Troja

Die Kälte fordert langsam ihren Tribut. Ich spüre es so wie immer in der Nase, eine leichte Erkältung kündigt sich an. Auch mein Standortwechsel gestern hat keine Besserung des Wetters gebracht, im Gegenteil, es ist sogar noch einige Grad kühler geworden. Der Himmel sah ebenfalls bedrohlich aus, so dass ich meine geplante Schreibsession auf den Nachmittag verschob, um trockenen Fußes Troja anzusehen. Der Campingplatz ist nur wenige Meter entfernt, ein schöner Spaziergang also.

Ich weiß auch nicht, was ich vom Besuch dieser Stätte erwartet habe. Oft ist die pure Idee allein schon so viel wert, dass sie einen Ort mystifiziert, ob das nun berechtigt ist oder nicht. Dieses heilige Gefühl, dass mich zum Beispiel in Mykene und ab und zu in Athen ergriffen hat, konnte ich nicht herauf beschwören. Sicher, ich stand auf einem uralten Siedlungsgebiet, Hisarlik, wie dieser „Berg“ heißt, existierte lange vor und nach dem Krieg um die schöne Helena. Völlig künstlich, denn jede Siedlung machte vor einem Neubau die alte einfach platt. Was bedeutete, dass sich die Stadt langsam erhob. 15 Meter überwand sie somit im Laufe der Jahrtausende, die erste Siedlung geht laut Infotafel auf 3000 v. Chr. zurück. Allein das macht sie zu einem wichtigen Fundort, von der Sage Homers einmal abgesehen. Zwar ist der Eintrittspreis in den letzten Jahren auf zeitgenössisches Niveau angehoben worden, was ich jedoch vermisse, ist moderne Information, die diesem Preis auch entspricht. Letztlich ist Troja ein weiterer Trümmerhaufen, die Schichten sind schwer auseinanderzuhalten, das meiste ist römisch. Vom homerischen Troja existieren Mauerreste und natürlich die berühmte Rampe, die in der Ilias vorkommt. Ansonsten wanderte ich wie einige Dutzend Besucher in den Trümmern umher, beinahe unfähig, mir ein Bild zu machen. Erst etwas später entdeckte ich eine winzige Infohalle, in der einige Bilder Troja zumindest ansatzweise zum Leben erweckten. Aber mir fehlte alles, um wirklich fasziniert zu sein. Die Schätze sind gehoben, befinden sich in den Museen dieser Welt, ebenso die alltäglichen Gegenstände, die einen Ort erst zum Leben erwecken, denn sie zeigen, dass hier Menschen gelebt haben. All das ist woanders, Istanbul, Athen, Berlin, in den Kellergewölben des Kreml, wer weiß sonst wo. Kein Museum existiert hier, nur die nackten Mauerreste, umgestürzte Säulen.
Seit frühester Kindheit kenne ich die Sage um Achilles, Hektor, Agamemnon und Priamos, habe mir schon als siebenjähriger versucht, die Schönheit der Helena vorzustellen, oder mir ein Bild von Paris gemacht, ihn versucht, mit den drei Göttinnen zu sehen und überlegt, wie das wohl sein müsste. Hier also stand ich an dem Ort, der Ursprung dieser Geschichten ist.

Vielleicht hatte ich zu viel erwartet, mein Schnupfen wirkte sich vielleicht aus oder die Führer, die Schliemann in den Himmel lobten, was völlig berechtigt ist. Es kann auch sein, dass mir die Stadt selbst eher wie ein winziges Dorf vorkam, nicht wie das Machtzentrum eines gewaltigen Reiches in Kleinasien. Es ist wirklich nicht sehr groß. Am Ende ist es sicher das fehlende Museum. Wenn ich überlege, dass in Mykene ein gar nicht allzu großes Museum die Stadt fast vollständig zum Leben erweckt hat, so dass ich sie mir vorstellen konnte, bevor ich sie wirklich sah. Das war die Grundlage für die Fantasie, die diesen Ort vor meinen geistigen Augen wieder entstehen ließ. Ein kleiner Film wäre auch angebracht gewesen, denn seit über hundert Jahren wird hier gegraben und geforscht. Da kann man doch wesentlich mehr draus machen.
Auch das hölzerne Pferd vor dem Eingang war nicht gerade eine Einstimmung auf den Besuch, eher ein kleines Disneyworld für die Besucher, die aber überraschend viel Spaß damit hatten. Vielleicht sehe ich das zu verbissen.

In jedem Fall habe ich den Rest des heutigen Tages versucht zu nutzen, war dabei weniger effizient als sonst. Sicherlich lag es auch ein wenig daran, dass mein Kopf sich anfühlt, als wäre er in Watte gepackt. Aber alles halb so schlimm. Morgen fahre ich wieder ein Stück in den Süden. Immer der Sonne hinterher. Vielleicht habe ich Glück und erwische sie.