Izmir

Regen, nichts als Regen. Schon früh begann es zu tröpfeln, bald schon trommelte es gewaltig. Auch als ich um halb acht die Augen das erste Mal aufschlug. Dieses Geräusch hat auf mich eine derartig beruhigende Wirkung, dass ich mich einfach umdrehte. Da ich eine Art Outdoor-Leben führe, gibt es für mich bei all zu schlechtem Wetter ohnehin nichts zu tun, sagt mir zumindest mein Unterbewusstsein. Das stimmt natürlich nicht, aber manchmal gönne ich mir, es in diesem Glauben zu belassen.

Für meine Verhältnisse spät, stand ich erst gegen neun auf, der halbe Tag war beinahe vorüber. Da es immer noch goss, machte ich einen Kaffee und begann zu arbeiten. Das funktionierte sehr gut, denn da das Wifi nicht funktionierte, war ich auch nicht abgelenkt. Die konspirative Wirkung des Macchiato ließ nicht lange auf sich warten und bescherte mir Energie und Konzentration, die ich voll ausnutzte. Den Teil des Romans, den ich korrigierte, war nicht so gut, zumindest schien er mir an vielen Stellen nicht rund, die ich daher nochmals neu schrieb. Dafür mache ich es ja, nur den Punkt, an dem ich nur noch verschlimmbessere, muss ich finden, bevor ich das Werk verderbe. Aber soweit bin ich lange nicht.

Gegen elf hörte der Regen auf, ich hatte ein besonderes Kapitel beendet, somit war es an der Zeit aufzubrechen. Trotz der Feuchtigkeit schien es nicht kalt, sicher an die 25 Grad, eigentlich nicht unangenehm. Der Ort, in dem ich weile, wirkte immer noch genauso trist. Trotz der Tatsache, dass er ans Meer angrenzt. Aber das Wasser verzaubert Hässlichkeit nicht automatisch in Schönheit. Im Gegenteil sogar, hier scheint es sich anzupassen. Der Bus kam zum Glück sofort.

Das Lösen eines Tickets ist immer ein Problem. Der Busfahrer war sehr nett, aber eindeutig überfordert. Kein Wunder, denn er musste fahren und mir gleichzeitig klarmachen, wie die Dinge in Izmir funktionieren. Demnach hätte ich ein Ticket vorher kaufen müssen, was mir der Rezeptionist nicht gesagt hat. Sei es drum, diese Fahrt fuhr ich auf Kosten der Busgesellschaft. Ja. Endlich bin ich hier auch mal Gewinner, 50 Cent oder so gespart. Meist bin ich derjenige, der finanziell über den Nuckel gezogen wird. Da brauchte ich also kein schlechtes Gewissen zu haben, ausgleichende Gerechtigkeit ist es dennoch noch lange nicht.
Wie immer musste ich aufpassen, um mir den Weg zu merken. Es ging alles sehr gut, die Kilometer schlüpften vorbei, ich stellte fest, welch abartigen Weg ich gestern gefahren war, denn der Bus vermied all die infrastrukturellen Engpässe. Nicht einmal eine dreiviertel Stunde später stieg ich mitten im Zentrum aus. Besser geht es eigentlich nicht.

Hatte ich ein historisches Zentrum erwartet, wurden diese Erwartungen nicht erfüllt. Schon im Bus hatte ich den Rough Guide gelesen, der mich in gewohnt einfühlsamer Manier darauf vorbereitet hatte. Ich begann dort, wo ich ausgestiegen war, bei einem historischen Pier. Es ist jetzt ein luxuriöses Einkaufszentrum, Markennamen wie Gant und Lacoste sah ich, also nicht ganz meine Welt. Am Eingang musste ich sogar durch eine Art Scanner, aber selbst das Piepen veranlasste den weiblichen Wachposten nicht, mich näher zu untersuchen. Schade, sie war wirklich hübsch.

Ich hatte gelesen, dass der Basar sehr lohnenswert sein sollte. Den wollte ich heute erkunden. Die gestrige Schwäche war nicht völlig verschwunden, also schien das genau das Richtige. Türkisch shoppen sozusagen. Natürlich ist es nicht so einfach, denn die vielen Eindrücke, die mir in dem Basar entgegen strömten, muss ich erst verarbeiten. Er war nicht so groß wie der in Istanbul, aber das hatte ich nicht erwartet. Trotzdem war es wundervoll, hier entlang zu schlendern, immer auf der Suche nach einem Hemd, das mich anspricht. Ja, dieses Mal waren es Hemden. Ich brauche ein Einkaufsthema, das mich nicht überfordert.
Überall wurden sie angeboten, aber bei den Hemden ist es wie bei allen Kleidungsstücken und anderen Dingen: Wenn sie gefunden werden wollen, finden sie mich. Sonst nicht. Ich fand auch das eine oder andere Stück, aber auf Nachfrage war es doch zu teuer. 50 Euro für ein Hemd möchte ich noch nicht ausgeben. Dabei habe ich aber festgestellt, wie man herausfinden kann, wie hoch der Touristenaufschlag ist. Die einfachen Shopangestellten sind alle nicht besonders gut im Kopfrechnen. Wenn man fragt und sofort eine Antwort bekommt, kann es sein, dass der Preis einigermaßen stimmt. Wenn die Antwort einige Sekunden dauert, rechnet der Angestellte, verdoppelt den normalen Preis. Dauert es wirklich lange, verdreifacht er sogar. Ich wendete diese Erkenntnis sofort an, ein türkischer Kaffee sollte es sein. Ich fragte…. und wartete. Drei Lira. Da haben wir aber noch Luft. Beim nächsten musste ich nicht so lange warten, zwei Lira. Schon besser. Ich griff zu, sicher war es auch noch zu viel. Ich setzte mich also, bekam einen Kaffee… und eine Flasche Mineralwasser. Sehr pfiffig. Ich fragte nach dem Preis jetzt. Insgesamt drei Lira. Normalerweise hätte ich es durchgehen lassen, aber ich muss solche Sachen üben. Ich diskutierte kurz, dass ich es nicht bestellt habe, dann verschwand die Flasche wieder. Ich beobachtete, die Türken in dem Café bekamen auch kein Wasser, also warum nicht dem Touristen etwas unterjubeln? Ich war stolz auf mich, denn das heißt, dass mein Bewusstsein geschärft ist. Zumindest mehr als vor ein paar Tagen. (Anmerkung ein Jahr später: Manchmal komme ich mir wirklich billig vor. Vor allem aus der Entfernung. Allerdings erinnere ich mich, dass ich damals oft am Rande meines Budgets gelebt habe. Daher halte ich meine Gedanken von damals für verzeihlich.)

Danach lief ich noch weiter über den Basar. Wie üblich bekommt man eigentlich alles, Lederwaren, Kleidung – Marke oder nicht, Kupferwaren. Teppiche nicht so sehr, aber das soll hier nicht hergestellt werden. Das Wirrwarr der Gassen ist in Izmir nicht so kompliziert, irgendwann begreift man es. Auch wenn ich mich mehr als einmal verlor, was nicht so dramatisch war. Am Ende war ich mehr als drei Stunden umhergelaufen, mein Kopf tat wieder etwas weh, so dass ich mir nur noch den Uhrenturm vor dem Basar ansah, der antiker aussieht, als er ist. 1901 wurde er erbaut. Dann begann wieder der große Regen, mein erster Tag in der Stadt war also beendet. Jetzt sitze ich wieder im Bus, es war ein guter Anfang, auch wenn ich denke, dass Izmir mich nicht so lange aufhalten wird wie Istanbul. In jedem Fall werde ich mir eine Biografie über Atatürk besorgen. Er verdient es sicher, mich näher mit ihm zu befassen. Sein Gesicht ist auch heute noch überall präsent, hochverehrt auch nach über 70 Jahren nach seinem Tod.
Faszinierend, so etwas.
Nur noch eine Kleinigkeit, an diesem Tag habe ich die 200.000 Wort-Marke überschritten. Zusammen mit dem Roman sind es insgesamt jetzt 300.000. Ich finde, das ist eine beachtliche Leistung für ein halbes Jahr. Und ich bleibe weiter dran.