Alicante

Natürlich habe ich gestern in El Campello noch eine kleine Runde gedreht und nicht nur einige leckere Gambas aufgelesen, sondern auch heraus gefunden, wie ich ohne Muskelkater nach Alicante komme. Es gibt eine Straßenbahn, die von hier aus direkt in die Stadt fährt, somit ist natürlich meine lange erwartete Fahrradtour ausgefallen.
Gestern bekam ich noch die Nachricht, dass Nina ihren Urlaub verschieben muss, wahrscheinlich um zwei Wochen. Das wirft natürlich den Zeitplan durcheinander, ist aber kein Beinbruch. Ich habe heute lange überlegt, wie wir es am besten machen können. Eine wie ich finde sehr charmante Alternative ist eine dreiwöchige Intensivschreib-Aktion, in der ich mich auf meine Geschichte konzentriere, und zwar fast ausschließlich. Die andere Alternative wäre eine Verschiebung des Reiseziels von der Provence nach – meinetwegen – Kroatien. Somit läge der Zeitplan bei der weiteren Reise zumindest etwas näher an der Wirklichkeit. Noch bin ich nicht ganz sicher, aber die Idee, hier und jetzt in den nächsten fünf Wochen meine „gotische Novelle“ (so habe ich sie eine Zeit lang genannt. Das Buch heißt heute „Nocturnia“) zu schreiben hat etwas für sich. Damit würde dieses Journal sicher leiden, weil meine Reise natürlich ebenfalls kürzertreten müsste, womit ich leben kann, denn es war immer geplant, auch nebenher einen Roman zu schreiben. Und zwar nicht nur dieses Journal. Eine Novelle möchte ich mindestens zustande bringen, das könnte die Chance sein, der Wink des Schicksals, um mich endlich etwas zur Ruhe zu bringen. Wir warten das Telefonat heute Abend ab. (Anmerkung, mehrere Monate später, 26.7.: ich schreibe täglich an beidem)

Heute also fuhr ich ganz entspannt nach Alicante, lernte während der Fahrt ein älteres Ehepaar aus Sommerset kennen, mit denen ich die kürzlich von den Engländern gewonnene Cricketweltmeisterschaft diskutierte. Ein herrliches Gesprächsthema, weil es so wie das Spiel selbst nie aufhört.
In Alicante suchte ich erst einmal die Strandpromenade auf, ein ziemlich prächtiger Boulevard, der viel Platz zum Flanieren bietet. Die angrenzenden Strände sind kilometerlang, besonders die Nordeuropäer fallen hier besonders auf, da die meisten von ihnen lobsterfarben sind. Warum sich Menschen, die es so wenig gewohnt sind, stundenlang fast ungeschützt an die pralle Sonne legen, wird eines der Mysterien bleiben, die ich im Leben nie verstehen werde. Mir tat es heute jedenfalls schon beim Zuschauen weh, obwohl ich im labenden Schatten saß und mich wohlfühlte. Aber ich muss es auch nicht begreifen. Es geht mich schlichtweg nichts an. Und meine Schmerzen sind es auch nicht.

Alicante und Castillo de Santa Bárbara 

Danach wollte ich in das Museum für zeitgenössische Kunst, das einige Bilder Dalis, Picassos und noch andere Schmuckstücke aufweisen sollte. Der Rough Guide von 2007 sprach davon, dass das Museum gerade renoviert würde, doch diese Information war drei Jahre alt. Leider ticken die Uhren hier etwas anders, das Museum soll in diesem Jahr noch geschlossen bleiben. Gerade heute fand ich es sehr schade, denn ich wollte meine Sinne für Malerei nach dem gestrigen Erlebnis testen, das mich doch etwas erstaunt hat. Damit war mein zugegebener Maßen recht vager Plan für heute bereits empfindlich gestört. Ich ließ es geschehen und sah mir stattdessen das Barrio Viejo, historisches Viertel, an. Besonders am Plaza Santa Faz blieb ich kleben, ein kleines Café an einem winzigen Palmengarten lud mich ein. Hier verbrachte ich die nächsten zwei Stunden und setzte endlich meine Novelle fort, die ganz langsam und sachte Gestalt annimmt, wenn man das zu einem solch frühen Stadium überhaupt sagen kann. Ich merkte jedoch kaum, wie die Zeit verging. Als ich um halb zwei auf die Uhr schaute, war ich überrascht, halte das aber für ein gutes Zeichen. Ich hörte eben erst auf, als ich merkte, dass die Qualität meiner Gedanken nachließ, als die Formulierungen schwammig wurden, war es Zeit, die Segel zu streichen und das Netbook zuzuklappen.
Danach suchte ich nach dem Weg auf die Burg, was sich als nicht einfach herausstellte. Schließlich gelangte ich in einen Park am Hang, den ich immer weiter nach oben lief. Mehr durch Zufall stand ich irgendwann auf der Mauer, der ich nur folgen musste, um zur Festungsanlage zu gelangen. Es ist eine beeindruckende Trutzburg, massig und scheinbar unbezwingbar. Von vielen Punkten aus hatte ich hervorragende Panoramablicke auf die Stadt, die sich an den Burgberg schmiegt. Auch die Aussichten auf die entfernten Berge und natürlich das Meer waren immer wieder erquickend, ich verbrachte viel Zeit damit, mir die Gegend anzuschauen.
Danach wanderte ich langsam wieder zurück in die Stadt. Wieder einmal hatte ich vergessen, Wasser einzupacken, wieder litt ich unter dieser Schlampigkeit und führe meine immer häufiger auftretende Müdigkeit auf diesen selbst herbeigeführten Flüssigkeitsmangel zurück. Doch Aufgeben kam nicht infrage, ich schlich die Mauer weiter, bis ich wieder unten war. Von hier aus ging ich auf einem anderen Weg wieder ein kleines Stück nach oben, stand jetzt in der Altstadt, wie ich sie mir eigentlich vorstelle: weiß getünchte Häuser mit Dutzenden Blumentöpfen und natürlich Pflanzen darin, enge Gassen, in denen man sich verlieren kann, dazu typisch andalusische Fliesen überall, obwohl Alicante nicht mehr in Andalusien liegt. Diese wenigen Gassen empfand ich als den schönsten Teil der Stadt, vielleicht weil ich diese typische Dorfatmosphäre schon so lange nicht mehr gesehen habe.
Erst gegen 17 Uhr machte ich mich wieder auf den Heimweg, die Verbindung nach El Campello funktionierte großartig.
Noch immer habe ich mich nicht entscheiden, ob ich morgen noch bleiben möchte. Ein großer Teil von mir würde gerne doch noch ein bisschen Fahrrad fahren und ab und zu größere Pausen machen, um die Novelle voranzutreiben. Das Meer tut mir sicher gut dabei, und da ich jetzt über sehr viel Zeit verfüge, scheint es mir auch eine immer besser klingende Idee zu sein. Lassen wir uns überraschen, wie ich mich morgen früh fühle. Davon hängt es letztlich ab.