Voll kalt

Die erste Nacht in dem Häuschen der Datsche ist immer eine kleine Herausforderung.
Zu diesen Zeiten, in denen sich das Wetter nicht recht entscheiden kann, ob es lieber Winter- oder Frühlingswetter sein will, umso mehr. Die Nächte selbst sind nicht schlimm, ein dicker Schlafsack und ein paar Wolldecken erfüllen ihren Zweck. Gefroren habe ich eigentlich nur, wenn ich mich nicht richtig zugedeckt habe. Das war aber in der vergangenen Nacht nicht der Fall. Trotzdem merkte ich heute Morgen beim Aufwachen, dass sich die Temperaturen nahe der Null-Grad-Marke befanden. Ich fühle das einfach. Weil es kalt ist.
Das Aufstehen fällt dann immer ein bisschen schwer. Aber irgendwann ist es geschafft.

In meinem kleinen Aufenthalts-Kabuff in der Datsche, ein ungefähr vier Quadratmeter großer Raum, waren es sechs Grad. Dieses kleine Zimmer habe ich vor ein paar Wochen eingerichtet, es ist der einzige Raum, den ich heizen kann. Eine kleine Gasbombe steht bereit und ein Infrarotheizer, von dem ich mir allerdings ein bisschen mehr versprochen habe. Das Gute: Er wird wirklich rasch warm. Dieser Aufenthaltsraum ist ein Segen.
Das Wetter ist eigentlich nicht schlecht, es ist hell, die Sonne scheint meistens, aber es ist noch ziemlich knackig kalt. Aufgestanden bin ich um halb sechs, jetzt, um halb neun, habe ich noch nichts Wesentliches getan. Egal. Es gibt Schlimmeres. Immerhin friere ich nicht. Und der Tag hat noch genügend Stunden, um ihn noch sinnvoll zu nutzen. Auch scheine ich doch noch einige Nebenwirkungen der Impfung zu spüren. Der Arm schmerzt zwar nicht mehr so sehr, aber ich fühle mich ein wenig schlapp. Nicht schlimm, nur spüre ich, dass mein Körper kämpft. Muss ja auch ein Schock gewesen sein. All die Antikörper.

Die Debatte jedenfalls, die Corona-Maßnahmen für Geimpfte zu lockern, ist in vollem Gang. Sie geht ein wenig an mir vorbei, weil ich sie als komplex ansehe und die Diskussion, die derzeit stattfindet, alles andere als detailreich verläuft. Die Leute scheinen entweder auf der einen oder auf der anderen Seite zu stehen. Entweder – Oder. Vollkommene Öffnung für Geimpfte versus vollkommener Lockdown (wie bisher, als Lockdown light). Dass es hier um eine gesellschaftliche Debatte geht, die man wirklich näher ausdiskutieren sollte, merken nur die wenigsten. Wenn ich an den Anfang der Debatte denke, war es so, dass die Jüngeren die Älteren schützen sollten. Daher sollten sie verzichten, damit die Älteren sich nicht infizieren. Verzichten auf Schule, auf Gesellschaft, die erste Liebe, eben auf das junge Leben an sich.
Jetzt aber, da die Älteren geimpft sind, fordern sie Öffnungen, natürlich nur für sie. Von der Solidarität, die die Jüngeren vor einem Jahr gezeigt haben, ist kaum noch die Rede. Ich vereinfache natürlich, es ist nur ein Phänomen, das ich bei einigen beobachte, andere argumentieren natürlich viel moralischer.
Auf der anderen Seite stehen die Grundrechte, bzw. die Einschränkung derselben, die eigenartigerweise mittlerweile als „Privilegien für Geimpfte“ bezeichnet werden. Ich stehe ziemlich vehement auf dem Standpunkt, dass Grundrechte keine Privilegien sind, sondern Grundrechte. Und die darf man eben nicht einschränken, wenn der Grund zur Einschränkung weggefallen ist. Daraus folgt eigentlich, dass die Einschränkungen für Geimpfte aus rechtlicher Sicht aufgehoben werden müssen. Ich warte diesbezüglich auf die ersten Urteile.

Schön fände ich es allerdings, wenn sich Geimpfte freiwillig zurückhalten würden. Zumindest für eine Zeit, bis noch mehr Leute Impfschutz genießen können. Einfach aus Solidarität und aus moralischer Unterstützung der Gesellschaft. Und, vergessen wir es nicht, für Kinder gibt es noch gar keinen Impfstoff. Und die sind diejenigen, die im letzten Jahr wie kaum eine andere Gruppe gelitten haben. Leider sind sie von der Politik und auch der Pharmaindustrie „vergessen“ worden. Wie so oft waren die Erwachsenen wichtiger. Am Impfstoffen wird erst jetzt geforscht. Warum eigentlich?
Der moralische Generationenvertrag ist nicht die Gehirnzelle wert, in der er gedacht wird. Aber auch das ist nicht überraschend. Kinder wählen nicht. Und eine Lobby haben sie auch nicht.
Ich hoffe stark, dass sich das im September ändert. Denn es war immer Teil einer konservativen Gesellschaft, diese Altersgruppe zu belächeln und zu vergessen.