Gorges Todra/Todra-Schlucht
Tag der Arbeit, ich möchte gar nicht daran denken, was jetzt gerade in Berlin los ist. Hier ist es ruhig. Und das gefällt mir.
Ich merkte heute Morgen mal wieder die Anstrengungen der letzten Tage. Meine schmerzenden Glieder wollten sich aber auch gar nicht aus dem Bett schälen, mein stetig angespannter Rücken jedoch zwang mich bald, es doch zu tun. Und heute wollte ich wieder wandern, ein spektakulärer Eselspfad lockte mit herrlichen Aussichten, die allerdings erst erklettert werden mussten. Es ging nicht anders, ich ließ mir etwas mehr Zeit als sonst. In der Nacht hatte es doch geregnet, soviel also zu der gestrigen Auskunft, hier regne es nicht. Ich erkundigte mich wieder, für heute sei nichts angesagt, nur strahlender Sonnenschein. Gegen 9:30 schnallte ich das Rad ab und machte mich auf den Weg Richtung Tizgui, das ich gestern eigentlich erwandern wollte. Die Straße glich eher einer Off-Road-Strecke und ein ums andere Mal musste ich mit einem gekonnten Schlenker einem mörderischen Schlagloch ausweichen. Bereits hier brannten mir die Schenkel, ich wollte gar nicht daran denken, was mich noch erwarten würde, also ignorierte ich es. Was ich nicht merkte, war die Tatsache, dass ich gestern weiter gekommen war, als ich gedacht hatte. Die wenigen Häuser entlang der Straße, denen ich mich am Vortag bis auf wenige Meter genähert hatte, bildeten den Ortseingang. Kaum zu glauben, dann waren es gestern doch ca. 6 bis 7 Kilometer gewesen, was mir bei meiner langsamen Geschwindigkeit nicht so vorgekommen war. Ich fuhr durch das recht ärmliche Dorf, bis die Schlucht immer enger wurde. Es war ein herrlicher Anblick, die Berge wuchsen auf mehrere Hundert Meter an, die Schlucht ist sicher keine 50 Meter breit. Leider störten am Eingang einige Bauarbeiten den Eindruck, doch davon darf ich mich nicht beeindrucken lassen. Die übermächtigen Felsen leuchtete rötlich, zerklüftet, steil stiegen sie in die Höhe. An einer Seite klebten einige Hotels und Restaurants, doch wirkten sie verschwindend klein im Vergleich zu den Bergen, die sich herausfordernd über ihnen wölbten und fast zu verschlingen drohten. Natürlich waren wieder einige Händler aktiv, die mit den üblichen Utensilien wie Dolchen, Tajinen, Teppichen, Teekannen usw. – natürlich mit bester Qualität in Marokko zu den besten Preisen – wie üblich Kunden an ihre Stände ziehen wollten. Sie probieren es auch bei Fahrradfahrern, wahrscheinlich in Erwartung einer lebensgefährlichen Vollbremsung, die man macht, nur um sich übers Ohr hauen zu lassen. Nein, einmal im Ernst, so schlimm war es nicht. Einige Einheimische winkten freundlich, als ich abgestiegen war, um das Szenario besser einzufangen, näherte sich ein besorgter Marokkaner, der mir anbot, mein Rad zu reparieren. Nun, es war nicht kaputt, daher lehnte ich mit einem Lächeln dankend ab und erklärte, dass ich so besser sehen könne. Das geschah mir mehr als einmal, wahrscheinlich bedeutet das Schieben eines Rades in Marokko einen ernsten Defekt desselben. Klar, sonst würde man ja nicht schieben, sondern fahren. Bevor mir mein fahrbarer Untersatz in der Bewegung auseinandergenommen wurde, kette ich es an ein Straßenschild. Das war unweit der Stelle, an der ich meine Tour beginnen wollte, den Pfad sah ich bereits von unten, das musste er sein. Auf was ich mich eingelassen hatte, konnte ich zu diesem Zeitpunkt noch nicht wissen. Laut Lonely Planet konnte es sich höchstens um 4 Kilometer handeln, es sah so aus als wenn man um die steilen Berge herum durch die Schluchten marschieren würde. Ganz sanft begann ein leichter Anstieg, den ich erst kaum wahrnahm. Erst eine halbe Stunde später, als die Straße hinter mir sich nicht nur entfernte, sondern auch hinunter zu fallen schien, merkte ich, dass ich doch gewaltig nach oben gegangen war. Die Sonne, die erst so glorreich geschienen hatte, war plötzlich nur noch ab und zu zu sehen, dafür türmten sich in der Entfernung gewaltige und dunkle Wolken, die wenig Gutes versprachen. Es wäre noch Zeit gewesen umzukehren, doch heute wollte ich nicht an so etwas denken. Schon gestern war ich wegen weniger Tropfen viel zu früh umgekehrt. Ich erreichte eine Stelle, an der es spürbar nach oben ging. In Serpentinen, die das Wandern erleichterten, schraubte ich mich langsam aber sichert nach oben. Dabei war ich froh, heute anderes Schuhwerk, nämlich echte Wanderschuhe, gewählt zu haben. Der Pfad war angefüllt mit Geröll, überall lagen Steine, der Weg nur durch eine schmale Sandfurche zu erkennen. Und mit diversen Exkrementen von Ziegen, Eseln und Schafen. So wusste ich wenigstens, dass ich richtig lag. Plötzlich, ich war schon weit oben, grollte es bedrohlich hinter mir, irgendwo entstand gerade ein kräftiges Gewitter, nein, nicht irgendwo, direkt hinter mir.
Laut der Karte konnte ich gar nicht mehr so weit vom nächsten Tal weg sein, so dass ich beschloss, einen Zahn zu zulegen, um dem Regen davon zulaufen. Ich ging fast an die Grenze meiner Belastbarkeit, war gehörig außer Atem, denn es ging immer noch ständig bergauf. Irgendwo hier muss ich auf einen Stein getreten sein, der mit allerhand Wucht gegen meinen linken Knöchel sauste. In diesen Momenten schreie ich immer innerlich, in Erwartung des Schmerzes, der mit Sicherheit meine Gehirnwindungen eine Sekunde später erreicht. So auch jetzt, es tat weh, sehr sogar. Hinter mir machte sich das Gewitter wieder durch ein gewaltiges Donnern bemerkbar und erinnerte mich daran, jetzt nicht schlappzumachen. Ich lief also weiter, bis ich eine Art Plateau erreichte. Ich war am Scheitelpunkt und mächtig stolz darauf. Ich suchte nach dem Weg, der mich weiter führen sollte. Ich meinte, ihn entdeckt zu haben, leider lag ich falsch. Schon bald tapste ich über die Felsen, sah so manche aufgeschreckte Schlange ein neues Versteck suchen und kämpfte mich auf diese Weise zur Spitze des nächsten Hügels. Die Aussicht hier oben ist spektakulär, unter mir erstreckte sich Tizgui, mein eigentliches Ziel. Das Gewitter war in der Schlucht hinter mir zurückgeblieben, die Sonne schien auf die Berge gegenüber. Ich konnte kilometerweit sehen, erblickte andere Bergformationen in der Ferne. Allein für diese Aussicht waren alle Strapaze vergessen. Ich lief noch ein wenig weiter, doch einen Pfad konnte ich nicht mehr finden. Nach einer kurzen Rast beschloss ich, wieder zurückzugehen, als ich nach unten blickte. Auf den Schieferformationen unter meinen Füßen waren eindeutig Versteinerungen zu sehen. Hier ging ich also wie die Einheimischen auf Fossilienjagd. Zum Glück habe ich immer ein altes, abgeschabtes Messer dabei, das sich für solche Aktionen bestens eignet. Ich trennte so manche Schieferplatte ab, fand dabei einige kleine Abdrücke von Pflanzen. Schon als Kind hatte mich so etwas fasziniert, ich kann mich an Urlaube mit meinen Eltern erinnern, in denen wir, vornehmlich mit meinem Vater, Steine erkundet hatten, um vielleicht ein Zeichen aus fernster Vergangenheit zu finden. Damals hatten wir selten Glück, meist kauften wir eine versteinerte Schnecke oder dergleichen von Einheimischen. Aber heute war ich erfolgreicher, zwar waren es nur Pflanzenabdrücke, auch keine sehr großen, dafür hatte ich sie selbst gefunden. Sie werden sicher ein schönes Souvenir, das ich für mich aus Marokko mitbringen werde.
Zufrieden mit mir selbst machte ich mich auf den Heimweg. Ich sah sogar ein Berberzelt an einem anderen Pfad gegenüber dem Hügel, auf dem ich stand. Jetzt weiß ich, dass es der Pfad gewesen wäre, der mich nach Tizgui gebracht hätte, ich habe schlichtweg rechts und links verwechselt. Vielleicht war es besser so, denn sobald ich auf dem Weg nach unten war, begann es zu tropfen. Ich lief schneller, knickte dabei öfter um, so dass sich meine Gelenke bald wie Gelee anfühlten, meine Bänder wie ausgedehnte Gummibänder. Letztlich blieb es bei den wenigen Tropfen und ich erreichte sehr schnell mein Fahrrad, das ich wieder durch die enge Schlucht schob. Wieder bekam ich eine Menge Reparaturangebote, so dass ich irgendwann einsah, dass ein Fahrrad nicht zum Schieben da ist. Jetzt merkte ich langsam die körperliche Anstrengung, doch da es fast nur noch abwärts ging, erreichte ich den Zeltplatz mit so ziemlich der letzten mir zur Verfügung stehenden Kraft. Hier bin ich jetzt, erhole mich langsam und plane gerade meine letzten Tage in Marokko. Es sind nicht mehr viele, doch bin ich noch lange nicht soweit, ein Fazit zu ziehen. Das tue ich erst auf der Fähre Richtung Spanien. Erst genieße ich weiter die Schönheit um mich herum, die ich heute wieder in seiner ganzen Pracht habe sehen dürfen.
Ich bin glücklich.