Durres

Auch am Morgen sah die Welt hier nicht besser aus. Ich weiß nicht warum, doch konnte ich den Ort, wo ich stand, immer noch nicht leiden. Schon am Abend hatte ich einige Sachen gepackt, so dass es nicht lange dauerte, bis ich abfahrbereit war. Es genügt eben manchmal nicht, ein kleines Toilettenhäuschen zu bauen und einen Duschkopf draußen anzubringen.
Trotzdem wollte ich mir Durres nicht entgehen lassen. Um den Campingplatz musste ich mich später kümmern, es sollte einige Kilometer außerhalb noch einen anderen geben. Wieder fuhr ich in Richtung Stadt, der Verkehr war eines Samstagmorgens würdig. Zum Glück stehen Strandgänger nie besonders früh auf. Irgendwann stellte ich den Camper ab, in der Hoffnung, weit genug an entsprechende Attraktionen herangekommen zu sein. Das ist immer ein Problem, ich bin es gewohnt, das Fahrzeug außerhalb zu parken, um dann in einen Ort hineinzulaufen. Das hat Vorteile, die ich nicht missen möchte. Denn zum einen lernt man so den Geist des Ortes am besten kennen. Nicht nur die Altstadt, sondern auch den Ort, in dem echte Menschen leben. Zum anderen spare ich mir Parkgebühren, aber ich glaube, das hatten wir schon. Da bin ich geizig und ich denke, das wird sich nicht ändern.

Hier jedoch hatte ich keinerlei Probleme, direkt bei zwei Shoppingzentren konnte ich bequem parken. Das wäre in England oder Deutschland an einem Samstag sicher nicht möglich gewesen. Entweder die Albaner haben nicht genug Geld oder, was für mich angenehmer kling, an ihrem Samstag etwas Besseres zu tun, als sich in Läden herumzutreiben. Aber dazu später.
Irgendwo musste der Hafen sein, denn ich hörte die Hörner der auslaufenden Dampfer. Noch immer war ich nicht sicher, ob ich überhaupt in die richtige Richtung ging. Dann aber änderte sich das Bild, vor mir tauchte ein wuchtiger Wehrturm auf, der als venezianisches Kastell beschrieben wurde. Das war es also, das alte Durres. In dem Turm war eine Bar untergebracht, aber noch war es nicht an der Zeit für einen Koffeinschock. Ich lief am Kastell vorbei und sah die alte Stadtmauer, die aus unterschiedlichen Epochen stammt. Ich hätte schwören können, dass es sich bei einigen Teilen sogar um eine römische handeln könnte, denn sie wiesen die typischen Schichten aus roten Ziegeln zwischen anderen Steinen auf. Doch die Schilder, die hier überall angebracht sind, sagten mir etwas anderes. Vielleicht haben die Römer zumindest die Grundmauern gebaut, wer weiß das schon.
Relativ plötzlich stand ich vor dem römischen Amphitheater. Es ist in recht gutem Zustand, wenn auch lange nicht so gut erhalten wie in Verona, Nimes oder Arles. Dennoch war ich von der Größe beeindruckt. Das antike Durres musste mehr gewesen sein als ein winziger Außenposten, was mich nicht wundern würde, lag es doch beinahe in der Mitte des Reiches. Ich leistete mir das Ticket, um es mir etwas näher anzusehen. Das Amphitheater ist noch lange nicht vollständig ausgegraben. Mitten drin stehen immer noch recht ärmlich aussehende Häuser. Ein sympathischer und gesprächiger Aufseher erzählte mir, dass diese Gebäude bald verschwinden würden, um dem Ausgrabungsteam Platz zu machen. Irgendwie schade, denn sie gehören für mich in das Bild hier, denn sie sind ganz offensichtlich aus den Steinen gebaut, die dem ehemaligen Amphitheater entnommen wurden. Also wurde es wie der (sehr) große Bruder in Rom ebenfalls als Steinbruch genutzt. Wer kann es Menschen verdenken? In einem der Gänge, die man sehr gut allein erkunden kann, ist ein herrliches byzantinisches Mosaik zu sehen, denn das Theater wurde, nachdem es keine Spiele mehr gab, zu allem Möglichen genutzt, unter anderem als Kirche und später als Friedhof. Erst 1966 starteten Ausgrabungen, also ist alles noch sehr frisch. Als ich so auf dem Innenhof herumstolzierte, dachte ich mir, wie schade es ist, dass ich niemals solche Spiele sehen kann. Was für ein perverser Gedanke, doch habe ich mich mittlerweile an meine eigene Unmöglichkeit und Grausamkeit gewöhnt. Viel schlimmer noch, ich halte diese Gedanken inzwischen für menschlich. Nur unsere Moralvorstellungen sind zur Zeit etwas anders, auch das halte ich für gut. Nur zu meiner Ehrenrettung.

Die Dame am Ticketschalter rannte mir noch hinterher. Ich hatte nach dem Museum gefragt, also reichte sie mir nachträglich mein Ticket, denn es würde mir auch ins Museum Eintritt gewähren.
Das Museum war eines der merkwürdigsten Bauten, die ich hier gesehen habe. Ein Betonklotz von übelster Hässlichkeit, ich dachte zuerst, es wäre eine Baustelle. Doch dann entpuppten sich die Trümmer drum herum als antik. Bis auf eine Bronzestatue, die die sozialistischen Zeiten umgestürzt überlebt hat und nun hier zwischen Säulen und Grabsteinen liegt. Faszinierend.
Das Museum selbst entspricht innen in keiner Weise dem äußeren Eindruck. Alles ist hübsch angeordnet, sauber und sehenswert. Leider durfte ich keine Fotos machen, schade eigentlich. Man sieht, dass es noch nicht fertig ist, denn die obere Etage ist gesperrt. Allerdings stehen dort bereits Vitrinen mit Gegenständen. In der Etage, die zugänglich war, wusste ich oft nicht, was ich vor mir hatte, die Beschreibungen sind meist in albanisch, wenige englische sind dabei. Aber das kommt sicher noch.
Nachdem ich draußen war, fragte ich einen Aufpasser, ob ich mir das Trümmergelände außerhalb des Museums ansehen dürfe. Er gewährte mir meinen Wunsch nicht nur, sondern erklärte mir sogar noch das eine oder andere Objekt. Korinthisches Kapitell, romanischer Eckstein, christliches Kreuz (aha), es war schön, eine kleine Führung außerhalb des Erlaubten zu bekommen. Aber so präsentiert sich Albanien für mich, immer mit einer Prise Neugier, die mit einem Schuss Lässigkeit daher kommt. Alles nicht so ernst nehmen, dann geht es schon. Wie im Straßenverkehr hier, ich lerne es übrigens langsam. Heute wurde ich sogar angehupt, weil ich einfach abbog, ohne dass dazu die Gelegenheit bestand. Aber ich bremse so oft für andere, da ist es auch mal an der Zeit, dass andere für mich bremsen.
Damit war ich durch. Ich trank noch einen Kaffee im venezianischen Kastell, von dessen Dach man einen schönen Ausblick hat. Fotos von Miss-Wahlen und Partys zeigten mir, dass die Albaner verstehen zu feiern.
Danach war es Zeit für eine Tour durch das moderne Durres. Das Einkaufszentrum war beinahe leer, die Designergeschäfte ebenfalls. Da hier das Rauchen in geschlossenen, öffentlichen Räumen noch erlaubt ist, stank es auf allen Etagen nach kaltem Zigarettenqualm. Ich habe mich sehr schnell an die saubere Luft gewöhnt und merke, wie sehr mich die Zeugen dieser Sucht jetzt stört. Eigentlich eine Frechheit, wie lange es gedauert hat, Offensichtliches einzuschränken.

Ich machte mich nachmittags auf die Suche nach dem anderen Campingplatz. Es war ein Erlebnis, denn ich folgte selbst gebastelten Pappschildern, fuhr auf aufgebrochenen Straßen, die ab und zu zu Pisten wurden und hatte lange Zeit ein mulmiges Gefühl. Aber als ich ankam, wusste ich, dass ich auf einem echten Campingplatz gelandet war. Direkt am Meer, ohne den Lärm und den Müll zeigte sich Albanien von der prächtigsten Seite. Eigentlich wollte ich morgen weiter fahren, aber ich denke, dass ich den Sonntag ausruhen und hier genießen werde. Es ist ein perfekter Ort zum Schreiben.