Barcelona – Auf den Spuren von Zafon
Gestern genoss ich auf dem Rückweg noch einen schönen Spaziergang durch das Barri Gotic. Nahezu stundenlang schlenderte ich durch die alten, atmosphärischen Gassen, schaute mich nach weiteren Geburtstagsgeschenken für Nina um, ohne mich jedoch festzulegen. Es war eine herzerfrischende Angelegenheit, auch wenn es alles ein wenig einsam erschien. Es ist schon merkwürdig, mir macht das Alleinsein nichts aus, doch hier, an einem Ort, den ich gerade erst mit Nina besucht hatte, kleben doch noch so viel gemeinsame Erinnerungen, die, wenn ich sie jetzt wieder aufleben lasse, etwas fehlen lässt. Ich beschloss daher, mich in den nächsten Tagen eher auf Dinge zu konzentrieren, die wie nicht zusammen gesehen haben, davon gibt es hier noch jede Menge.
Ich merkte wieder einmal nicht, dass ich ohne Pause kilometerweite Strecken zurückgelegt hatte. Erst im Bus, in dem ich einmal mehr keinen Sitzplatz ergattern konnte, spürte ich die Schmerzen in den Beinen. Es war auch schon nach sieben, stundenlang war ich wieder einmal in Barcelona umhergelaufen. Kein Wunder also, dass ich langsam müde wurde. Auf dem Campingplatz konnte ich mich eine Weile nicht dazu entschließen zu kochen, erst nach neun brachte ich so etwas wie Energie dazu auf. Geschrieben habe ich aber dennoch, vor und nach dem Essen, also kann alles nicht so schlimm gewesen sein.
Das alles hatte natürlich Folgen, denn heute Morgen stand ich nicht vor zehn Uhr auf. Wieder einmal war der Vormittag verdöst und verschwendet. Erst gegen zwölf fuhr ich wieder in die Stadt. Diesmal hatte ich den Rough Guide im Camper gelassen, heute war Zafon-Tag. Es fing nicht sehr gut an, denn um einige Orte im Buch aufzusuchen, brauchte ich Internetzugang. Ich war mir sicher, am Tag vorher ein Starbucks-Café auf der Rambla gesehen zu haben, das zeigte sich leider heute nicht. Zweimal lief ich die kilometerlange Straße ab, was keinerlei Zeitverschwendung ist, denn zumindest einmal am Tag muss man das ohnehin machen, wenn man in Barcelona ist. Doch ich hatte keinen Erfolg, fand aber ein anderes Café mit Wifi. Der Kaffee war zwar nicht so gut, dafür jedoch die Verbindung schneller. Es dauerte eine ganze Weile, ehe ich auf meiner El Corte Ingles-Karte einige der Straßen gefunden hatte. Besonders interessierte mich das Haus des Protagonisten Martin, in der Calle de Flassaders Nummer 30. Ich hatte es mir immer als einsame Villa vorgestellt, natürlich mit Eckturm, einzeln stehend vor einer breiten Straße. Auch die Villa des Corelli interessierte mich, die sich im Park Güell befindet, das war heute zu weit, steht jedoch morgen auf dem Programm.
Ebenfalls wollte ich die Calle Santa Ana aufsuchen, wo sich die Buchhandlung des alten Sempre und seinem Sohn befunden hat. Und aus irgend einem Grund wollte ich den Wasserspeicher finden, der sich im Parc de la Ciutadella befinden soll und noch von der Weltausstellung 1888 stammt. Ich habe nicht recherchiert, ob er noch steht.
Dort sitze ich jetzt übrigens, zwei Orte habe ich bereits gefunden: die Carrer dels Flassaders und den Park. Beides war etwas enttäuschend. Die Carrer dels de Flassaders ist ein enges Gässchen, die Nummer 30 ein recht langweiliges Wohnhaus, das sicher auch schon 100 Jahre oder mehr auf dem Buckel hat. Nun, das Haus Martins ist ja abgebrannt, vielleicht hat etwas Ähnliches hier gestanden. Dass ich am richtigen Ort war, bezweifelte ich nicht, denn die ebenfalls im Buch erwähnten Passeo del Born und Calle Comercio sind gleich nebenan. Es war trotzdem aufregend, dieses Kleinod zu suchen. Als Nächstes wollte ich den Wasserspeicher suchen, der sich im Park irgendwo an der Hauptallee und in der Nähe des künstlichen Sees befinden soll. Den See fand ich, die Hauptallee ebenfalls, den Wasserspeicher jedoch nicht. Entweder ist er abgerissen oder das Gebäude dient einem anderen Zweck, dazu habe ich noch nicht genug recherchiert. Man kann nicht alles finden und nicht sofort. Ich werde es bei Gelegenheit noch herausbekommen.
Als Nächstes gehe ich in die Carrer de Santa Anna, morgen dann zum Park Güell, den ich ohnehin sehen wollte. Es ist noch recht früh am Tag, so dass ich durchaus noch ein paar Stunden herumlaufen kann.
Orte aus dem Buch „Der Schatten des Windes“ von Zafon
Das habe ich auch noch getan. Nach dem Park, der übrigens allein schon einen Besuch wert war, bin ich weiter gelaufen. Ganze hundert Meter habe ich es geschafft, dann sah ich einen Wifi-Punkt, gratis und ohne Komplikation kam ich wieder ins Internet. Ich hielt das Surfen diesmal in Grenzen, ein echter Fortschritt also. Meine Recherche den Wasserturm betreffend führten jedoch zu nichts, ich vermute, dass er, sollte er noch existieren, im Bereich des Zoos zu finden ist. Daran war jetzt nichts zu ändern, ich nahm es als zur Zeit nicht nachvollziehbar hin. Auf dem Rückweg lief ich durch die Carrer de la Princesa, ein weiterer Handlungsort des Buches, wenn auch ein nebensächlicher. Hier befindet sich ein Mystikshop, deren Besitzer den Besuch des Protagonisten nur kurzzeitig überlebt. Die Carrer de Santa Anna fand ich ohne Probleme, sie ist gleich am Placa de Catalunya, ich war sie heute bereits schon einmal entlang gelaufen. Vor einigen Monaten ebenfalls des öfteren. Es ist eine breite Straße, die viele historische Gebäude beherbergt, die Zafon sicher inspiriert haben. Heute sah ich sie deshalb mit anderen Augen, hier endlich fand ich meine eigenen Bilder wieder, konnte in einigen Geschäften gut nachvollziehen, wie der alte Sempere dort zwischen seinen Bücherregalen nach Schätzen sucht, um sie – gegen Bezahlung oder ohne – an seine Kunden weiter zu geben.
Eigentlich war damit mein Soll für heute erfüllt, doch war es gerade einmal fünf. Ich hatte keine Lust, bereits zum Camper zu fahren, also machte ich mich auf den Weg ins berühmte Raval-Viertel, südlich der Rambla. Vor vier Monaten haben Nina und ich den Weg dorthin nicht gefunden, wahrscheinlich fehlte eine passende Beschreibung in unserem Reiseführer, damals nicht der Rough Guide. Ich lief an dem Museum für zeitgenössische Kunst vorbei, dann änderte sich das Bild, das ich von Barcelona hatte. Die Straßenzüge sahen ähnlich aus, alte Häuser, die kaum Sonnenlicht auf die Gassen durchließen. Hier trocknen die Leute ihre Wäsche noch draußen, fast aus jedem Fenster hängt sie. Auch die Bevölkerung ist anders, viele Asiaten und Araber und natürlich Studenten. Wahrscheinlich ein großes Stück des realen Barcelonas abseits der Touristenwege. Ich fühlte mich wohl hier, auch wenn die Verruchtheit, die das Viertel seit jeher umgibt, mit ganzer Wucht zu spüren ist. Wie es der Zufall wollte, trug ich ein Hemd mit orientalischem Kragen, das ich in Marokko erworben hatte, so dass ich von den Händlern zumindest etwas Aufmerksamkeit bekam, wenn das auch nichts war im Vergleich zu den Erlebnissen vor drei Wochen (Drei Wochen? Länger ist das nicht her? Unglaublich.). Ich fand die Rambla de Raval, die dritte Rambla in Barcelona (ich glaube, es sind insgesamt fünf). Sie unterschied sich aufs Angenehmste von der anderen, die kaum 300 Meter weiter nördlich verläuft. Hier gibt es zwar auch Restaurants, doch sind diese anscheinend ausnahmslos für Einheimische, was sich sofort an den Preisen bemerkbar macht. Auch ist die Atmosphäre anders, entspannter. Südländisch eben und nicht vom nervösen Geschäft geprägt, dass sich durch den Tourismus unweigerlich einstellt.
So also hatte ich heute wirklich viel Spaß, es war ein Ereignis der anderen Art, ohne Reiseführer, der mir alles vorbetet und mir das Denken und das Erfahren abnimmt. Vielleicht sollte ich ihn öfter mal im Camper lassen?