Essaouira

Ein schöner, aber ungemein teurer Tag geht zu Ende. Aber ich greife vor…
Gestern ging ich nochmals an den Strand, saß einfach nur am Meer, ohne ein Wort, unbelästigt, vollkommen mit mir selbst zufrieden. Der Wind war etwas stärker geworden, aber noch nicht unangenehm, das Meer vor mir brauste jedoch als wollte es sämtliches Land mit einem Mal verschlingen. Wie im Flug verging eine Stunde, von der ich sagen kann, sie allein hat meinen verlängerten Aufenthalt hier gerechtfertigt. Ich glaube daran, dass ich in solchen Momenten mehr mein Gleichgewicht finde und somit mehr für mich tue als in sämtlichen Meditationen zusammen. Wenn ich nach diesen Augenblicken in den Spiegel schaue, meine ich wahrzunehmen, dass meine Augen tiefgründiger ausschauen und stärker leuchten als sonst.
Am Abend kam ein junger Marokkaner vorbei, der Gebäck verkaufte. Ein unbeschwerter und netter Junge, der gerne ein kleines Schwätzchen hielt. Mehedi, so heißt er, erzählte mir davon, wie er Sprachen lernt, nämlich mithilfe eines Fernsehsenders, der Originalfilme mit Untertiteln sendet. Er ist eine wahre Frohnatur, mit einem so breiten natürlichen Grinsen, dass jedes Misstrauen meinerseits völlig zerschmolz. Natürlich kaufte ich ihm noch zwei süße Gebäckstücke ab, befand den Preis von 5 Dirham jedoch so beschämend, dass ich freiwillig das Doppelte gab. Auch danach war mein Gewissen noch nicht ganz rein, doch wenigstens war Mehhedi unglaublich dankbar. Nur fürs Protokoll, er hat gar nicht gefragt, ob ich kaufen wolle, sondern ich selbst. Er wollte sich nur unterhalten.

Wie geplant machte ich mich recht früh auf den Weg, gegen 7:30 brach ich auf. Noch immer trauerte ich meiner gestohlenen Taschenlampe nach, die gestern jemand in den sanitären Anlagen stibitzt hat. Mich enttäuscht so etwas immer ungemein, zumal auf dem Campingplatz ausnahmslos Wohnmobile standen, deren Wert bei mindestens 30.000 Euro beginnt. Warum in aller Welt haben solche Leute es noch nötig, einen nicht gerade reichen Schriftsteller zu bestellen? In solchen Situationen bekomme ich oft Zweifel an meinen unehrlichen Mitmenschen, aber wahrscheinlich sollte ich wieder etwas lernen.
Die Fahrt zog sich hin, was aber nichts ausmachte, denn ich fuhr direkt an der Küste entlang. Wilde Klippen wechselten sich mit den wundervollsten und einsamsten Stränden ab, die man sich nur vorstellen kann. Safi ließ ich liegen, eine dieser schweren Entscheidungen, aber irgendwo muss ich ja mal eine Linie ziehen, denn alles kann ich nicht sehen. Was mir jedoch auffiel, waren die vielen modernen Siedlungen, die an der Küste entstanden sind oder im Begriff sind zu entstehen. Marokkos Tourismusindustrie wird wachsen und ich bin froh, hier gewesen zu sein, bevor die Schäden irreparabel sind. Noch hat die Küste Charme, finden sich einsame Orte. Ich mag gar nicht 20 Jahre weiter denken.

Essaouira

Ich benötigte ca. 4,5 Stunden bis Essaouira, mit einer kleinen Pause beim Supermarkt. Der Campingplatz liegt wie gestern fast am Strand, es sind nur wenige Meter zu Fuß. Ich machte mich kurz danach auf in die Stadt, es war ein erquickender Fußmarsch. Das Transportmittel hätte ich übrigens frei wählen können, es standen Petits Taxis bereit, ebenfalls vierrädrige Beachbikes, Pferde und jede Menge Kamele. Ich entschied mich für Schusters Rappen. Essaouira kannte ich nur aus dem Film „Kingdom of Heaven“, es stellte dort einen italienischen Hafen dar. Es ist sehr spektakulär, nicht nur im Film. Die Medina-Mauern trotzen der Brandung und dem Wind, die weißgetünchten, patinabedeckten Häuser strahlen viel Atmosphäre aus. Trotzdem, der Ort ist sehr touristisch, was man an den vielen Geschäften merkt und dem ständigen Druck der Händler. Einem davon ging ich heute auf den Leim. Ich wollte immer noch eine Tajine zubereiten, brauchte allerdings Gewürze dazu. Warum also nicht hier fragen? Ich hätte es besser wissen müssen. Der überaus zuvorkommende Händler ließ mich teilhaben an seiner Auswahl, zeigte mir die einzelnen Gewürze, die ich jetzt nicht mehr genau benennen kann. Auch etwas vom sog. King of Spices, Safran, wog er mir ab. Dabei redete er fast ohne Unterlass, erwähnte seinen guten Freund in Wiesbaden und dessen Frau, der, wie immer, KFZ-Schlosser ist, so er denn existiert, erwähnte einen anderen Freund in Bristol, nachdem ich ihm erzählt hatte, dass ich lange in England gelebt habe. Zuguterletzt ging es um den Preis. 450 Dirham wollte er. Für ein paar Gewürze. Ich handelte, merkte jedoch, dass ich hier nicht derjenige war, der das Gespräch bestimmte. Auf 350 konnte ich ihn herunter bringen, doch seinem zufriedenen Gesichtsausdruck zufolge hatte er ein gutes Geschäft gemacht. Er zeigte mir noch, was ich mit den Gewürzen tun und wie ich die Tajine zubereiten solle. Dann schob er mich sanft aber bestimmt aus dem Laden. Ich weiß, dass ich wahrscheinlich 3x so viel bezahlt habe, vielleicht mehr, als die Gewürze wert sind. Diese Erfahrung jedoch ist unschätzbar. Ich muss noch viel lernen, und auch wenn ich mir kurz danach geschworen habe, nicht mehr auf Märkten einzukaufen, denke ich dennoch, hier mehr verstehen zu können als sonst. Nämlich in diesen Situationen auch einmal „Nein“ sagen zu können. Und diese Lektion kommt niemals gratis daher. Dass ich während der Unterhaltung auch einiges gesagt habe, z.B. Dinge wie „Ich habe volles Zutrauen in deine Kenntnisse“, hat mir sehr geschadet. Nabil, mein Gewürze verkaufender Lehrer, merkte sich alles und nutzte es später bei der Verhandlung. Nichts zu sagen wäre besser gewesen. Das weiß ich jetzt für das nächste Mal.
Ich lief noch lange durch die Stadt, dabei wurde mir mindestens ein Dutzend Mal von jungen Männern Hasch angeboten. Das war schlimmer als in Tanger, aber mittlerweile bin ich besser darin, solche Leute abtropfen zu lassen. Ich kann alle nur ermutigen, Essaouira auch über den touristischen Teil hinaus zu erkunden. Irgendwann hört dieser auf und eine einigermaßen normale, marokkanische Altstadt beginnt. Es gibt eine Menge sehenswerter Winkel hier. Und wundervolle Torbögen.
Im Augenblick sitze ich auf den „Ramparts“ – der alten Stadtmauer – und blicke auf das Meer. Wenn ich nicht gerade auf die Tastatur schauen muss, damit ich mich nicht verschreibe.
Morgen geht es definitiv weiter. Ein wenig wehmütig schaue ich schon aufs Meer, ich werde es ein paar Tage nicht sehen. Aber was soll’s, die Reise ist noch lang und wird mir noch viele Gelegenheiten geben, diesem größten aller Lehrer zuzuhören.