Anamur

Als wenn Nina den Sonnenschein mitgenommen hätte, wurde es heute Nacht merklich kühler. Vielleicht stimmt das aber nicht, denn sicher fehlte Wärme, doch ob das von den äußeren Umständen abhing, vermag ich nicht zu sagen. Auf alle Fälle musste ich zwei Decken nehmen, fror trotzdem, vor allem in den frühen Morgenstunden, kurz vor Sonnenaufgang, wenn die Nacht am kältesten ist. Ich erinnere mich kaum daran, wann ich das das letzte Mal erlebt habe. Vielleicht in Granada, Spanien, vor einem halben Jahr. Ich müsste zurückblättern. Das Schlafen und Frieren sind ein unbefriedigendes Gemisch, denn ich erwachte viel zu spät wie gerädert. Mein Vorhaben, ganz früh zu starten, war damit dahin. Erst gegen halb zehn verließ ich den Platz, diesmal endgültig. Natürlich fütterte ich Gouda vorher mit einer Scheibe des geliebten Industriekäses. Der Katze fehlte Nina ebenso wie mir, an mich traute sie sich nicht recht heran, was sie natürlich nicht davon abhielt, um Nahrung zu betteln.
Sieben Tage lang war dieser Platz im Nirgendwo mein Zuhause gewesen, doch anders als sonst in diesen Fällen war er nie zu einem Teil von mir geworden. Vielleicht lag das an den vielen Mücken, die trotz Gaze und Vorsicht immer wieder jeden Abend im Camper umherschwirrten. Wir erschlugen die meisten von ihnen, denn nichts ist so furchtbar wie das Surren diese Viecher im Halbschlaf. Es kann auch sein, dass die Tatsache, dass wir uns hier meist im Camper aufhielten, zu dieser Unpersönlichkeit des Platzes beigetragen hat. Schließlich habe ich nun mal meine vier Wände mit dabei, egal wo diese stehen. Das macht das Ganze so reizvoll.

Ich hatte einen Platz etwas südlich von Alanya gewählt, somit hatte ich nur etwa eine Stunde Fahrt eingeplant. Doch als ich diesen erreichte, zweifelte ich an meinem Verstand. Das war alles noch im Einzugsgebiet der letzten Woche, vom Strand aus konnte ich die Festung Alanyas sehen, wo Nina und ich vor wenigen Tagen noch gemeinsam nach Monaten ausgegangen waren. Natürlich wunderte ich mich über diese Schwäche, diese Sentimentalität, aber ich wollte nicht hierbleiben, dort, wo noch die Erinnerungen an diese ungewohnte und wundervolle gemeinsame Zeit klebten. Der nächste Schritt war also klar: weiter, und zwar richtig.
Vor mir lag eine Gebirgsstraße, mehr als Hundert Kilometer lang, aber es war noch nicht einmal elf, somit hatte ich Zeit. Auch war der Weg nicht mehr vollständig mit hässlichen modernen Hotels zugemauert, somit veränderte sich die Szenerie, was ich dringend brauchte. Tapetenwechsel. Diese hundert zusätzlichen Kilometer machten aus dem Tag einen echten Reisetag, denn ich benötigte mehr als drei Stunden dafür. Aber es machte Spaß, anders als sonst genoss ich die Fahrt, die heute genau das Richtige war. Langsam schlängelte ich mich die Felsen empor, die Straße war gut und kaum befahren. Immer wieder boten sich Ausblicke von schroffen Felsen, die ins Meer hinab zu stürzen scheinen. An einem dieser Orte lunchte ich, ohne Eile, denn ich hatte nichts weiter vor, als zu fahren. Die Sonne, die wieder schien, heilt sämtliche Trennungswunden. Aber das habe ich schon vor vielen Jahren gemerkt, selbst in den dunkelsten Stunden wirft die Sonne das Licht so stark auf einen, dass sämtliche Schatten verschwinden. Zumindest für eine Zeit.

Irgendwann aber wird auch eine solche Fahrt anstrengend. Genau in dem Moment, wo sie begann, mich zu nerven, näherte ich mich Anamur, dem Ort, der heute mein Zuhause werden sollte. Schon im Vorüberfahren merkte ich, dass er sehr langweilig ist, genau das Richtige also, um etwas zu arbeiten. Der Campingplatz selbst liegt ganz in der Nähe einer Festungsruine, die ich allerdings noch nicht erkundet habe. Denn nach einigen Minuten der Entspannung am Meer begann ich damit, meinen Roman durch das neue Korrekturprogramm zu jagen, das Nina mir mitgebracht hatte. Ich muss auf der einen Seite sagen, dass diese Anwendung beachtlich ist, denn es findet haufenweise Fehler. Auf der anderen Seite bin ich schockiert, wie viele es wirklich noch sind, denn ich habe die Geschichte sehr intensiv durchgearbeitet. Allerdings auf einem Sieben-Zoll-Monitor, und mein Interesse galt hauptsächlich dem Inhalt. Trotzdem schockierte es mich. Immerhin 30 Seiten schaffte ich in einer sehr langen Session und kann nun zumindest zuversichtlich sein, dass die meisten Fehler damit verschwinden. In den nächsten Tagen werde ich diese Arbeit abschließen, dann wäre es endlich soweit. In Zukunft werde ich diese abschließende Korrekturlesung nicht brauchen, denn sie wird stattfinden, während ich schreibe. Der Lerneffekt wird gewaltig sein, schon jetzt merke ich, dass ich immer wiederkehrende Fehler langsam selbst bemerke.

Nach dem Ende des Romans werde ich wieder einige Tage reisen, also mehr erleben. Und schließlich steht noch die Wahl für einen Aufenthaltsort aus, an dem ich die Fortsetzung schreiben möchte. Aber das dürfte meine Leser langsam langweilen, denn davon rede ich fast jeden Tag. Letztlich beschäftigt mich das.
Aber erst steht die Beendigung des ersten Teiles an, alles Weitere werden wir sehen.