Kücükkuyu

Mir brummt der Kopf. Die kleine Erkältung setzt sich fort, hat sicher heute ihren Höhepunkt und wird dann langsam abklingen. Es ist also ein Tag gewesen, an dem ich, so ich in einem Beschäftigungsverhältnis gestanden hätte, anwesend gewesen wäre, ohne viel zu leisten. Doch ich stehe nicht in einem solchen, zum Glück nicht, also konnte ich mir eine gewisse Schwächephase erlauben. Das heißt allerdings nicht, dass ich faul war, im Gegenteil. Trotz des leichten Krankheitsgefühls arbeitete mein Hirn ausreichend gut, es war beinahe wie ein kleiner Schwips, der mir sogar bei einigen gewagten Formulierungen half. Auch schien ich beinahe etwas zu kritisch bei manchen Textstellen, doch das kann man eigentlich nicht genug sein. Auf diese Weise habe ich heute zehn Seiten korrigiert, eine wichtige Stelle habe ich allerdings auf morgen verschoben, schlichtweg, weil ich bereits gegen Ende etwas erschöpft war. Aber ich beginne wieder einmal in der Mitte. Die Nacht war stürmisch, wenn auch nicht sehr kalt. Gegen Morgen, als der Imam seine Gebete sprach, setzte ein leichter Regen ein, dem ich eine Weile lauschte. Da ich in der Nacht recht heftige Halsschmerzen gehabt hatte, dachte ich, ich könne es mir leisten, einmal etwas liegen zu bleiben. Letztlich war ich überrascht, als ich feststellte, dass es erst kurz nach Sieben war, als ich mit meiner Morgengymnastik begann. Langsam komme ich in den südwestlichen Rhythmus, stehe meist kurz nach Sonnenaufgang auf. So habe ich mehr vom Tag. Da meine Partyzeiten lange vorbei sind, macht das auch nichts, ich bekomme noch genug Ruhe. Der „Campingplatz“, auf dem ich stand, war mir schon seit gestern nicht ganz geheuer. Da eine große Reisegruppe angekommen war, wurde ich auf den Parkplatz des angrenzenden Souvenirladens verbannt, zusammen übrigens mit einem italienischen Rentnerpärchen, so war ich nicht ganz allein. Der Parkplatz war vollkommen schief, was mich an unsere Cottage-Wohnung in Heath and Reach erinnerte, in der Nina und ich ganz am Anfang unserer Beziehung gezogen sind. Das Haus war 500 Jahre alt und irgendwann abgesackt, so dass das eine Ende des Schlafzimmers zehn Zentimeter höher lag als das andere. Immer wenn der Camper so schief steht, bekomme ich Rückenschmerzen, die nun auch noch dazu kamen. Das ist als auch ein Grund dafür, muss ich mir merken. Die Italiener fuhren noch früher ab als ich. Mit einigen Angehörigen der Reisegruppe kam ich ins Gespräch. Ich kann das alles nicht verstehen. Warum schließen sich zehn Reisende mit ihren Wohnmobilen zusammen und folgen willenlos einem Reiseführer? Warum entdecken Leute ein Land nicht auf eigene Faust? Sagt der Einzelgänger, der nicht versteht, warum man sich überhaupt in einer Gruppe aufhalten soll. Also verstehe ich nichts davon und sollte schon gar nicht andere Leute und deren Lebensentscheidungen beurteilen. Irgendwann zu Anfang der Reise habe ich mir das einmal gesagt, jetzt erinnere ich mich daran. Niemand ist irgendwem Rechenschaft schuldig, solange er die Grenzen des Anderen nicht verletzt. Wenige Menschen nur sind in der Lage, diesen Grundsatz zu leben. Wären es mehr, gäbe es nicht so viele Kriege und Konflikte. Ich kann es allerdings auch nicht immer. Aber wenn ich mich ertappe, fühle ich mich schuldig. Ist auch ganz gut so.

Ich bezahlte meinen Aufenthalt auf dem Campingplatz bei der alten Türkin, die mir nicht einmal ein Lächeln schenkte. Wahrscheinlich war sie etwas angegrätzt, weil ich am Abend zuvor ihrer Kochkunst nicht gefrönt hatte. Aber so etwas ist meine Entscheidung, da lasse ich mir nicht hineinreden.
Bei der Fahrt heute hatte ich es nicht sehr eilig. Was mir auffiel, war das Fehlen des Klapperns. Was immer es war, es ist nicht mehr da. Ob das ein gutes oder schlechtes Zeichen ist, weiß ich noch nicht. Die Zukunft wird es zeigen. Die Gegend riss mich nicht besonders vom Hocker, erst als ich Kücükkuyu (was für ein Zungenbrecher) erreichte, wurde es wieder schön, denn der Ort liegt direkt am Meer. Einem Hinweis folgend fuhr ich noch etwas weiter, die Küste entlang, dort fand ich das Hotel mit angrenzendem Campingplatz am Wasser. Ich sehe aus dem Fenster das Meer und Lesbos. Komisch, dass die griechische Insel so nahe liegt. Vielleicht komme ich auf diese Weise zurück, mit einer Fähre nach Athen. Aber das kommt später. Viel später. Es ist der perfekte Ort, um zu arbeiten. Da der Wind sehr frisch war, hielt ich mich oft im Camper auf, ansonsten ist hier nicht viel, was mich vom Schreiben abhält. Morgen mache ich einen Ausflug nach Assos, mal sehen, wie es ist. Der Abend wird kühler als mir lieb ist. Schon jetzt spüre ich seine stechende Kälte. Vor drei Tagen habe ich das erste Mal feste Schuhe anziehen müssen. Die Sandalen stehen aber noch griffbereit. Ob ich sie dieses Jahr noch mal brauchen werde? Ich hoffe inständig. Ich bin noch nicht bereit, die Wärme gehen zu lassen. Vielleicht erholt sich das Wetter ja wieder.
Und wenn ich dafür schneller in den Süden fahren muss.