Olot
Nach langer Zeit wieder einmal einer dieser Tage…
Nach nunmehr einiger Zeit auf Reisen kann ich sagen, dass ich mich überall sehr schnell zu Hause gefühlt habe. Sei es die Tatsache, dass ich meine „Wohnung“ immer dabei habe, diese quasi unverändert bleibt, mit der Ausnahme, ich räume einmal nicht auf. Oder es liegt an den angenehmen Plätze, auf denen ich den Camper bislang abgestellt habe.
Eines habe ich dabei immer gefühlt: zur rechten Zeit am richtigen Ort zu sein. Das Gefühl hatte ich heute nicht, keine Ahnung wieso. Recht früh war ich aufgebrochen, hatte den sehr ruhigen und angenehmen Platz verlassen. Mehr als zwölf Kilometer brauchte ich nicht zu fahren, vielleicht eine Viertelstunde, dann kam ich auf dem Campingplatz in Olot an. Und hier bin ich falsch, hier gehöre ich heute nicht her. Es ist nur ein Gefühl, vage und schwammig, doch es ist da. Vielleicht ist es Tagesform, vielleicht der schlampige Platz, ich weiß es nicht. Wahrscheinlich hängt es mit meiner Müdigkeit zusammen, denn nach Olot kommt man, wenn man wandern will. Da ich den gestrigen Tag noch in den Knochen spüre, denke ich nicht daran, so dass ich – so wunderschön es auch sein mag – die Hauptattraktion, nämlich die wundervolle Umgebung, nicht erkunden werde. Wahrscheinlich brauche ich einmal wieder einen Tag Pause, dazu ist dieser Platz jedoch nicht geeignet.
Umso merkwürdiger, dass es ein wunderbarer Tag zum Schreiben war. Ich machte mich bald auf in die Stadt, die mich sehr angenehm überraschte. Die Vulkanhügel waren kaum zu sehen, dank der prächtigen Häuser. Es ist ein ruhiger, entspannter Ort ohne Hektik, den ich sehr mochte. Ich setzte mich auf den Passeig de Miquel Blay, schaute mir die Passanten an, die in nicht all zu dichter Folge an mir vorbei liefen und setzte wieder an meinem Roman an. Eine gute Session, eine lange Session, mit vielen guten Ideen und Formulierungen. Eigentlich hat sich allein dafür das Herkommen gelohnt, denn die Befriedigung über diese Arbeit kann ich kaum beschreiben. Es ist pure Motivation und Begeisterung für das, was ich tue, ohne Rücksicht auf solch illustre Faktoren wie Geld oder Ruhm. Es ist die wahre Freude am Leben, das, wofür ich meine, geboren worden zu sein, darf ich jetzt für einige Zeit tun. Und auch wenn ein Schatten am Horizont ist, der mir sagt, dass irgendwann das Geld alle ist und ich mich wieder in abhängige, unbefriedigende Beschäftigungsverhältnisse begeben muss, so genieße ich doch diese Augenblicke als wären sie meine letzten. Und wer weiß, vielleicht habe ich doch noch einmal eine Idee oder den Erfolg, um diesen Idealzustand beibehalten zu können.
Plötzlich war ich auch wieder froh, hier zu sein, wie schnell sich doch Eindrücke ändern können, wenn man ein wenig am Ball bleibt. Ich schlenderte danach ein wenig durch das nicht all zu große Zentrum. Einige Erdbeben haben hier in den Jahrhunderten die Spuren der mittelalterlichen Stadt beseitigt, so dass die Stadt „modern“ aussieht, das heißt die meisten Gebäude sind aus dem 18. oder 19. Jahrhundert. Fast erinnerten mich einige Passagen an Berlin-Kreuzberg, die Fassaden in Olot sind nicht ganz so prachtvoll, die Häuser nicht ganz so hoch, dafür aber wesentlich schöner bemalt und wärmer ist es ebenfalls. Der Schwalbenflug von gestern hatte also getäuscht, zum Glück würde ich sagen.
Ich lief danach weiter in Richtung Botanischer Garten, den ich nach einer Viertelstunde erreichte. Das einzige Museum, das mich vielleicht etwas interessiert hätte, nämlich das Vulkanmuseum, schloss gerade, als ich ankam. Ich machte mir nichts daraus, sondern setzte mich für eine Weile in den Park, genoss die Stille, schrieb wieder ein wenig.
Ich suchte danach wieder den Weg ins Zentrum, am Fluss entlang. Viel gab es nicht mehr zu sehen, ich fand noch das eine oder andere Haus, dessen Fassade ich bewunderte. Das schönste war direkt an der Kathedrale, ein rötlicher Bau mit Fliesen und Zinnen. Ich hatte es beim Schreiben auf dem Passeig de Miquel Blay bereits entdeckt, jetzt wieder. Um die Stadt herum befinden sich drei schlafende Vulkane, wenigstens einen davon wollte ich erklimmen. Doch daraus wurde nichts, nach einigen Treppenstufen zum Placa de les Rodes hinauf teilten mir meine Beine unmissverständlich mit, dass an solcherlei Aktivitäten derzeit nicht zu denken ist. Vielen Dank auch, aber es war nicht zu ändern. Wenigstens stand ich hoch genug, um mir die Umgebung anzuschauen. Dabei fiel mir ein englischer Ausdruck ein, für den ich bislang noch keine passende Übersetzung gefunden habe: „Rolling Hills“. Das war es, was ich sah, rollende Hügel, das heißt sanfte Berge, bewaldet und grün, die Natur in voller Blüte. Letzteres spürte ich übrigens auf etwas unangenehme Art. Ich hatte Heuschnupfen, das erste Mal in diesem Jahr. Sonst immer im April, dieses Jahr, bei anderer Vegetation erst Anfang Juni. Immer einmal etwas Neues.
Nach diesem winzigen Aufstieg spürte ich, dass es genug war für heute und lief zurück zum Campingplatz. Ganz sicher werde ich morgen weiter fahren, doch die Erinnerung an diesen Ort wird wesentlich fröhlicher sein im Vergleich zu den Eindrücken zu Beginn des Tages. Manchmal muss man sich seine Laune eben erarbeiten. Das funktioniert sogar ab und zu.