Villach
Jetzt reicht es langsam. Es ist alles so wunderbar hier, so beschaulich und ruhig. Aber das beginnt, mich langsam zu langweilen. Die Reiseliteratur, die ich bestellt habe, war pünktlichst da, eine gute Gelegenheit auch, weitere Bücher für die Fahrt zu tanken. Es ist ja ein schönes Zentrum, hier in Villach, die Ein-Euro-Shops befinden sich gleich neben den Modeboutiquen, also alles wie in Deutschland. Genau so wie das Discounter-Wettrennen. Wer bietet das beste Schnäppchen? Das greift aber langsam auch auf die anderen mitteleuropäischen Länder über, doch nirgends sonst ist es so schlimm wie in Deutschland. Und Österreich.
Nach meinem Spaziergang in Villach entschied ich mich für eine Fahrradtour zum Ossiacher See. Ich folgte meinem Stadtplan durch die Kleinstadt, war dabei manchmal mehr als verwirrt. Es war eine mehr als schlechte Wahl an diesem Tag, denn wieder einmal erreichte das Thermometer 35 Grad und ich verfuhr mich oft. Irgendwann war ich an einem kleinen See, an dem ich auch vorbei musste, leider befand ich mich auf der falschen Seite, denn der eigentliche Weg lag irgendwo gegenüber. Aber es gab einen kleinen Trampelpfad durch den Wald, die Wurzeln schauten überall heraus, so dass ich mich entschied zu schieben. Anders wäre es auch nicht gegangen, zumindest nicht bei mir, denn ich muss an meine verminderte Krankenversicherung denken.
Ich kämpfte mich also durch das Unterholz, stolperte manchmal mehr als ich lief, das Fahrrad immer fest im Griff. Dann kam eine Stelle, die außerordentlich matschig war. Ich erinnerte mich an die Szene vor ca. zwei Wochen, bei der meine Sandalen daran glauben mussten, also war ich diesmal vorsichtiger und achtete genau auf meine Schritte. Hätte ich auch mal auf das Fahrrad geachtet, wäre es perfekt gewesen. So aber traf das Zweirad auf eine widerspenstige Wurzel, mein Griff lockerte sich eine Sekunde lang und plötzlich lag ich im Dreck, das Fahrrad unter mir. Ich muss es genauer beschreiben, eigentlich stand ich auf allen Vieren, die Hände tief im Matsch, den Hintern weit nach oben gestreckt, denn ich wollte den Kontakt mit dem Drahtesel vermeiden. Gut und schön, denn das Aufstehen entpuppte sich als schwierig, denn meine Hände versanken immer tiefer im Morast. Es war sicher ein lustiges Schauspiel, doch außer einer Waldmaus und ein paar Libellen hatte ich keine Zeugen. Allerdings hätte ich jemanden gebraucht, der mich am Kragen gepackt und heraus gezogen hätte.
Irgendwann hatte ich es allein geschafft, zum Glück konnte ich mir im See die Hände waschen, es sah schon komisch aus. Nach dieser Erfahrung brauchte ich eine Pause, fühlte mich dabei etwas verloren. Denn nach meiner Berechnung hätte ich eigentlich den gelobten Weg bereits erreicht haben müssen. Wenigstens war es schattig. Drei Richtungen konnte ich von hier einschlagen, überall gab es kleine Trampelpfade. Ich hatte mich eigentlich schon für einen entschieden, drehte mich aber plötzlich um und schob das Rad mühsam einen Hang hinauf. Und da war er plötzlich, keine zehn Meter von meinem Picknickplatz entfernt. Es ist schon erstaunlich, dass man im Wald so gut wie überhaupt nichts sieht. Varus, ich kann dich verstehen. Allerdings bin ich allein hier, du hast was weiß ich wie viele deiner Leute mitgenommen.
Jetzt brannte es wirklich vom Himmel hinunter. Langsam trat ich in die Pedale, Meter für Meter. Wer macht denn so etwas? Als ich am See ankam, war ich enttäuscht. Ich hatte eine gewaltige Uferterrasse erwartet, sehnte mich nach einem Eis. Alles, was ich jedoch sah, war ein Fährsteg. Der Blick auf den See war auch nicht besser, wannseemäßig, mit einigen Fähren, ansonsten in der Ferne Sonnenschirme, gegenüber eine Seilbahn, die auf einen beachtlichen Berg hinauffuhr. Wahrscheinlich hätte ich noch weiter am Ufer entlang fahren müssen, um zu meinem Eis zu kommen, aber ich hatte heute noch einiges vor. Also trat ich den Rückweg an, der sich hinzog. Aber es war recht nett, immer entlang am Fluss.
In welchem Zustand ich am Campingplatz ankam, möchte ich nicht beschreiben. Es war erbärmlich. Eine zehn-minütige kalte Dusche brauchte ich, um mich wieder wie ein Mensch zu fühlen. Das Schlimme war jetzt, dass ich mit dem Auto los musste, das mitten in der Sonne jeden einzelnen Strahl sorgfältig aufgenommen hatte. Drinnen war es schweißtreibend, allein das Hineinschauen bewirkte Wasseraustritt aus allen Poren.
Es half nichts, wenigstens war das Lenkrad im Schatten gewesen. Man freut sich ja an den kleinsten Dingen im Leben.
Es waren Kleinigkeiten, die ich zu erledigen hatte. Die Gasflasche ist doch wieder gefüllt (ein Geschäft für Campingartikel machte es letztlich), die Vorräte aufgestockt, Sonnencreme gekauft, die auch einem griechischen Spätsommer standhalten kann. Und eine Autobahn-Vignette für Slowenien habe ich jetzt auch. Unglaublich. 30 Euro wollen die slowenischen Staatsräuber für einen Monat auf ihren wenigen Straßen. Selbst die Österreicher sind nicht so unverschämt.
Ich fragte an einer Tankstelle nach „dieser slowenischen Plakette“.
„Sie meinen Vignette“
Sorry, you old fart.
„Klar, Vignette“
Er zeigte mir dann, wo ich das Ding ankleben sollte.
„Ach, übrigens, Ihre österreichische klebt falsch, die gehört 30 Zentimeter höher.“
Und was soll ich nun machen?
Gar nichts, er wollte mich nur darauf hinweisen.
Es wird Zeit, dass ich das Land der übertriebenen Ordnung verlasse. Es hat alles seine Richtigkeit. Individualität aber auch.
Ich freue mich morgen auf diesen Teil der Reise. Ich erhoffe mir, von einem seit Marokko sehr erschlossenen Gebiet endlich in Länder zu fahren, die noch nicht in eine Tourismus-Routine übergegangen sind. Ich werde sehen, was mich erwartet.
Es ist alles vorbereitet, eigentlich kann nichts mehr schief gehen.