Tarifa

Endlich, der lang ersehnte Ruhetag war mir heute möglich. Wahrscheinlich ist es eher eine Frage der geistigen Einstellung und das Abschalten meines schlechten Gewissens, einen Tag nicht zum Reisen, sondern zum Erholen zu nutzen, so dass ich heute völlig entspannt meiner Wege gehen konnte. Tarifa kannte ich bereits zur Genüge, so dass ich diesbezüglich keinen Stress verspürte, es sehen zu müssen, der Strand liegt direkt hinter dem Campingplatz. Kein Stress, kein touristischer Wahnsinn, alles ging heute seinen Gang.
Wieder traf mich der Jetlag, ich meine mich zu erinnern, dass es beim Start meiner Reise in Marokko auf der anderen Seite ebenso war. Nicht nur schlief ich gestern sehr spät ein, gegen ein Uhr, was für mich ungewöhnlich ist, doch in marokkanischer Zeit ist es eben erst 23 Uhr. Kein Wunder also, dass ich bis 9 schlief, steckte mir doch der Tag der Überfahrt noch gehörig in den Knochen. Zudem goss es in Strömen, so dass ich keinen unnötigen Drang nach Eile spürte, sondern hörte einfach den Regentropfen zu, die auf das Dach des Campers trommelten und erinnerte mich unweigerlich an die Arbeiter in Féz, die die Bleche bearbeiteten, aus denen später prachtvoll verzierte Teller wurden.
So lag ich also da, es gab nichts zu tun, wahrscheinlich das erste Mal auf dieser Fahrt. Auch das muss man genießen, sagte ich mir und frühstückte in aller Ruhe.

Erst heute habe ich gemerkt, welchen Kulturwechsel ich eigentlich hinter mir habe. Als ich mittags an den Strand ging, sah ich ein Schild: Afrika 15 Kilometer. Das war ungefähr die Strecke, die ich vor wenigen Tagen noch vom Campingplatz nach Meknes geradelt war. Das spürte ich übrigens immer noch in den Oberschenkeln, aber das nur am Rande. Ein wirklicher Katzensprung, keine Entfernung für Mensch oder Boot und doch…. eine Welt, die dazwischen liegt. Dort drüben Afrika, bunt, schillernd, wild, hier Europa, geordnet, sauber, gezähmt. Irgendwann lief ich doch noch in die Stadt, stand wieder in der Medina und es kam mir vor, als wäre ich erst gestern hier gewesen. Die Straßen waren wie ausgestorben, Mittagsruhe, nicht ein einziges Geschäft hatte geöffnet. Selbst die, die auch um diese Zeit auf Kunden warteten, ließen mich unbehelligt ziehen, kein Shopbesitzer, der ein Auge auf mich und meine Moneten geworfen hatte, anonym ging ich meiner Wege und könnte nicht einmal sagen, ob es mir gefiel oder nicht. Wahrscheinlich war es ungewohnt, doch passt es eigentlich zu meiner Natur, denn ich hasse es, Aufmerksamkeit auf mich zu ziehen. Besonders, wenn es keinen Grund gibt, wie zum Beispiel die nicht gerade als Höchstleistung zu bezeichnende Tatsache, Europäer zu sein. Ich grüßte auf meinem Weg einige Menschen, die das sicher höchst seltsam fanden, und dennoch halte ich es für eine der besten Verhaltensweisen, die ich in den letzten Wochen erlernt habe, einfach zu lächeln, wenn man an jemandem vorübergeht, vielleicht nur kurz zu nicken. Selbst hier bekam ich immer die gleiche Münze zurück, nämlich gute Laune. Das ist doch schon alleine sehr viel wert, fand ich. Ich setzte mich dann einfach in ein kleines Café, wurde erst einmal wieder eine Weile vom Kellner ignoriert. Ich war eben wieder zu Hause. Mein letzter Gang führte mich noch einmal zum Hafen, eine Fähre bereitete sich gemächlich darauf vor, in Bälde abzufahren. Jetzt erst kam so etwas wie Wehmut auf. Ich war nicht traurig darüber, sondern hatte mich schon gewundert, mit welcher Routine und kaltem Herzen ich gestern Abschied genommen hatte. Ich blickte nochmals hinüber, wo die Berge Marokkos zum Greifen nahe lagen und sprach auf diese Weise ein „Farewell“, bevor ich mich umdrehte, um den Blick in die andere Richtung zu wenden.
Ich lief ein Stück am Meer entlang, zurück zum Campingplatz, es war nach dem Unwetter heute Morgen jetzt erstaunlich ruhig. Jetzt finde ich langsam zum Thema meiner Reise zurück, denn eigentlich ist der Mittelpunkt das Mittelmeer, auch wenn ich nicht mit Sicherheit sagen kann, ob ich hier in Tarifa nicht den Atlantik vor mir habe. Sei es drum, es ist Wasser und Namen sind Schall und Rauch, denn wo ist schon der Unterschied? Auf dieser Reise definiere ich, worauf es ankommt. Und das ist auch gut so.