Florenz

Heute Morgen erwachte ich auf dem Stellplatz/Parkplatz in St. Quirico zur lieblichen Melodie meines Handyweckers. Da der Platz um acht Uhr gebührenpflichtig wird, wollte ich mich vorher auf den Weg machen. Auch hegte ich die Hoffnung, nochmals in die Stadt zu kommen, um einige Fotos machen zu können. Aber ich konnte mich nicht aufraffen, auch weil der Ort jetzt eigentlich recht trostlos erschien, gestern jedoch diesen besonderen Zauber entwickelt hatte, den alle Orte bekommen, wenn man sie nach langer und harter Reise erreicht.

Bei eisigen Temperaturen tippte ich stattdessen an meinem Journal, dass ich gestern Abend nicht mehr hatte schreiben können. Es ist keine große Freude, mit klammen Fingern eine Tastatur zu bearbeiten. Laufend vertippte ich mich, so dass die gestrigen Ausführungen sicher nicht zu den besten zählen werden.
Kurz vor acht machte ich mich dann auf den Weg. Ich hatte auf der Landkarte eine Attraktion entdeckt, die ich meinte wiederzuerkennen. Ich erinnerte mich an eine Kirche, eingebettet in eine sanfte toskanische Landschaft, ein wundervolles Bild, das viele Jahre lang in meinem Kopf geschlummert und unentdeckt von mir gewartet hatte, bis ich an diesem Tag wieder in diese Gegend gekommen war. Es handelte sich meines Erachtens um die Klosterkirche Abbazia di Monte, keine 20 Kilometer entfernt von meinem Startpunkt. Es war noch früher Morgen, und als ich die Berge erreichte, stand noch immer der Frühnebel tief und undurchdringlich in den Tälern. Die Sonne würde diesen bald schon auflösen, daher machte ich einige Fotos. Ich kann mich nicht erinnern, schon jemals solche Stimmungen und dieses besondere Licht in dieser Gegend gesehen zu haben. Vielleicht liegt es auch an der Jahreszeit, es war einfach zauberhaft.

Die erwartete Attraktion stellte sich dann aber als etwas enttäuschend heraus. Es war mit Sicherheit nicht die Kirche, die ich erwartet hatte, sondern eine ganze Klosteranlage, einschließlich moderner Parkraumbewirtschaftung samt Geldscheinautomat. Ich verliere bei so etwas immer die Lust, vor allem weil es keine Einstimmung auf eine historische Stätte ist. Letztlich stellte sich auch noch heraus, dass das Kloster erst eine Stunde später öffnen würde. Lust zu warten hatte ich nicht. Stattdessen entschloss ich mich, lieber durch die sienesische Crete zu fahren. Die Hügel hier sind etwas anders als in der übrigen Toskana, etwas erodierter, so würde ich es beschrieben, auch wenn es natürlich die bekannten weichen Rundungen gibt. Ich fuhr in den Ort Asciano, spazierte einmal hindurch. Außerdem gönnte ich mir einen Espresso Macchiato, der hier im Vergleich zum Süden anders ist. Wahrscheinlich muss ich auf Cappuccino umsteigen. Das Leben ist hart und ungerecht.

Dann war es Zeit, endlich nach Florenz aufzubrechen. Zehn Jahre war ich nicht dort gewesen. Lange hatte ich gehadert und gezögert, nun aber musste ich zurück zu meiner alten Liebe. Eigentlich wollte ich in Fiesole unterkommen, da mir der Campingplatz Michelangelo zu teuer vorgekommen war. Doch wollte es der Zufall, dass mich Garmin direkt am Piazzale Michelangelo vorbeiführte, wo ich anhielt, um mich am altbekannten Panoramablick auf Florenz zu erfreuen. Der Campingplatz hier ist nur einen Steinwurf entfernt, daher beschloss ich, einfach nach den Preisen zu fragen. Sie kamen mir nicht anders vor als in Fiesole, von wo aus ich auch noch den Bus würde nehmen müssen. Daher checkte ich einfach ein. Letztlich ist es nur konsequent, denn auf diesem Platz bin ich immer gewesen, wenn ich hier war. Ich freute mich sogar wie ein Kind, es ist dadurch ein echter Nostalgie-Ausflug geworden.

Ich verlor keine Zeit, machte mich sofort auf in die Stadt. Vorbei an der nun recht unansehnlichen Kopie der Statue des David, die ohne Zweifel an den Auswirkungen des Straßenverkehrs leidet, den Berg hinunter. Ich lief bis zur Ponte Vecchio, widerstand aber dem Drang, diese sofort zu überqueren. Erst wollte ich etwas anderes sehen.
Vor zehn Jahren habe ich in dieser Gegend gewohnt, in der Borgo Tegolaio. Ich wollte das Haus finden, das nur ein Steinwurf vom Palazzo Pitti und den Boboli-Gärten liegt. Es kostete mich einige Mühe, überhaupt die Straße zu finden. Ich erinnerte mich dann jedoch, auch an das erste Mal. Ich bin damals dem florentinischen System der Häusernummern zum Opfer gefallen. Hier werden Geschäfte und Wohnhäuser getrennt beziffert, so dass es zu einiger Verwirrung gekommen war. 30 ist nicht gleich 30, zumindest muss man fragen geschäftlich oder privat. Daran erinnerte ich mich dunkel, trotzdem fand ich das Haus nicht auf Anhieb. Erst beim zweiten Anlauf zeigte es sich, ich war vorher in die falsche Richtung gelaufen. Zu meiner Überraschung lebt meine Gastfamilie immer noch dort. Die Famiglia Arrighi. Wenn ich daran denke, wie oft ich in dieser Zeitspanne seither umgezogen bin. In diesem historischen Haus hatte ich ganz oben ein kleines Zimmer mit sicher vier Meter hohen Decken. Da es damals Herbst/Winter war, wurde es nie wirklich warm. Trotzdem war die Aussicht über die Dächer von Florenz einmalig.

Ich klingelte natürlich nicht. Zu viel Zeit ist vergangen und wir haben keinen Kontakt gehalten. Es sind also nur noch Schatten aus der Vergangenheit, nicht mehr wichtig in der Gegenwart. Heute aber wollte ich in diesen Erinnerungen schwelgen.
Dann endlich lief ich über die Ponte Vecchio. Während auf der Seite von Santo Spirito, also dort wo ich gewohnt habe, kaum ein Tourist zu finden ist, bildet diese Brücke eine Art Barriere. Es sind immer viele Menschen darauf. Warum auch nicht? Jeder kommt irgendwann einmal her und das ist eines der bekanntesten Wahrzeichen der Stadt. Ich lief zum Piazza de la Signora. 2001 wurde die Loggia gerade restauriert, daher stellte ich mit Freude fest, dass der Perseus nun endlich wieder an seinem alten Platz steht. Diese Bronzestatue ist nicht nur ein großes Kunstwerk, sondern auch eine technische Meisterleistung, die man gar nicht genug würdigen kann. Die Chancen Benvenuto Cellinis auf Erfolg standen nicht gut, als der den Guss begann. Aber es funktionierte, wie man heute sehen kann.
Auch der David, die zweite Kopie des Meisterwerks von Michelangelo, stand noch am alten Platz. Ich fragte mich, warum diese sogenannten männlichen Idealbilder alle so kleine Pimmel haben. Ich kann mich an eine Diskussion mit meiner Mutter erinnern, die als Teenager am David die männliche Autonomie studierte. Sie erzählte mir, dass sie einen gewaltigen Schock bekam, als sie meinen Vater traf. Nicht gerade das, was man von seiner Mutter hören möchte.

Ich suchte nun die ABC-Schule, in der ich meine kärglichen Italienisch-Kenntnisse eingetrichtert bekommen hatte. Die Via Rustici zeigte sich ebenfalls nicht sofort. Erst verschlug es mich zum Dom. Ich konnte hinein, doch beim Eintrittspreis für die Kuppel bekam ich einen Schock. 15 Euro muss man berappen, wenn man das Kunstwerk Ghibertis von Nahem sehen möchte. Giottos Turm daneben ist schon für sechs Euro zu haben. Die Aussicht von oben ist ähnlich, wie ich aus Erfahrung weiß. Die Bronzetür des Baptisteriums war wieder einmal so zugestellt mit Touristen, dass ich sie kaum zu Gesicht bekam.
Ich weiß nicht warum, aber plötzlich wurde ich müde, beinahe bis zum Umfallen. Vielleicht wog die Vergangenheit zu schwer, es ist der einzige Grund, den ich mir vorstellen kann. Ein Espresso half ein wenig, aber ich wusste, dass meine Stunden heute gezählt waren. Also lief ich zurück zum Palazzo Vecchio, dem letzten Anblick des Savonarola. Man kann es schlechter erwischen. Mindestens Santa Croce wollte ich sehen, bevor ich mich zum Campingplatz zurückbewegen wollte. Dann fand ich sie. Die Via Rustici. Hier also hatte ich gelernt. Es sah jetzt kaum nach etwas aus. Alles ist schon viel zu lange her.

Der nächste Schock wartete in der wie ich finde schönsten Kirche von Florenz, Santa Croce, auf mich. Ich verbessere mich, zweitschönste Kirche. Die Schönste besuche ich erst am Schluss meines Aufenthaltes hier. Als Belohnung.
In Santa Croce muss man jetzt Eintritt zahlen. Vorbei sind die Zeiten, in denen man durch eines der herrlichen Portale gehen kann, vorbei an der wundervollen, diesmal echten, historischen Fassade. Nicht wie beim Dom, die gerade einmal hundert Jahre alt ist. Und trotzdem dank des sauren Regens schon aussieht wie Tausende Jahre alt. Trotzdem, Santa Croce muss man nun durch einen Seiteneingang, vorbei an einer Art Bahnhofsschalter, betreten. Ich war wirklich entsetzt. Es sind zwar nur fünf Euro, somit ist es alles noch nicht so tragisch, dennoch. Ein Stück meiner heilen Welt geht damit trotzdem unwiederbringlich verloren. Ich zahlte natürlich nicht. Eigentlich wollte ich nur einmal kurz hineinschmulen. Vielleicht mache ich es noch, wenn ich fitter bin.

Hier, auf dem prächtigen Platz vor der Kirche, habe ich mich vor zehn Jahren von meinen florentinischen Freunden verabschiedet. Wir haben nie wieder voneinander gehört. Nach einigen Jahren habe ich versucht, wieder Kontakt herzustellen, aber keine meiner Mails wurde beantwortet. Aber so etwas kann viele Gründe haben. Trotzdem, das ist das Einzige, was ich bedauere. Nicht mein Wegzug, nicht die Entscheidung zugunsten von England. Doch es ist jetzt zu spät für Reue. Auch das sind Schatten der Vergangenheit, unwiederbringlich verloren.
Dann lief ich wieder zurück, sitze nun im Warmen und schreibe. Der Wind hat aufgefrischt, was jegliches Hinausgehen zu einem eisigen Vergnügen macht.
Ich freue mich auch auf Morgen, einem weiteren Tag in Florenz.