Athen

Man spürt, wie sie vibriert. Diese Stadt lebt, die Menschen in ihr ebenfalls. Und sie sind wie alle Mediterranen sehr laut. Schon um sieben schwoll der Verkehr so hörbar an, dass an Schlafen eigentlich kaum noch zu denken war. Mir war es recht, auch wenn ich noch eine Weile mit dem Aufstehen kämpfte. Wie ich es nun auf dieser Reise oft erlebt habe, hebt und senkt sich mein Energielevel und im Augenblick bin ich leider etwas von der Vigorosität der letzten Tage entfernt. Nach einem ausführlichen Frühstück und der Morgenlektüre meines am Strand erstandenen Buches machte ich mich gegen halb zehn auf in die Stadt. Der Platz ist eigentlich nur sieben Kilometer entfernt vom Zentrum, aber schon bei meinem Spaziergang gestern merkte ich, dass Fahrradfahren hier etwas für Suicidgefährdete wäre. Mörderisch, beinahe wie in Albanien. Aber es gab Ersatz, der Bus hält direkt vor dem Platz und brachte mich direkt in die Stadt.

Hier unterschätzte ich Athen dann gewaltig. Ohne Plan lief ich einfach los, was im Allgemeinen zum Erfolg führt, denn irgendwann stößt man auf Orte, die man identifizieren kann. „Man“ vielleicht, ich nicht und schon gar nicht heute, obwohl ich schon mehrmals hier war. Stattdessen irrte ich in der Gegend umher, sah mir Athen an, von dem ich jetzt sagen kann, dass es eigentlich keine sehr schöne Stadt ist. In Italien laden mich oft Cafés ein, um einfach zu verweilen, in Spanien und Frankreich ebenso. Hier nicht, die Häuser sind alle Betonklötzer mit dem Charme von Riesenratten, draußen liegt der Smog fast auf der Straße, kreischender Mopedlärm kommt von überall her. Ich kann jetzt schon sagen, dass ich ganz sicher niemals in Athen leben werde, die Stadt ist mir zu nervös, und zwar nicht im positiven Sinne.

Dass ich mich verirrt hatte, war natürlich meine eigene Schuld. Eine solch große Stadt erkundet man nicht ohne Plan. Und ich schon gar nicht. Nachdem ich einen Hügel hinauf gewandert war, in der Hoffnung, dass auf dem Berg vor mir endlich die Akropolis zum Vorschein kommen würde, stellte ich fest, dass ich eben nicht auf die Akropolis zulief, sondern auf einen anderen mit einer kleinen Kapelle auf der Spitze. Ich weiß jetzt, dass es sich um den Likavitus-Hügel handelte, der sicher auch seine Reize hat, aber nun wirklich nicht mein Ziel war. Also wendete ich, meinen ursprünglichen Weg fand ich natürlich nicht mehr, zu oft war ich bereits abgebogen, doch irgendwann stand ich vor einem Buchladen, den ich wiedererkannte. Dort erstand ich einen Plan, stellte fest, dass ich die ganze Zeit um das Zentrum herum gelaufen war, mich später dann sogar davon entfernt hatte. Von nun an begriff ich Athen.

Zuerst wanderte ich auf Monastiraki zu, eine gewaltige Touristenmeile. Jetzt entdeckte ich auch die Akropolis, schön sie wiederzusehen. Aber auch hier wirkte Athen nicht auf mich. Meine Besuche hier waren immer sehr kurz gewesen, so dass ich niemals Zeit hatte, auch über den Tellerrand zu schauen, so wie heute. Touristen standen mir im Weg, die Restaurants versorgten sie mit völlig überteuerten und nicht gerade köstlich aussehenden Gerichten, in den Geschäften gab es nur das übliche, Vasen und Büsten, also das, was es schon seit Jahrzehnten zu kaufen gibt. Ich lief weiter auf Keramikos zum alten Friedhof, der schon seit Jahrtausenden in Gebrauch ist. Er liegt weit unter Straßenniveau, so dass man einen guten Blick von oben auf ihn hat, der wahrscheinlich sogar besser ist, als wenn man die Stätte selbst besucht. Zumindest sage ich mir das, denn mir genügte heute der Blick von oben.
Ich wollte eigentlich etwas anderes. Ich würde den Akropolis-Hügel einmal umrunden, was gut funktioniert, denn rund herum gibt es reine Fußgängerwege. Dass es sich um solche handelt, haben die meisten Mopedfahrer aber noch nicht verstanden, sonst hätte ich heute nicht so oft zur Seite springen müssen. Aber ich habe überlebt.

Ich war schon öfter auf der Akropolis, habe von dort immer ein eigenartiges Monument gesehen, auf dem Hügel gegenüber. Dort wollte ich hin. Ein strammer Marsch auf den Filopappou-Hügel brachte mich ganz nach oben. Es hatte sich gelohnt, denn der Ausblick auf die Stadt ist großartig, besser sogar als von der Akropolis aus, die man von hier in ihrer ganzen Pracht sehen kann. Das Monument, das mich interessierte, entpuppte sich als römisches Grabbild, recht interessant. Was mich aber mehr beeindruckte, war der Blick auf Piräus. Dort war er, der Hafen meiner Träume, von wo aus man einfach ein Schiff in beinahe alle Himmelsrichtungen nehmen kann. Wo man frei ist in seiner Entscheidung, wo man langsam reisen und somit die Reise selbst genießen kann. Es ist eigentlich schade, dass ich dieses Jahr nicht auf eine der Inseln fahre, aber der Camper stellt sich hier als echtes Hindernis heraus. Da kann man nichts machen.

Ich las dort oben noch etwas im 20 Jahre alten Rough Guide. Dieser teilte mir mit, dass man den Park, in dem ich gerade saß, unbedingt in der Nacht meiden sollte, weil er berüchtigt für Überfälle und Vergewaltigungen wäre. Just in diesem Moment tauchte eine ziemlich zwielichtige Gestalt auf. Ich machte, dass ich davon kam. Sicher ist sicher, obwohl ich davon ausgehe, dass sich in den letzten zwei Jahrzehnten eine Menge getan hat, zumal die Touristenmeile gleich am Eingang des Parks entlang läuft. Der folgte ich, einige „Touts“ versuchten die alte Masche, fragten, ob die Akropolis geöffnet habe und woher ich stamme. Ach, Deutschland, Berlin, meine Frau arbeitete dort, bei Volkswagen in der Fabrik. Klar, und im Himmel ist Jahrmarkt. Zu dumm, dass ich fast ein Jahrzehnt in dieser Branche gearbeitet habe und weiß, wo wer was produziert. Ich setzte nur mein Marokkolächeln auf und lief einfach weiter.

Auch wenn die Hitzewelle erst einmal vorbei zu sein scheint, merkte ich doch, dass ich seit vielen Stunden unterwegs war. Ich fand mich in einer riesigen Einkaufsstraße wieder, wo die viel zitierte Krise anscheinend noch nicht angekommen ist. Die Cafés waren voll, die Läden auch. Ich wollte mich ausruhen und etwas schreiben, auch brauchte ich dringend einen Koffeinschub. Ich machte es heute mal anders, kaufte mir ein Frappe und setzte mich in einen kleinen Park vor dem Parlament. Das ist anscheinend Flirting-Area, denn ich wurde mehrfach gestört, ohne allerdings so recht mitzukriegen, worum es wirklich ging. Also etwas direkter hätten Sie schon sein können, meine Damen. Schließlich arbeite ich und dann bin ich etwas schwer von Begriff, wenn ich unsanft aus meinen Gedanken gerissen werde. So also kam ich unbeschadet aus der Zone heraus. So ein Mist. Wenigstens gab es Gratis-Internet. Ein schwacher Trost.

Morgen sehe ich mir das archäologische Museum an, das berühmt ist. Mehr nehme ich mir noch nicht vor.