Erg Chebbi

Zu einem Frühaufsteher entwickle ich mich nicht gerade, es scheint sogar immer später zu werden. Mit einiger Mühe und schmerzenden Gliedern rappelte ich mich gegen 7 Uhr aus dem Bett, denn ich wollte der Hitze des heutigen Tages ausweichen. Das schien mir mehr als angemessen, denn meine Fahrt sollte mich tiefer in die Sahara führen. Ich fuhr aus der Schlucht an der Oase vorbei, die ich nochmals in ihrer vollen Pracht betrachtete. Noch vor Tinehir nahm ich eine völlig in Ruinen liegende Kasbah-Stadt wahr, die direkt über der Palmeria lag, sie war mir auf der Hinfahrt kaum aufgefallen. Die Engländer sagen „pictueresque“, das Wort trifft es am ehesten. Diese Kasbah-Stadt muss völlig unbewohnt sein, ihrem Zustand zufolge, die Einheimischen wohnen lieber in den modernen Wohnungen daneben. Wer kann es ihnen verdenken, wenn sie dort die Annehmlichkeiten haben, an die wir Europäer uns längst gewöhnt haben?
Nach Tinehir kam ich nur noch durch kleinere Orte, ansonsten wurden die Aussichten weiter, die Steppe vor mir veränderte sich langsam. Erst sah ich noch hier und dort grüne Sträucher, die allerdings mit zunehmender Kilometerzahl immer seltener wurden. Durchbrochen wurde diese Eintönigkeit durch einige Oasen, die wie kleine fruchtbare Paradiese auftauchten und wieder verschwanden. Die Temperaturen schienen mir noch sehr erträglich, doch auch sie stiegen im Laufe der Zeit. Ich ließ Erfoud hinter mir, sah an einigen Stellen die viel beschriebenen „Blauen Männer“, Einheimische, die sich in der Touareg-Kluft der Wüstenmänner kleiden. In Rissani versuchte mir einer von diesen einzureden, dass es in Richtung Erg Chebbi keine beschilderte Straße gäbe, er mir aber gerne auf einer Piste höchst persönlich den Weg zeigen würde. Ich hatte davon gehört, musste leider ablehnen, denn es war eine glatte Lüge. Die Straße zu den Dünen ist inzwischen bestens geteert. Jetzt wurde es dennoch immer heißer und ich spürte bereits, wie mir die trockene Luft in der Nase brannte.
Dann sah ich sie, die berühmten Dünen Erg Chebbi. Sicherlich war ich auch vorher schon in der Wüste, hatte sie bereits einige Hundert Kilometer weit durchquert und dennoch fühlte es sich jetzt erst wirklich echt an. Bei der Ankunft hatte ich das herzlichste Erlebnis dieses Urlaubs. Ich wurde per Handschlag von Achmed begrüßt und mit vielen Freundschaftsbekundungen in das typische Berberhaus geführt, das hier als Restaurant dient. Achmed verschwand in der Küche und kam kurz darauf mit einem frischen Minztee und einigen gebrannten Erdnüssen zurück. Er hieß mich abermals willkommen, führte dann eine Art Teezeremonie durch, in dem er mehrfach den bereits gesüßten Tee einschenkte und wieder in die Kanne zurück goss, um den Zucker zu verteilen, wie er mir erklärte. Heraus kam ein erstaunlich ausgewogenes Getränk, das weder bitter noch zu süß schmeckte, anders als diejenigen, die ich zubereitet hatte. Wir saßen da und schwatzten, die Zeit schien still zu stehen. Er erzählte von den Menschen, die hier herkamen, den Gästen unterschiedlicher Nationen und wie sie sich unterschieden. Besonders lustig fand er die Tatsache, dass alle Deutschen Uhren trügen, er richte sich lieber nach dem Stand der Sonne. All das erzählte er mit einem freundlichen Lächeln und einer entwaffnenden Ehrlichkeit, die mich hier wirklich zu Hause fühlen ließ. Das war ihm wichtig, was er übrigens immer betonte. Er lud mich ein, jederzeit in die Lounge kommen zu können, sollte es mir draußen zu heiß sein, er könne auch alles besorgen, was ich bräuchte, Lebensmittel oder Zigaretten, was auch immer. Wenn sie es nicht hätten, würden sie es holen, alles wäre möglich. Keine Ahnung, wie weit sich dieses Angebot erstreckte. Ich konnte nicht anders und bestellte für abends eine Tajine. Achmed riet mir, sollte ich die Dünen sehen wollen, mehrere Stunden zu warten. Die Dünen liegen nur wenige Hundert Meter vom Campingplatz entfernt, so dass ich mich gegen drei darauf vorbereitete, loszugehen. Achmed war skeptisch, blieb für einige Zeit am Tor stehen. Er hatte recht.
Ich war nicht einmal am Fuße der Dünen angelangt, da wurde mir klar, dass es nicht weiter geht, zumindest nicht um diese Uhrzeit. Der Schweiß lief in Strömen und ich spürte, wie selbst nach wenigen Metern die Kräfte nachließen. Also tat ich, was mir das Vernünftigste schien, ich machte einige Fotos und ging sofort zurück. Achmed war erleichtert. Ich solle es um 5 wieder probieren.
Jetzt sitze ich hier, in der Lounge, habe Internetzugang und eine eiskalte Fanta vor mir, die mich sofort noch mehr schwitzen lässt.
Ich werde jetzt aushalten und später einen erneuten Versuch starten. Denn besonders hier kann man nichts erzwingen.

Erg Chebbi 

Erst gegen sechs war es meines Gefühls nach möglich, zur Düne aufzubrechen. Es wehte ein heißer Wind, der mir immer wieder zu schaffen machte, zum einen, weil er die Hitze auf jeden Zentimeter Haut verteilte, zum anderen, weil er, je näher ich den Dünen kam, mir Sandkörner entgegen blies, die mich wie Nadelstiche peinigten. Zum Glück hörte er bald auf, so dass ich ungehindert meinen Weg fortsetzen konnte. Noch nie war ich auf einer Düne gelaufen, ich kannte dieses Gefühl vielleicht von Stränden, doch das war etwas ganz anderes. Es lief sich sehr schwer, denn meine Füße sackten tief ein. Bald schon hatte ich heraus, dass man auf den Zinnen der einzelnen Dünen wandern muss, dort war es einfacher und die Anstiege waren wesentlich flacher. Die Körner wirkten mikroskopisch klein, leuchteten erst gelb, dann rötlich, je weiter die Sonne unterging, die heute allerdings durch einen leichten Wolkenschleier verhangen war. Ich setzte mich irgendwann auf eine besonders hohe Düne und sah dem sprichwörtlichen Treiben zu. Milliarden Sandkörner waren in Bewegung, nichts blieb so, wie es war. Selbst meine Fußstapfen waren schon bald kaum noch zu erkennen. Auch die Kante der Düne vor mir schien sich fortwährend zu bewegen, ihr rötlicher Schein verschob sich immer weiter und wenn auch nur um wenige Zentimeter.
Es ist wie im Leben, auch wenn wir das manchmal nicht wahrhaben wollen. Alles ändert sich um uns herum, nie bleibt irgendetwas stehen. Selbst die eigene Düne, auf der ich saß, sie bewegte sich, was immer ich auch getan hätte, ich hätte es niemals aufhalten können. Natürlich habe ich nichts versucht, eine Sache, die ich in Zukunft auch in anderen Situationen probieren werde. Denn wie die Menschen nähern sich so die Dünen, sind manchmal sehr nahe, dann entfernen sie sich. Manche verschwinden völlig oder sind irgendwann so weit entfernt, dass sie nicht mehr wahrnehmbar sind. Vielleicht ein wenig wie Freundschaft und Liebe, Gefühle, die auch ständig in Bewegung sind, manchmal nah, manchmal fern, und ab und zu einfach verschwunden, ohne die Gewissheit, dass sie nochmals wiederkommen.
Es war friedlich wie nie, alles ging seinen Gang, war im Fluss. Dann wurde der leichte Wind wieder stärker und erinnerte mich daran, wie gewaltig dieses so wunderschöne und doch so feindselige Stück Land doch ist. Von der Ferne fegte der Sand heran, noch stärker als vorher. Meine Spuren waren verschwunden, ich wusste nicht mehr, welchen Weg ich genommen hatte. Wieder erinnerte ich mich an die eigene Vergänglichkeit, unsere Spuren auf dieser Erde, die so schnell verweht sind, selbst wenn wir noch da sind, sind sie bereits weggefegt. Doch ich hatte noch einen anderen Gedanken, denn es hatte etwas, irgendwo zu stehen, weder zu wissen, wo man hergekommen ist noch wo man hingehen wird. Es ist nicht wichtig, sondern nur die Tatsache, dass man da steht, wo man steht. Wie einen die Reise dorthin gebracht hat, ist in diesem Moment egal, auch die Zukunft ist noch nicht geschehen, denn die Dünen liegen jungfräulich vor einem, als wären sie noch nie betreten worden, egal in welcher Richtung. Ein wunderbares Gefühl, wenn man das aufs Leben anwendet, denn es erscheint nur noch wichtig, dass man selbst die Wege geht, völlig egal, ob andere es vor einem bereits getan haben. Jedes Mal wieder ist es eine Herausforderung, immer wieder ein Erfolg, wenn man es denn geschafft hat.
Ich sitze jetzt auf dem ummauerten Campingplatz, der wie eine Karawanserei Schutz gegen den Wind bietet, der noch immer heiß, aber nicht mehr mit der gleichen Intensität bläst. Ich freue mich schon auf meine Tajine heute Abend.