Izmir

Ich erwachte und war stinksauer. Keine Ahnung warum, aber meine Laune war auf dem Nullpunkt. Keine Depression oder Traurigkeit, sondern pure Raserei. Ich ließ sie an meinem Körper aus, machte Liegestütze und Sit-Ups, aber ohne rechte Wirkung. Vielleicht lag es am Wetter, schwüle Wärme mit hoher Luftfeuchtigkeit, die mir auf dieser Reise schon mehr als einmal zu schaffen gemacht hat. Es hatte den Vorteil, dass ich wieder Sandalen anziehen konnte.

Es hieß aber auch, dass der heutige Tag ganz anders verlaufen würde.
Als wenn ich Freizeit eingelegt hätte. Dabei begann alles recht normal, ich stand trotz meiner Wut auf, arbeitete erfolgreich und bereitete mich danach erneut auf die Stadt vor. Dabei ließ ich mir Zeit, so viel Zeit, dass es nicht normal war. Ich weiß nicht warum, aber meine Disziplin fordert von mir, etwas zu erleben, den Tag sinnvoll zu füllen, Sachen zu erfahren und mir Gedanken zu machen. Warum eigentlich? Es ist so erstaunlich. Als würde ich arbeiten, jemandem Rechenschaft ablegen müssen. Wahrscheinlich ist es auch so, nur dass nicht irgendein gemäßigt-talentierter Chef mein Bewerter ist, sondern ich selbst. Schlimm genug. Eigentlich viel schlimmer, denn ich kann es beurteilen und bin mit mir so streng wie niemand sonst. Kritisiert werde ich von mir immer, gelobt nie, so mache ich das. Wenn ich etwas geschafft habe, belohne ich mich selbst mit etwas mehr Vertrauen. Die einzige Art also der Führung und Motivation.
Also gebe ich zu, dass ich heute einen Moment der Schwäche hatte, ein Augenblick, an dem ich entschied, mich heute einfach nur im Shoppingzentrum herumzutreiben. Auf halbem Wege nach Izmir war eines davon, ich sagte mir, dass das auch kulturell interessant ist. Einfach zu sehen, ob es einen Unterschied beim Einkaufen gibt. Gibt es nicht. Hier heißt es Kipa, dort Tesco, also traf ich auf einen alten Bekannten.
Ansonsten sah es genauso aus wie sonst, teure Geschäfte um einen Hypermarché. Auch einen Elektronikladen fand ich, die Kette „Best Buy“. Internationaler Standard, selbst wenn ich feststelle, dass die meisten Laptops noch nicht so ausgerüstet sind wie die in Deutschland. Ansonsten sieht alles gleich aus, modern, zeitgemäß. Ich schlenderte also durch die sauberen Hallen, eine Wohltat nach all den Monaten der Basare und historischen Zentren. Paolo Coellho hat es in seinem Buch „Die Hexe von Portobello“ beschrieben. Manchmal muss man gegen den Rhythmus tanzen, um ihn zu stören und um Neues zu entdecken. Soweit möchte ich nicht gehen, trotzdem tat es mir gut. Ich kaufte zwei Hemden, sicher englische Marken genäht in Indien, dann fiel mir nichts mehr ein. Also weitere Zerstreuung, das Kino befand sich im zweiten Stock. Seit Anfang des Jahres habe ich keinen Film mehr im Kino gesehen, sicher gönnte ich mir ab und zu auf meinem Eee PC einen Film. Jeder, der sich so etwas schon einmal auf einem Sieben-Zoll-Monitor angetan hat, weiß, wovon ich rede.
Um 14 Uhr begann er, Leonardo Di Caprio in Interception. Es war eine unterhaltende Show, so viel kann ich sagen.
Auf den Toiletten waren riesige Spiegel, ich machte mir den Spaß, einmal hineinzuschauen. Ich sah einen bärtigen Mann, der mir aus einem dürren Gesicht entgegen starrte. Das Hemd fleckig und zerknittert, das Gesicht ebenfalls. Es dauerte eine Sekunde, bevor ich mich wiedererkannte. Ich denke, es ist das Privileg der Single-Männer, so auszusehen, auch wenn das auf mich eigentlich nicht zutrifft, doch ist Nina so weit entfernt, dass es nicht zählt. Zum Glück habe ich wenigstens die neuen Hemden, um vielleicht etwas gepflegter zu erscheinen. Auch wenn das meines Erachtens nur ein Tropfen auf den heißen Stein wäre. Eine Rasur würde sicher Wunder bewirken, aber dazu habe ich keine Lust. Das hat noch einige Monate Zeit.

Ich weiß, eigentlich braucht man solch einen Tag kaum zu erwähnen, doch mache ich es trotzdem, denn er sticht so sehr aus allen anderen heraus.
Nun, ganz gegen den Rhythmus tanzte ich nicht, denn ich schaffte ein gutes Stück Lektorat.
Morgen besuche ich Izmir wieder, danach weiß ich noch nicht wohin. Hier regnet es sehr oft, bei Antalya soll es besser sein. Aber die Gegend wollte ich eigentlich mit Nina gemeinsam erkunden. Wir werden sehen.