Portsmouth

Sogar im Urlaub und auf Reisen gibt es gute und schlechte Tage. Das musste ich heute erfahren. Irgendwie begann alles bereits nicht so besonders gelungen, es war kalt, regnete und meine Laune erhob sich nicht zu den sonst gewohnten, zugegebener Maßen pessimistischen Höhen, die ich auch unter normalen Umständen nicht als Spaß verstehen würde. Heute aber erreichte ich nicht einmal das. Trotz vieler Stunden Schlaf war ich noch immer müde, als ich aufstand, und ehrlich gesagt habe ich mich davon noch immer nicht erholt. Ich kenne das von vergangenen Reisen. Wenn ich zu viel unternehme und zu viel sehe, bin ich irgendwann sozusagen angefüllt wie ein Glas Wasser. Alles, was ich dann noch zufügen möchte, muss zwangsläufig überlaufen.
Vielleicht war es auch die Aussicht, wieder um die 130 Kilometer fahren zu müssen, wieder mehr als zwei Stunden im Auto zu sitzen. Vielleicht interessierte mich das Ziel Portsmouth, das wir uns ansehen wollten, nicht allzu sehr. In jedem Fall nahm die Fahrt kaum ein Ende. Ich hörte einige Male nicht auf Garmin, das sich tapfer schlug, kreierte also mein Leiden und meine langsam ansteigende Wut selbst. In solchen Zuständen sehe ich dann nichts von der Schönheit um mich herum, sondern ärgere mich einfach. Es ist natürlich schlichtweg Zeitverschwendung, aber mit so einer Logik darf man mir in diesen Phasen nicht kommen. Das Gute daran aber ist, dass ich diesen Zorn nie lange aufrecht erhalten kann. Als wir endlich in Portsmouth angekommen waren, hatte ich mich weitestgehend beruhigt.

Wir parkten am Meer, gleich außerhalb der Pay & Display-Zone. Ich schätzte den Weg in die Stadt auf zwei Kilometer. Es waren am Ende eher 3,5. Aber der Spaziergang am Meer war viel wert, hob meine Laune, auch wenn ich durch noch müder wurde. Der Spinnaker Tower war bereits von Weitem zu sehen, wir kamen an einem alten Pleasure Pier vorbei, das in einem desolaten Zustand ist, wie es sich eigentlich für ein solches Gebäude gehört. Kaum eines ist noch wirklich gepflegt, das traurigste von allen befindet sich in Brighton, wo von der einstigen Pracht nur noch ein vom Meer und einem Feuer vor einigen Jahren zerfetztes Gerippe übrig ist.
Der Spinnaker Tower jedoch täuschte etwas darüber hinweg, wie weit wir wirklich noch zu laufen hatten. Nina hatte mehr Energie als ich. Als wir endlich das Quay erreicht hatten, in dem sich eine Einkaufspassage befindet, war ich mit meinen Kräften am Ende. Aber es gibt ja Costa, eine amerikanische Kaffeekette, deren Barister ein genießbares Koffeingetränk fabrizieren können. Über eine Stunde saßen wir hier, ich genoss es. Die Times gab es dazu, ich blätterte und las, machte mich wieder ein wenig vertraut mit englischer Politik. Ich weiß nicht warum, aber der Immobilienteil interessiert mich seit Jahren. Ich verfolge die Entwicklung recht genau. In London zum Beispiel sind die Preise für First-Class Immobilien in den letzten Jahren nach der Krise um sagenhafte 33 Prozent gestiegen. Im Durchschnitt lag die Steigerung bei sieben Prozent. Unglaublich, denn es waren Krisenjahre. Zwangsläufig dachte ich darüber nach, wie ich ein Leben in England finanzieren würde. Ich müsste in jedem Fall mieten, denn die aus aller Welt hinauskatapultierten Kaufpreise selbst für die schäbigsten Immobilien werde ich mir nie leisten können. Selbst mieten ist keine angenehme Erfahrung in einem Markt, in dem die Politik ausschließlich die Besitzer mit Rechten belegt hat. Nicht einmal einen Nagel darf man in die Wand einer für Tausende von Pfund gemieteten Wohnung schlagen. Geschweige denn renovieren. Es ist der Wahnsinn.

Hier, in den gemütlichen Sofas des Costa-Cafés, dämmerte es mir, dass ich wohl nie wieder in England wohnen werde. Aus den rosaroten Gläsern der Urlaubsbrille sieht immer alles fantastisch aus. Doch die Realität ist immer anders. Es war ein wehmütiger Augenblick, doch ich erinnerte mich, dass ich es tun könnte, wenn ich bereit wäre, den Preis zu zahlen. Wenn ich wieder einen dieser erbärmlichen und Seelen zerstörenden Jobs in einem Call Centre annehmen würde. Und natürlich mit der Träumerei und vor allem dem Schreiben aufhören würde. Die Antwort auf diese Fragen, wenn es überhaupt welche waren, kenne ich.
Niemals.
Ich habe gewählt und England steht auf der Verliererseite. Ich natürlich auch, denn das Wesen der Engländer entspricht eher meinem eigenen. Trotzdem, diese Erkenntnis hilft mir vielleicht dabei, mein derzeitiges Land mehr anzunehmen als ich es bislang, nach mehr als vier Jahren, geschafft habe. Aber Urlaub machen, das kann ich hier immer noch.

Nach einer Weile rafften wir uns auf und gingen zur historischen Hafenanlage. Wir sahen die HMS Victory, das Schlachtschiff Nelsons, von dem aus er den Sieg bei Trafalgar über die französische Flotte aus befehligt hat. Er kam letztlich nur als Leiche zurück, doch das Schiff ist gut erhalten und liegt hier immer noch, gut restauriert. Immer wieder beeindruckend, auf einem Trockendock. Irgendwann einmal werden wir hier sicher einmal das Eintrittsticket kaufen, das uns dazu berechtigt, es auch von innen zu sehen. Aber 20 Pfund pro Person, an einem müden Tag wie diesem zu bereits etwas fortgeschrittener Stunde schien uns doch zu viel. Auf dem Gelände befinden sich noch eine ganze Reihe von maritimen Museen. Auch Kriegsschiffe aus anderen Epochen. Doch die HMS Victory interessiert mich am meisten.

Danach pilgerten wir wieder am Meer entlang zum Auto. Portsmouth ist ein netter Ort, friedlich und hell. Ich erinnerte mich, dass ich ihn schon bei meinem ersten Besuch in 2006 gemocht hatte. Das hatte ich in meiner schlechten Laune am Morgen natürlich vergessen. Also ist es wichtig, dieser nicht allzu viel Raum zu geben und ihr schon gar keine Bedeutung beizumessen. Es wird schon wieder gut.
Wir fuhren noch weiter bis zu einem Campingplatz nahe Chichester. Es ist wieder kalt und es regnet. Der Wetterbericht sagt, dass es bis zu unserer Abfahrt so bleiben wird. Es ist schade, aber Wetter geschieht nun einmal. Vor allem hier in England. Aber einige Stunden Sonne gibt es eigentlich an jedem Tag. Und das ist ganz sicher ein Zeichen für Optimismus.
Alles in allem war es ebenfalls ein erfüllter Tag. Ich habe viel gelernt. Nostalgie ist eben nicht Realität.
Schön, dass ich das auf diese Weise erfahren dufte.