Die traurige Rückfahrt

Ich schaffe es nicht, aus dem Tief herauszukommen.

Heute Morgen stand ich früh auf. Den Wecker hatte ich für kurz nach sieben gestellt, aber ich brauchte ihn nicht. Ich war lange vorher wach. Noch immer sitzt der Schock und, ich möchte es Schmerz nennen, tief. Ich fühle mich um etwas gebracht, nämlich meine so dringend notwendige Zeit allein. Einmal noch wollte ich der einsame Reisende sein, der abends vor dem Camper sitzt und seine Erlebnisse aufschreibt, bei einem Glas Wein und einer einfachen Mahlzeit. Ich wollte an Strandcafés Kurzgeschichten schreiben, mir die Leute ansehen und ein wenig Smalltalk mit Franzosen halten, um dieser Sprache endlich zum Durchbruch zu verhelfen, der seit Jahrzehnten ansteht. Das alles ist nicht mehr. Es geht nicht um den Camper, nicht um die schwierige Rückreise oder anderes. Es geht um die verlorene Reise.

Gestern, ganz kurz, in einem wirklich interessanten Augenblick, war ich kurz davor, die Reise fortzusetzen. Ich überlegte, ob ich im exzellenten Sportladen Decathlon einfach einen Rucksack und eine Isomatte kaufen sollte. Einfach, um weiterzufahren. Je mehr ich darüber nachdenke, desto besser wäre das gewesen. Wir sind nichts mehr als die Summe unserer Entscheidungen. Und diese Entscheidung, letztlich alle Gedanken an eine Weiterfahrt sofort abzuschneiden und schnöde nach Hause zu fahren, macht mich noch heute traurig. Ich weiß nicht genau, was mich wirklich dazu bewogen hat, einfach nachzugeben und abzufahren. Vielleicht war es zu viel Mühe, zu viel Arbeit. Das wäre dann eine Form von Bequemlichkeit. Ich halte das für durchaus möglich.

Es ist auch eigenartig, denn es ist ein Fakt, dass ich einen Monat lang unterwegs war. Die Panne ist nicht am Anfang geschehen, sondern eher im letzten Drittel der Fahrt. Und doch war das letzte Drittel ganz offensichtlich ein sehr wichtiges für mich. Aber das sind alles müßige Gedanken.

Heute Morgen jedenfalls brach ich früh auf, kaufte einen Koffer und machte mich zu Fuß auf den Weg zum Autohof. Ich verlief mich ein wenig, was bedenklich war, aber eine sehr nette Postbeamtin nahm mich letztlich mit zum Hof, wo mein geliebter Camper stand. Er sah stolz aus. Nicht tot, nein, er trotze allen Wahrscheinlichkeiten. Wie ein Sterbender, der nicht aufgeben will. Auch die Transe also hatte noch nicht genug, auch sie wollte ihre letzte Fahrt anders beenden. Nun, es stand nicht in unseren Sternen. Trotzdem, als ich die Sachen packte, das Bett machte, fiel mein Espresso-Kocher um. Einige Tropfen Restkaffees befanden sich danach auf der Kommode. Noch vor wenigen Stunden hatte ich sie zubereitet, kurz hinter Aix. Mir wurde schmerzlich bewusst, dass ich nie wieder auf dem Kocher kochen würde, nie wieder im Bett aufwachen, nie wieder vor dem Camper sitzen werde. Es war wirklich schmerzhaft. Daher beeilte ich mich, verschenkte meine Küchenkräuter an die Thekenmaus von Autohaus und trat mit einer Träne in den Augen den Rückweg an. Aber nicht, ohne vorher ein letztes Foto zu machen. Natürlich, der Camper wird zurücktransportiert und ich werde ihn wiedersehen. Aber nur, um ihn auszuräumen und verschrotten zu lassen.

Es war ein langer Weg bis zum Bahnhof, wo ich jetzt sitze und auf den Bus warte, der mich nach Nimes bringen wird. Morgen um diese Zeit werde ich wieder in Berlin sein. Das ist eigenartig. Ich hoffe nicht, dass ich diesem Verlust der Reisezeit lange nachtrauern werde. Wahrscheinlich werde ich mich in Arbeit stürzen, die Zuhause angehäuft auf mich wartet. Vielleicht ist es ganz gut so.

Ich machte es noch einmal wirklich spannend. Stunden hatte ich Zeit, hatte mein Ticket am Bahnhof in Arles abgeholt. Und nichts kontrolliert. Erst als ich im Bus nach Nimes saß, bemerkte ich, dass das Ticket nur bis Mannheim ging. Ich hatte schlichtweg nicht damit gerechnet, dass es zwei Codes gab, die ich hätte angeben müssen. Meine Busfahrt gestaltete sich also nicht besonders angenehm, denn ich musste den zweiten Teil des Tickets besorgen. Und das in nur einer halben Stunde. Eigentlich kein Problem, aber die Schlange vor dem Schalter war gewaltig. Ich tat also etwas, das ich noch nie getan habe. Ich drängelte mich vor. Zumindest für meine Verhältnisse. Ich fragte, ob ich vorgelassen werden könnte. Was immer ich bislang über Franzosen gesagt habe, ich nehme alles zurück. Sie reihten mich praktisch durch, bis ganz nach vorne. Nur ein alter Deutscher blieb verbissen stehen. Wahrscheinlich hatte er es genauso eilig wie ich. So kam ich also recht zeitnah an mein Ticket, an einen Kaffee war natürlich nicht mehr zu denken. Immerhin hatte ich verhindert, nachts um 22 Uhr in Mannheim zu stehen. Ohne Ticket natürlich. Es stellte sich heraus, dass ich dort sogar eine Schlafkabine nutzen kann. Also der ADAC verwöhnt seine Mitglieder. Und ich fühle mich schuldig, weil ich so viel Luxus nicht gewohnt bin.

Mal ehrlich, vielleicht hätte ich doch einen easyjet-Flug nehmen sollen. Das wäre sicher einfacher gewesen. So aber bemühe ich mich, den letzten winzigen Teil der Reise zu genießen. Ich schaue aus dem TGV, der mich nach Paris bring. Und freue mich, dass ich Frankreich nochmal sehen darf. Ich werde es vermissen. Schmerzlicher, als ich es mir jemals vorgestellt habe.

(Anmerkung einpaar Jahre später: so eine elendige Jammerei hier)