Rabat

Was für ein Tag, der gerade zur Neige geht. Ich sitze hier nach 11 Stunden Erlebnis pur und versuche meine Gedanken zu ordnen. Langsam gehe ich wieder zum Beginn, zum Morgen, der so weit entfernt scheint. Um 6:30 hatte ich genug geschlafen, denn so langsam gewöhne ich mich an den Rhythmus hier. Ich habe mich nicht sehr beeilt, bin aber vor acht aufgebrochen Es hat etwas, durch eine Stadt zu laufen, die vor Leben schäumt, so wie am Tag zuvor. Durch eine Stadt zu wandern, die gerade erst aufwacht, ist mindestens genauso schön. Langsam öffnen die Leute ihre Läden, manche sitzen bereist im Café, aber nur sehr wenige. Allgemein war fast nichts los und sogar der Verkehr war um die Zeit kaum der Rede wert.
Das Ticket nach Rabat hatte ich sehr schnell in der Tasche, auch im richtigen Zug saß ich kurz darauf, dank der Hilfe eines Marokkaners, der sicher stellte, dass ich mich nicht verlief. Der Zug fuhr pünktlich ab, es war eine angenehme Fahrt im vollklimatisierten, sauberen Abteil. Besser kann öffentlicher Personenverkehr nicht sein, dachte ich mir. Beim Hinausschauen hatte ich die Gelegenheit, mir die Landschaft anzuschauen. Die Farben Marokkos leuchteten mir von überall entgegen, der rote Sand, der sich von der dunkelgrünen Natur abhebt, die wiederum den blauen Himmel kontrastiert. Was für ein schönes Land wäre es, wenn nicht der viele Müll überall herumliegen würde. Besonders Plastiktüten scheinen ihren Weg überall hinzufinden. Auch fielen mir das erste Mal Slums auf, Wellblechhütten, die dicht an dicht standen, merkwürdigerweise alle mit einer Satellitenschüssel auf dem Dach.
Als ich angekommen war, überraschte mich Rabat, denn nicht etwa hatte ich eine arabische Stadt vor mir, wie ich es erwartet hatte, sondern eine westliche Metropole mit moderner Architektur. Auch die Menschen schienen anders, ich wurde kaum beachtet, eine Wohltat nach den vergangenen Tagen, in denen ich nie ohne Aufmerksamkeit zu erregen an jemandem vorbei gehen konnte.
Natürlich hatte ich keine Ahnung, wo ich war, bzw. dachte, ich wäre ganz woanders. Als ich nach dem Weg fragte, gab mir eine ältere Dame den Tipp, lieber ein Taxi zu nehmen, ansonsten wäre es zu kompliziert.
Das tat ich auch, wobei der Taxifahrer mich etwas spöttisch anschaute. Warum er das tat, merkte ich eine Minute später, denn jetzt merkte ich, dass ich bereits mitten in der Stadt war und nicht an dem Bahnhof, der auf meinem Ticket stand. Also konnte ich die Taxifahrt getrost beenden, so etwas kostet hier eher Cent-Beträge, was ich mit Erstaunen feststellte.

Rabat

Auch hier war es noch früh am Tage, die Stadt wachte ebenfalls erst auf. Ich lief durch die Medina/Altstadt, fand sie noch nicht besonders schön, doch die Architektur war nun eine andere. Auch hier wurde ich weitestgehend in Ruhe gelassen. Dann, nach einigen Hundert Metern, kam ich zur Kasbah, die ich fotografieren wollte. Jetzt erst merkte ich, dass mit der Kamera etwas nicht stimmte. Schon vor Minuten hatte ich sie geschlossen, doch die Linse war immer noch nicht eingefahren. Das Display war schwarz, nichts ging mehr und außer einem ratternden Geräusch war nichts zu bewerkstelligen. Wohlgemerkt, die Kamera habe ich nach längerer Beratung in Berlin erst Anfang des Jahres gekauft, habe sie immer gut behandelt, sie ist nicht heruntergefallen oder im Sand stecken geblieben. Für mich war das eine kleine Katastrophe, denn zwar schreibe ich gerne, doch besonders Reiseberichte muss ich mit Bildern würzen, um so die Eindrücke beim Leser zu verstärken. Ich lief durch die wundervollsten Gassen, sah wunderbare Türrahmen mit prächtigen, uralten Holztüren, sah von der Festung auf die Brandung hinunter. Und doch konnte ich keinen dieser Eindrücke fotografieren. Das versalzte mir gehörig das Abenteuer und ich musste nicht lange darüber nachdenken, dass ich schnellstens Abhilfe schaffen müsste. Die Garantie für diese Ricoh-Kamera R10(!) nutzte mir hier gar nichts, denn ehe ich sie einlösen konnte, wäre ein halbes Jahr vergangen. Ich war nicht einmal gewillt, auch nur einen Tag ohne Foto zu verlieren. Ich machte mich auf den Rückweg in die Ville Nouvelle, in der Hoffnung, hier ein Geschäft zu finden, das mir zumindest eine kleine Kamera anbieten konnte. Ich lief eine ganze Weile, fand auch ein Geschäft, doch die Auswahl beschränkte sich auf allesamt zu große und teure Modelle. Ich kam zu dem Schluss, erst einmal zu lunchen und zu überlegen, was zu tun sei. Ein kleines Restaurant bot leckere Salate an, das reichte mir erst einmal. Dabei las ich im Lonely Planet, dass nicht weit entfernt ein Hypermarché nach französischem Vorbild sein sollte. Die haben so etwas, wenn es wirklich französisch ist, dachte ich mir. Das Finden des Marktes stellte sich als nicht so leicht heraus, aber irgendwann stand ich direkt davor. Auch hier war die Auswahl an digitalen Kameras nicht berauschend, doch ich fand eine passende, die ich erst einmal benutzen konnte. Ich war froh, es war erst ca. 13 Uhr und der Tag noch lang. Also ging ich sofort wieder zur Kasbah, die einige Kilometer weit weg lag. Dabei kam ich wie zufällig am Mausoleum Mohammeds des 5. vorbei, die direkt an der alten Moschee liegt. Diese Moschee wäre einmal eine der größten der Welt gewesen, wenn nicht ihr Erbauer im 12. Jahrhundert, Yacoub al-Mansour, 4 Jahre nach Baubeginn gestorben wäre. So ist nur ein Teil des Minaretts fertig geworden, das eigentlich einmal 60 Meter hätte hoch sein sollen. Mit 44 Metern ist es immer noch beeindruckend. Vom Gebäude ist bis auf ein wahres Meer an Säulen nichts mehr vorhanden – Erdbeben machten kurzen Prozess -, doch diese Säulen gaben mir einen Eindruck, welche Größe die Moschee einst hätte haben sollen.
Das Mausoleum ist dafür umso prächtiger, es wunderte mich, dass Touristen hineingelassen werden, doch ein Wächter winkte mich näher und offerierte mir den Eintritt. Innen steht man auf einer Art Baldachin und schaut auf die marmornen Särge der Mitglieder der Königsfamilie hinunter. Es roch angenehm nach Weihrauch. Am meisten beeindruckte mich wieder die Decke, die sich kunstvoll über mir wölbte. Ich habe eine Schwäche für diese geschnitzten und bemalten Holzdecken, sie geben ein Gefühl von Schwere und Wärme.

Tore in Rabat

Nach dem Mausoleum ging ich endlich in die Kasbah und schoss alle Fotos, die ich am Vormittag nicht hatte machen können. Jetzt fühlte ich mich besser. Ich verweilte ein wenig im andalusischen Garten der Kasbah, der wohl gepflegt und – wenn noch nicht in voller Blüte, so zumindest bereits ein üppiges grünes Kleid zeigte, vereinzelt durch einige leuchtende Blumen unterbrochen. Kapuzinerkresse blüht hier bereits, das ist mir aufgefallen. Und das Anfang Mai.
Nach einigen Minuten merkte ich, wie müde ich bereits war. Viele Kilometer hatte ich zurückgelegt, dabei kaum Pause gemacht. Zurückfahren wollte ich noch nicht, denn es war erst früher Nachmittag. So beschloss ich, erst einmal einen frischen Pfefferminztee zu trinken. Mir ist in Deutschland nie aufgefallen, wie aufmunternd dieses Getränk wirkt, aber es tat Wunder. Der Tee war so stark, dass er fast ein wenig bitter schmeckte, aber nach dessen Genuss war ich wieder zu allen Schandtaten bereit. Denn eine Sache musste ich noch sehen: Chellah, die alte Römerstadt, später muselmanischer Friedhof. Sie lag natürlich wieder am anderen Ende der nicht kleinen Innenstadt, aber nach einigem Suchen schaffte ich es. Der Lonely Planet hatte nicht untertrieben, denn er hat dieser Ausgrabungsstätte einen ganzen Absatz gewidmet, ein wahrlich magischer Ort. In einer Sache hatte er sich jedoch geirrt, es war kein einsamer Platz mehr. Mindestens fünf Schulklassen, dazu Dutzende von Touristen bevölkerten die alten Ruinen, welch ein Unterschied zu Lixus, das ich völlig für mich allein gehabt hatte. Aber da war noch etwas anderes, was Chellah etwas gab, was ich noch nie gesehen hatte: Einige Hundert Störche bevölkern die umliegende Gegend. Es ist Frühling und von überall her klapperte es fröhlich. Dazu kamen die Stimmen von mir unbekannten Vögeln, die hier auch nisten. Das war ein einmaliges Szenario, auch auf der Ruine der alten Moschee war ein besetztes Nest. Ich verbrachte fast mehr Zeit damit, diesem bunten Treiben zuzusehen als mir die Ruinen anzuschauen, die sich wirklich lohnen. Ich habe sie mir später natürlich genau angesehen. Auch das Aalbecken. Es heißt, wenn die Aale von Frauen mit Eiern gefüttert werden, verhelfen sie zu Fruchtbarkeit und einfacher Niederkunft. Unglücklicherweise sah ich in dem recht klaren Wasser nicht einen einzigen Aal, dafür aber drum herum ein gutes Dutzend fetter Katzen. Ich könnte es ihnen nicht verdenken, denn ich würde es genauso machen. Die Verantwortung allerdings, die Verantwortung für die Menschen, wenn die Geburten ausbleiben. Nicht dass Rabat ausstirbt. Kann einem aber als Katze egal sein.
Jetzt war es wirklich an der Zeit, zum Campingplatz zurückzukehren. Ich spürte den Tag bereits in allen Gliedern. Mein Zug hatte Verspätung, als er endlich kam, war er zu voll, die Türen schlossen schon nicht wegen der Menschenmassen, was den Zug nicht daran hinderte, trotzdem abzufahren. Während ich auf den nächsten wartete, freundete ich mich mit einem etwa gleichaltrigen Marokkaner an, der sein Deutsch etwas benutzen wollte. Im Gegenzug zeigte er mir arabische Schriftzeichen. Ich habe noch nie darauf geachtet, wie kunstvoll diese Schrift ist. Sie ist nicht geschrieben, sondern gezeichnet und ich stand voll Bewunderung vor dieser Kunst. Natürlich verstehe ich die Zeichen nicht, doch noch im Zug nahm ich mir selbst das Versprechen ab, zumindest das Alphabet zu lernen. Ich hoffe, dass meine mir eigene Faulheit nicht dazwischen kommt. (Anmerkung 18 Monate später: Die Faulheit hat natürlich gesiegt. Ich habe bis jetzt nichts dergleichen gelernt. Schade eigentlich.)
Eine letzte kleine Geschichte habe ich noch. Der Zug brachte mich zwar nach Kenitra, doch gab er eine Haltestelle vor der Altstadt, mein eigentliches Ziel, den Geist auf. Gegenüber saß eine recht unscheinbare, junge Frau, mit strengem Schleier und ernstem Blick. Sie sprach mich an und fragte, ob ich Hilfe brauche. Ich erklärte ihr, wo ich hin müsse. Kurz und gut, sie empfahl mir ein Taxi. Als ich die Station verließ, wusste ich nicht wohin. Also zeigte sie mir den Weg zum Taxistand und ließ nicht eher ab, als ich in einem Petit Taxi saß und der Fahrer wusste,, wo er mich abzusetzen hatte. Es war eine willkommene Lektion, denn meine Vorurteile hatten mich einmal mehr eingeholt. Die Frau war energisch und emanzipiert, ich fühlte mich in genau den richtigen Händen. Eine schöne Erfahrung zum Abschluss des Tages, der sehr lang war und der mir bereits jetzt in den Knochen steckt. Doch bereits jetzt war es einer der Tage, an den ich mich noch lange erinnern werde, denn er brachte nur gute und positive Erfahrungen. Trotz der Kamera….

Chellah Römerstadt