Istanbul

Es ist eine gute Zeit. Nicht nur darf ich eine außergewöhnliche Stadt entdecken, ich komme zusätzlich noch dazu, viel zu arbeiten. Die Zeit im Bus nutze ich intensiv, schreibe und korrigiere. Da ich ohnehin nie mehr als 5 Stunden am Tag „Sightseeing“ machen kann, verliere ich durch die Entfernung nichts, gewinne sogar dazu, wie ich jetzt feststelle. Gestern habe ich sage und schreibe elf Seiten korrigiert, muss dazu aber bemerken, dass die Geschichte wesentlich flüssiger ist und ich nicht so viel neu schreiben muss.

Auf dem Platz lernte ich ein älteres bayrisches Paar kennen, die ein wenig unsicher waren wegen der Anfahrt in die Stadt. Ich nahm sie einfach mit, um ihnen den Weg zu zeigen. Es ist am Anfang immer schwierig, gerade wenn man die Orte nicht kennt. So waren wir also heute zu dritt. Ich merkte dabei, dass ich ein ziemlich entwickeltes Talent habe, mich an fremden Orten schnell zurechtzufinden. Ich merke mir meistens markante Plätze, um sie später wieder finden. Somit wird auch der verwirrendste Basar zu einer einfachen Angelegenheit. Auch wenn das nicht immer funktioniert.
Heute jedenfalls liefen wir über den Basar, der mich eigentlich nicht mehr recht interessiert, denn ich habe zurzeit nicht vor, Geld für Dinge auszugeben, auch wenn ich dringend neue Hemden bräuchte. Das muss warten. Vor der Hagia Sophia trennten sich unsere Wege, was mir ebenfalls recht war. Ich muss meinen Weg allein gehen, auch wenn ich ab und zu gerne anderen die richtige Richtung zeigen kann, wenn die das wünschen. Hatte ich noch vorgehabt, den Topkapi-Palast zu besuchen, kam ich schnell davon ab. Ein Blick durch das prächtige Tor gab den Blick frei auf Besuchermassen, die selbst in der Alhambra so schlimm nicht gewesen sind. So etwas macht doch keinen Spaß. Hinzu kam auch noch, dass der Eintrittspreis von 20 Lira – 10 Euro – sich noch im Rahmen bewegt hätte, wobei der Eintritt zum berühmten Harem noch nicht inkludiert ist. Das kostet noch mal das gleiche. Es gibt so etwas wie den Vorbehaltspreis, den Preis, den man gerade noch bereit ist, für etwas zu bezahlen. Der war bei mir heute überschritten. Schade eigentlich, aber ich bin sicher, dass ich irgendwann einmal mit Nina herkommen werde, dann ist es auch schön, wenn man noch etwas sehen kann, das ich noch nicht kenne.

Stattdessen entschloss ich mich, ins archäologische Museum zu gehen. Es stellte sich als größer heraus, als ich ursprünglich gedacht hatte. Ich begann meine Tour bei den Ausstellungsstücken aus Sidon, antike Gräber. Das Prachtstück ist der sog. Sarg des Alexander. Auch wenn an der Echtheit des riesigen Marmorsarges gezweifelt werden darf, sind doch die Skulpturen a der Seite von erlesener Schönheit. Auch befindet sich auf beiden Seiten eine Figur, die Alexander verblüffend ähnlich sieht, so dass der Gedanke nahe liegt, dass es sich um die letzte Ruhestätte des genialsten aller Heerführer, sicher jedoch einem der größten kulturellen Vordenker der Geschichte handeln könnte. Auch wenn Alexander laut den historischen Quellen nicht in Sidon, sondern in Alexandria in Ägypten begraben wurde. Aber wer kennt schon die verschlungenen Wege eines antiken Stücks? Ganz sichere gehörte der Sarkophag zu einer herausragenden, wichtigen Persönlichkeit, zu wundervoll und detailliert sind die Fresken gearbeitet.

Die ganze linke untere Etage des Museums scheint dem Begräbniskult gewidmet zu sein. Die Luft war passend stickig, das Licht schummrig, was den Effekt hatte, dass es mich stark ermüdete. Es wurde etwas besser bei den griechische-römischen Statuen, die mich allerdings nicht so sehr interessierten, denn das hatte ich in Griechenland zur Genüge gesehen. So entging mir die vielleicht interessanteste Sektion, der Teil des Museums, der sich mit dem christlichen Byzanz beschäftigte. Da war ich nämlich schon so überladen und mein Blut so sauerstoffarm, dass ich mich kaum noch konzentrieren konnte. Was ich allerdings noch vollständig wahrnahm, war eine Fotoausstellung zur antiken Stadt. Ein Designstudio hat die alten Paläste der Kaiser rekonstruiert, die Bilder sehen aus wie echt und erwecken einen Ort zum Leben, der schon vor Jahrhunderten gestorben ist. Den Ort des alten Kaiserpalasts bei der Hagia Sofia schaue ich mir übrigens morgen an, zusammen mit der Blauen Moschee und….natürlich… der Hagia Sofia selbst, denn mein Vorbehaltspreis hält das gerade noch aus. Und am Ende bin ich nun mal jetzt hier, wer weiß, ob ich es wirklich jemals wieder bis hierher schaffe.

Doch noch befand ich mich im Museumskomplex, über den morgigen Tag kann ich mir später Gedanken machen. In der oberen Etage lief ein Film über die Ausgrabung in Troja. Selten habe ich eine solch langweilige Vorstellung gesehen. Die älteren Engländer oder Amerikaner waren entweder ent- oder eingeschlafen, anders kann ich mir nicht erklären, wie jemand so etwas länger als fünf Minuten aushält. Die Ausstellung zu Troja selbst riss mich auch nicht vom Hocker, viele zerschlagene Tongefäße, die meisten ohne Muster, einige Bronzeklingen, das war es. Vielleicht bin ich in dieser Richtung wirklich einfach überladen, habe in Griechenland zu viel davon gesehen.

Ein echter Höhepunkt wartete aber noch auf mich. Gleich nebenan befindet sich das orientalische Museum, das der Rough Guide besonders gelobt hat. Es lohnte sich. Ich fragte einen Wärter nach dem berühmten Friedensvertrag zwischen Ramses und dem hethitischen König nach der Schlacht von Kadesch. Ich hatte diesen vergeblich in der übersichtlichen ägyptischen Abteilung gesucht. Dort befand er sich natürlich nicht, anders als sonst gibt es hier eine hethitische Abteilung, das hatte ich nicht bedacht. Daran merke ich, dass ich langsam in den Einflussbereich dieser uralten Kulturen komme, deren Herrschaftsgebiet zumindest teilweise auf türkischem Boden liegt, wenn auch viel weiter im Süden. Der Vertrag ist recht unscheinbar, in Keilschrift geschrieben, aber es ist das erste schriftliche Dokument seiner Art. Tragisch für die Hethiter, deren Kultur bald darauf verschwand, während die ägyptische noch mehr als Tausend Jahre weiter existierte, wenn man deren Ende mit dem Tod Kleopatras VII. beziffert.
In dem Museum fand ich auch noch alte Bekannte: Einige der babylonischen Tierdarstellungen auf Fliesen vom Ischtartor sind hier ausgestellt. Bekannte deshalb, weil einige davon ebenfalls im Berliner Pergamonmuseum zu sehen sind. Ich fühlte mich also wie zuhause.
Um den Besuch abzurunden, ging ich noch ins Fliesen-Museum, oder wie immer es heißt. Einige prachtvolle Räume mit Geschirr aus acht Jahrhunderten. Der Bau stammt noch aus der Zeit Mehmets des Eroberers, was mich etwas für den entgangenen Besuch des Palastes entschädigte. Wenn auch nur bedingt.

Drei Stunden Museumsbesuch waren vorbei, mein Kopf fühlte sich an wie in Watte gepackt. Ich trank noch einen Kaffee, schaute verwundert auf die Uhr. Fünf Uhr, höchste Zeit aufzubrechen. So sitze ich jetzt in der Metro, habe noch zwei Stunden Fahrt vor mir. Dummerweise ist der Akku des Netbooks fast alle, somit fällt das Arbeiten wegen Energiemangels aus. Ärgerlich. Es läuft gerade so gut.
Vielleicht mache ich morgen eine Pause, doch das entscheide ich nicht jetzt. Einmal fahre ich in jedem Fall noch in die Stadt, denn ich bin weit davon entfernt, sie auch nur ansatzweise zu verstehen. Aber das konnte ich auch nicht erwarten. Selbst wenn ich jetzt einige Monate hier verbringen würde, könnte ich das nicht. Also heißt es reiseüblich: Eindrücke gewinnen und weiter. Aber noch nicht jetzt.