Fahrt nach Rom

Heute Morgen sah ich meinem Atem zu. Jeder Hauch entwickelte sich zu einer kleinen Wolke. Meine Gelenke waren steif und ich wollte einfach nicht aufstehen. Das kenne ich aus Zeiten, in denen ich gezeltet habe. Kälte hat einen großen Einfluss auf das geistige und körperliche Wohlfühlen, da besteht kein Zweifel. Es ist wie ein Grundbedürfnis, wenn man zum Beispiel Hunger hat, wird man sich kaum um den Sinn des Lebens kümmern. Ähnlich war es heute früh, ich wickelte meine eisigen Füße in ein Sweatshirt, um wieder etwas fühlen zu können.

Als ich mich dann doch überwunden hatte aufzustehen, kämpfte ich mit mir, ob ich halb-warm duschen sollte. Ich entschied mich dafür … und wurde belohnt. Denn aus der warmen Dusche wurde eine wirklich heiße, eine von der Art, bei der sich die Haut rötet und bei der man am Anfang noch kaltes Wasser hinzugeben muss, nur um es auszuhalten. Das stellte ich natürlich im Laufe der Zeit wieder aus. Minutenlang stand ich still in der Hitze des Strahls, langsam kam wieder Leben in meine Glieder.
Draußen gewitterte es wieder einmal. Wir hatten einen Temperaturabfall, allerdings noch nicht unter null Grad. Doch der Wind sorgte dafür, dass ich beinahe erstarrte, als ich das Bad verließ.
Ich ließ den Camper weitgehend unaufgeräumt, sicherte nur die losen Teile einigermaßen und machte mich dann auf den Weg. So kam ich in den Genuss des Gebläses, der auch den Innenraum weitgehend von der nächtlichen Feuchtigkeit befreite. Je weiter ich gen Süden fuhr, desto besser wurde das Wetter. Nach einer Stunde meldete sich sogar die Sonne zurück, die mich überraschte. Die nassen Straßen blendeten mir derart, dass ich kaum noch sehen konnte. Meine Sonnebrille lag natürlich hinten, wer denkt schon bei Gewitter und Regen daran? Ich musste extra anhalten, sonst wäre die Fahrt zu gefährlich geworden.

In der Ferne sah ich schneebedeckte Berge, vielleicht der Monte Amiato, aber ich war inzwischen zu weit aufgetaut, als dass mich dieser Umstand noch hätte schockieren können. Es war eigentlich eine nette Fahrt, erst vorbei an den sanften Hügeln der Toskana, später bekam ich das Etrurische Meer zu sehen, die wilde Brandung schäumte gewaltig. Ich hielt kaum an, nahm in einer Bar einen fürchterlichen Espresso Macchiato zu mir, der natürlich trotzdem die erwünschte Wirkung zeigte: Er weckte mich auf. Ich sage das deshalb, weil ich den ganzen Tag geistig nicht auf der Höhe war. Die Kälte hat anscheinend nicht nur meine Glieder gelähmt, sondern auch meinen Kopf. Anders aber als mein Körper brauchte mein Geist wesentlich länger, um sich zu erholen. Zum Glück hatte ich nichts weiter vor, als nach Rom zu fahren. Gegen Nachmittag kam ich auf dem Campingplatz an, einer der wenigen, der hier überhaupt noch geöffnet ist. Das merkt man preislich auch. Aber das ist es sicher wert. Auch bin ich hier nicht allein, sicher zwei Dutzend Fahrzeuge leisten der Transe Gesellschaft.

Ich habe es heute nicht fertiggebracht, in die Stadt zu fahren. Die sehr niedrigen Temperaturen machen mir etwas zu schaffen. Morgen aber werde ich die Ewige Stadt sehen, für die ich eigentlich den Umweg gemacht habe. Denn sinnvoll wäre es gewesen, von Igoumenitsa nach Bari zu fahren. Nicht nach Ancona. Aber diese Stadt musste ich auf dieser Fahrt besuchen. Soviel steht fest.
Ich weiß jetzt jedenfalls, wie sich Obdachlose fühlen müssen. Sicher, es ist bei Weitem noch nicht so kalt wie zum Beispiel in Berlin. Auch habe ich im Vergleich noch eine recht feste Bleibe. Trotzdem, es ist ein Hauch von einem Eindruck, der auch so schon heftig genug ist, um mir zu zeigen, was manche Menschen durchmachen. Eigenartig, dass wir es in unserer fortschrittlichen und reichen Gesellschaft nicht schaffen, diejenigen, die am Rande derselben leben, nicht das Menschenrecht auf ein Zuhause geben können. Ohne Auflagen natürlich. Aber vielleicht gibt es wirklich Menschen, die dieses Leben vorziehen. Ich könnte es nicht, denn es wäre mir zu hart. Soviel verstehe ich schon nach einer kalten Nacht.
Aber ich bin auch ein Weichei.