Über den Apennin nach Cervarezza

Die Hitze der letzten Tage zeigt erhebliche Wirkung. Ich denke, dass ich trotz gehöriger Flüssigkeitsaufnahme dehydriert bin, Muskeln schmerzen, meine Konzentrationsfähigkeit geht gegen Null und dass, obwohl ich nur ungefähr 170 Kilometer gefahren bin. Um 6:30 bin ich aufgestanden, diszipliniert wie lange nicht und bin eine Stunde später abgefahren. Trotz der frühen Stunde floss ich einmal wieder dahin. Ein Italiener hatte mir gestern erklärt, dass das nicht an der Hitze liege, die mit ca. 30 Grad nicht höher war als sonst. Die Schwierigkeit bestand in der hohen Luftfeuchtigkeit von über 90%. Keine Ahnung, was das im Körper auslöst, ich jedenfalls und mit mir viele andere vertragen es gar nicht.

Die Fahrt heute gehört mit zu den schönsten auf dieser Fahrt bislang, vielleicht nur erreicht durch die Fahrten über die Atlasgebirge in Marokko. Es war Abenteuer pur, und wenn ich daran denke, wie es für einen Beifahrer gewesen sein müsste, werde ich ganz neidisch. Ich fuhr die Küste entlang, immer Richtung Spezia. Hier überbietet sich Ligurien mit immer spektakuläreren Anblicken, denn nachdem man etwas an Höhe gewonnen hat, schaut man auf atemberaubende Landschaften hinab, das Meer immer im Auge, bewaldete Hänge mit einzelnen Häusern und immer wieder kleinen Städtchen. Ich habe leider den Fehler gemacht und bin immer weiter gefahren, somit bleibt dieser Reiseabschnitt relativ undokumentiert, was Fotos angeht. Es war allerdings nicht der richtige Tag zum Fotografieren, denn die Luftfeuchtigkeit hatte einen Schleier über alles gelegt, das weiter entfernt lag als 100 Meter. Auch war ich ein wenig in Eile, denn die Hitze hatte bereits in den frühen Morgenstunden unbeschreibliche Grade erreicht. Ich habe so etwas in meinem Leben noch nicht erlebt, bin auch über meine körperliche Schwäche mehr als verwundert, beobachte sie aber mit Interesse. Man lernt nie aus, besonders wenn man damit beginnt, seinen Körper zu verstehen. Er ist und bleibt eines der größten Wunder der Schöpfung und ich meine damit nicht nur den menschlichen.
Sollte ich einmal in den Regenwald reisen, werde ich wohl vorher mit Rüdiger Nehberg telefonieren müssen, um mir Tipps zu holen, denn so halte ich es nicht aus.

Trotzdem bereue ich die Fahrt nicht, denn auch wenn es sehr langsam voranging, wahrscheinlich nicht mehr als 30 KM/h, kam ich auf fast jedem Abschnitt auf meine Kosten. Sollte jemand in dieser Gegend Urlaub machen und zwei Wochen oder länger nichts anderes tun, als von einem Aussichtsklimax zum anderen zu reisen und diese stundenlang betrachten, ich denke, er würde nicht eine Sekunde seines Lebens verschwenden. Sicher, die gesamte Küstenlandschaft ist sehr bebaut, aber behutsam und malerisch. Nicht umsonst befindet sich Cinque Terre und Portofino nur wenige Kilometer entfernt von meiner Strecke, nur um Lesern einen Eindruck zu vermitteln, welche Bilder mich heute erfreut haben. Wie gesagt, mit Fotos kann ich leider nicht dienen.

Die Fahrt strengte natürlich auch an, erst nach vier Stunden höchster Konzentration – oft musste ich viele Serpentinen fahren – gönnte ich mir eine Pause. Inzwischen hatte ich mich von der Küste entfernt und war in einen Nationalpark gefahren, die Berge hier hatten die Luft allerdings noch nicht abgekühlt oder entfeuchtet. Auch dieser Streckenabschnitt war wundervoll gewesen, ich schraubte mich immer höher, die Steigungen waren aber noch zu bewältigen. Eigentlich hatte ich nicht einmal 60 Kilometer vor mir, also dachte ich über diese Pause nach. Wie schlecht es mir ging, merkte ich in einem Supermarkt, wo ich für das Wochenende einkaufen wollte. Schon merkwürdig, wenn einem die Kraft für die simpelsten Dinge fehlt. Es ist auch keine geistige Schwäche gewesen, sondern definitiv eine körperliche, auch wenn der Geist natürlich genauso darunter leidet.

Der letzte Streckenabschnitt war dann – wie es kommen musste – der schwierigste. Ich fuhr mitten in den Nationalpark des Apennin hinein, vor einigen Kilometern war ich noch auf Meereshöhe, jetzt schraubte ich mich auf über 1200 Metern. Oft musste ich im ersten Gang fahren, denn die Transe schaffte es kaum. Wenn sie eines Tages den Geist aufgibt, dann sicher bei solchen Torturen, für die sie eigentlich nicht konzipiert ist. Ich litt mit ihr, hielt oftmals die Luft an, wenn die Steigung zu schlimm wurde oder die Kurven zu eng. Auch hier erlebten wir zusammen atemberaubende Ausblicke, allein die Fahrt – vielleicht mit einem etwas passenderem Gefährt – ist es wert. Erst nach zwei Uhr, also mehr als 6 Stunden nach meinem Aufbruch, hatte ich die bemerkenswerte Strecke von nicht einmal 200 Kilometern zurückgelegt. Doch war sie jede Anstrengung wert. Auf dem Campingplatz wurde ich so freundlich begrüßt wie selten, ich bekam einen ganzen Haufen Informationsmaterial und der Rezeptionist versprach mir, mich morgen wegen einer möglichen Wanderroute zu beraten. Ich habe allerdings den bestimmten Verdacht, dass die Webseitenwerbung auf dem Camper und die Anwesenheit meines Netbooks, auf dem ich immer wieder schreibe, wenn mal etwas Zeit ist, den Anschein erweckt, als wäre ich unterwegs, um einen Bericht für eine Zeitschrift zu schreiben. Besonders hier, denn außer mir ist niemand zu seinem Platz geleitet worden, der hoch liegt und mir einen fantastischen Ausblick auf die Berge rund herum gewährt. Hier werde ich wieder Kräfte sammeln, die Hitze ist in eine angenehme Temperatur übergegangen, auch wenn die Luftfeuchtigkeit weiterhin sehr hoch ist. Woran das wohl liegt? Jedenfalls habe ich in den letzten beiden Tagen meinen Roman sehr vernachlässigt, hier wird es anders.

Dieser Nationalpark ist ein Teil Italiens, den ich noch gar nicht kenne. Es ist schön hier, friedlich, die Touristenhorden fehlen, leider ist das Publikum etwas älter. Ganz abgesehen von der Horde Kinder, die direkt unter mir zeltet. Aber ich bin in Italien, einem Land, das eines der größten Vorbilder ist, wenn es um Kinder geht, die hier alles sind, das größte sozusagen. Leider ist das in meinem Land nicht so, wo Kinder eher Ärgernisse darzustellen scheinen. Zumindest habe ich diesen Eindruck. Also nehme ich das jetzt ganz italienisch und gönne mir einen Schluck Rotwein. Dann wird es sicher noch schöner hier.