Catania

Es ist überhaupt nichts anders. Fakt ist, dass ich in den Wochen, in denen ich mich dem Nichtstun hingegeben habe, meine Arbeitsroutine komplett verloren habe. Ich werde sie mühsam wieder zurückgewinnen müssen.

Heute schlug ich die Augen auf und staunte beim Blick auf die Uhr. Halb zehn. In wenigen Stunden würde es bereits wieder dunkel werden, so etwas ist unverzeihlich. Da es nun aber so war, wie es war, konnte ich mich in Ruhe um einige dringende Angelegenheiten kümmern. Frei nach dem Motto: Der Tag ist sowieso gelaufen. War er übrigens gar nicht, aber dazu später.
Ich habe Ninas Weihnachtsgeschenk gekauft. Und meines gleich mit dazu, denn ich habe ein Flugticket gekauft. Das heißt aber auch, dass ich noch einen Monat in Sizilien bleiben muss, denn sie kommt erst am 9. Januar an. Macht nichts, bis dahin bin ich vielleicht wieder so etwas wie ein Schriftsteller. Es war übrigens recht leicht, den Urlaub für sie zu beantragen. Über eine Kollegin hat es funktioniert. Und auch wird das Geschenk in Form eines E-Tickets würdig verpackt sein, denn eine gute Freundin erledigt das für mich. Was wäre ich ohne meine Frauen. Auf die ist wenigstens Verlass. Ganz anders als auf mich.

Nachdem alles erledigt war – die ganze Prozedur hat sicher nur zwanzig Minuten gedauert – war es gerade elf und ich beschloss, doch noch einmal in die Stadt zu laufen. Es stellte sich gar nicht als besonders weit heraus, vielleicht vier bis fünf Kilometer. Doch ich merke langsam, dass es allmählich zu viel wird. Auf der anderen Seite ist es eine schöne Übung, jeden Tag zehn bis fünfzehn Kilometer zu laufen. Vielleicht macht es mir eines Tages nichts mehr aus, dann kann ich gehen, soweit ich will.

Cartania zeigte ihre Reize nicht sofort. Erst musste ich an ziemlich hässlichen Neubauten vorbei, aber das ist nichts Ungewöhnliches. Auch die Felsen vor dem Meer aus schwarzem, zerklüftetem Lavagestein, waren nicht sehr ansehnlich, weil sie mit allerlei Müll geschmückt sind. Sonst hätte es durchaus seinen Reiz, sie geben dem Ort etwas Düsteres. Irgendwann erreichte ich eine Hauptstraße, die mich ins noch recht weit entfernte Zentrum bringen sollte. Der Verkehr war italienisch chaotisch. Zu allem Überfluss demonstrierten Studenten. Das hatte ich fast vergessen, es war wieder einmal Zeit, gegen Berlusconi zu demonstrieren. Der alte Gauner hat es geschafft, einen weiteren Skandal zu überleben. Mittlerweile ist es egal, denn seine Haut dürfte so dick sein wie die eines Elefanten. Den tragen sie mit den Füßen zuerst aus dem Parlament. Auch wenn die Studenten das anders sehen, oder besser anders sehen wollen.
Der Corso Italia zog sich hin, auf der kleinen Karte sah das alles viel näher aus. Irgendwann erreichte ich die Via Etna, nun war es wirklich nicht mehr weit. Ein Espresso stärkte mich,trotzdem gönnte ich mir eine Pause. Langsam wurde Catania interessanter. Die Gebäude sahen historischer aus, was hier heißt barocker, denn ein Erdbeben im siebzehnten Jahrhundert hat Stadtplanern die Möglichkeit gegeben, das Zentrum nach ihren Vorstellungen neu aufzubauen. Als neu kann man es allerdings nicht bezeichnen. Es ist eher charmant-verrucht, abgebröckelt und etwas ruinös. Mir gefällt es. Als Erstes erreichte ich einen Platz mit dem römischen Amphitheater, oder besser eines Viertels davon. Es befindet sich mehrere Meter unter Straßenniveau, die Seiten verschwinden wieder jeweils im Erdreich und ich vermute, dass das Theater unter den Häusern Catanias natürlich weiter geht. Die Römer haben immer das Material genutzt, was vor Ort zur Verfügung stand, so wundert es also nicht, dass das Amphitheater pechrabenschwarz ist, eben aus dem üblichen Vulkangestein.

Ich lief weiter zum Domplatz. Die Kirche dort riss mich nicht vom Hocker, Barock eben, für mich die schlimmste sakrale Bauform. Mir fallen dazu immer nur fette Putten ein, die in eigenartigen Posen heilig blickende Märtyrer umfliegen. Das färbt auch auf die Architektur ab. Finde ich. Aber ich entdeckte einen Markt, über den ich schlenderte. Er war nicht so reich bestückt wie in der Provence, aber ganz sicher voller frischer Waren. Das Wintergemüse leuchtete jedenfalls prächtig. Am berühmten Fischmarkt bin ich leider vorbeigelaufen, den fand ich erst, als bereits abgebaut war. Aber ich bin ja noch etwas hier.
Ich lief einfach ein wenig weiter, einen Hügel hinauf. Das römische Theater ist zwar ab und zu zu sehen, aber den Eingang fand ich nicht. Es war mir allerdings auch nicht so wichtig. Zu viele Theater habe ich im letzten Jahr gesehen. Aber einen schönen Platz entdeckte ich, Piazza Dante, gegenüber einer wuchtigen, wenn auch schmucklosen Kirche. Der Platz erinnerte mich an den Royal Crescent in Bath, sicher nur sehr entfernt, er hatte einfach nur dieselbe Form. Doch er war sonnenüberflutet, strahlte etwas Freundliches und Erhabenes aus, etwas, das aus der Dunkelheit der Stadt herausragte.

Auf der Suche nach dem Hafen musste ich durch einige sehr hässliche Straßen hindurch, letztlich kehrte ich wegen Unzumutbarkeit um. Irgendwie stank alles nach Urin. Ich hielt noch bei der Touristeninformation, die mich sehr freundlich bediente. Ich bekam sogar einen sizilianischen Kuchen geschenkt, will heißen, eher einen kleinen Keks, mit Marzipan, der locker und leicht im Mund zerschmolz. Die notwendigen Informationen über Fahrten zum Ätna, Taormina und Syracuse bekam ich obendrein.
Es war mittlerweile bereits später Nachmittag, so dass ich beschloss zurückzulaufen. Als ich wieder beim Camper ankam, merkte ich die vielen Kilometer, die ich gelaufen war. Aber ich weiß, dass das keine schlechte Sache ist.
Was ich morgen mache, weiß ich noch nicht. Ich habe viel Zeit. Vielleicht umrunde ich den Vulkan, was anscheinend mit einer privaten Bahnfahrt zu machen ist. Oder ich fahre nach Taormina, wozu es eine Kindheitsgeschichte von mir gibt. Aber mehr will ich noch nicht verraten.
Beides setzt voraus, dass ich rechtzeitig aufstehe. Auf der anderen Seite möchte ich endlich wieder schreiben. Mal sehen, wofür ich mich entscheide.