Appulien lag noch weiter im Süden, ich hatte ihn noch nicht verpasst. Diese Entscheidung währte genau eine Viertelstunde, dann änderte ich wieder auf Pompeji. Pompeji deshalb, weil es dort noch Campingplätze gibt, die das ganze Jahr geöffnet haben. Auch stellten diese knapp 300 Kilometer eine angemessene Tagesetappe dar, nicht zu viel und doch ein gutes Stück in Richtung Sizilien. Ich kam vorbei an längst geschlossenen Ressorts, sah das erste Mal seit einer Woche das Meer wieder. Mir fiel erst auf, wie sehr ich es vermisst hatte, als ich es in der Ferne in der Sonne funkeln sah.

Garmin lotste mich sicher durch das Moloch Neapel. Das Schöne daran war, dass es mich eigentlich drum herum schickte, auf annehmbaren Schnellstraßen und so das Chaos umging. Zielsicher lenkte es mich und ich frage mich, wie viel Diesel und Nerven ich mit ihrer Hilfe bereits gespart habe. Denn nirgends entdeckte ich Schilder, die mich zum Campingplatz, geschweige denn zur Ausgrabungsstätte hätten führen können. Garmin schaffte es auch ohne. Nun bin ich hier, gegenüber der Geisterstadt, die 2000 Jahre lang nicht mehr bewohnt ist. Kann man das so sagen? Sicher. In jedem Fall werde ich sie Morgen nicht besuchen. Denn ich kenne sie schon zur Genüge. Zweimal war ich bereits hier. Was ich noch nicht kenne, ist Neapel. Ich muss gestehen, dass ich früher Bedenken hatte, diese Stadt zu besichtigen. Sie kam mir düster, mafiös und unheimlich vor. Das ist sie sicher auch, aber irgendwie schreckt es mich nicht mehr. Seit ich Roberto Savignanos Buch „Gomorrha“ gelesen habe, stelle ich auch eine gewisse Faszination fest. Auch bin ich heute bereits an Orten vorbeigekommen, die in dem Buch vorkommen, so denn meine Erinnerung mich nicht täuscht. Casale del Principe war in jedem Fall erwähnt. Heute bei Tageslicht haben sie natürlich nichts Erschreckendes, aber ich habe sie auch nur von der Schnellstraße aus gesehen. Fakt ist, dass der Süden Italiens sichtlich ärmer ist. Es geht kurz nach Rom los, plötzlich liegt mehr Müll auf den Straßen, die wesentlich mehr Schlaglöcher haben, die Häuser sehen nicht mehr erhaben gealtert, sondern einfach nur noch baufällig aus.

Nach einer längeren Phase des Ausruhens musste ich mich wieder bewegen. Anscheinend habe ich es mir so sehr angewöhnt zu laufen, dass ich mich wohlfühle, wenn ich nicht mindestens eine Stunde am Tag dazu verwende. Ich sah mir die Gegend rund um die Ausgrabungsstätte an. Eigentlich ist es eine hübsche, italienische Kleinstadt, aufgeräumt und sauber. Es gibt eine Reihe von Touristen-Restaurants, aber je weiter man sich von den Eingängen der Attraktionen entfernt, desto normaler wird die Gegend. Schlimmer ist die andere Richtung. Nur wenige Meter vom Haupteingang entfernt beginnt der Straßenstrich. Ich traute meinen Augen nicht, naiv wie ich bin wollte ich es nicht glauben. Aber da standen sie, die Nutten des Südens. Und dann kam die Erinnerung. Als ich vor fast 20 Jahren das erste Mal hier war, muss ich ebenfalls auf einem dieser Campingplätze logiert haben. Meine damalige Freundin und ich hatten uns gewundert, welch Verkehr in den platzeigenen Bungalows herrschte. Es waren letztlich nichts anderes als Stundenhotels. Wenigstens das scheint sich geändert zu haben.

Ich freue mich, morgen Neapel zu erkunden, zumindest werde ich einen ersten Eindruck bekommen. Die Idee, den Tag morgen nicht weiterzufahren, kam mir übrigens erst, als ich auf diesem Platz ankam. Es soll sicher so sein. Und Neapel ist sicher interessanter als Manfredonia. Wer kennt denn Zweiteres schon?