Voll Bauhaus, voll Bernau

Gestern endlich mal ein echter Urlaubstag.
Seit Montag haben Ehefrau Nina und ich Urlaub. Auch wenn es sich nicht so angefühlt hat. Besonders ich war mit den letzten Tagen etwas unzufrieden, zumal ich mich mal wieder in ein „Game“ vertieft habe. Zu einer Unzeit. Meist gönne ich mir um Weihnachten herum einige Wochen damit, bin ein großer Assassins Creed Fan, weil ich die geschichtlichen und geographischen Umgebungen liebe. Besonders die letzten beiden, die in Ägypten (zu Zeiten Cäsars) bzw. Griechenland (klassische Zeit) spielten, liebte ich.
Jetzt aber, zu meinem Erstaunen, hat mich Far Cry 5 erfasst. Ein Ego Shooter par excellence. Nicht, dass das Prinzip anders ist, als in Assassins Creed (der Name alleine gibt ja schon gewisse Hinweise), trotzdem habe ich die Ausrede nicht mehr, das alles nur zu machen, weil ich es so liebe, Landschaften und Städte der Antike virtuell besuchen zu können.

Sei es drum. Darüber schreibe ich später nochmal. Mich interessiert, woher bei mir die Faszination kommt. Ich bin mir nicht sicher.

Gestern jedenfalls haben wir entschieden, uns mal etwas anzusehen. Etwas kulturelles.
In Bernau bei Berlin steht ein Bauhaus – Gebäudekomplex, die ehemalige Bundesschule des Deutschen Gewerkschaftsbundes. Erbaut von 1928 bis 1930, ein Werk also aus der Hochzeit dieser Stilrichtung.
Ich selbst bin erst relativ spät „zum Bauhaus gekommen“. Für mich handelte es sich dabei erst um einen allseits bekannten Baumarkt, später dann um eine moderne Form des Plattenbaus, eine eigentlich nicht gerade falsche Deutung, wenn man es genau nimmt. Auch heute bin ich nicht sicher, ob mir das alles gefällt. Meine Großeltern haben in der Gropiusstadt in Berlin gelebt. Ghetto-Türme in Neukölln.
Aber es bringt etwas, sich zu öffnen, um zu verstehen, was die Architekten und Designer anders machen wollten. Und dann hatte ich es irgendwann begriffen. Design und Kunst für den Alltag. Nicht nur für die Elite und die Reichen, sondern für jeden.
Ikea ist daraus entstanden. Und auch wenn das nicht jeder liebt, so kann man doch nicht leugnen, dass es ungemein wichtig war. Denn heute kann sich jeder Möbel, Besteck, Lampen leisten. Vor Hundert Jahren war das nicht so. Die Wahrheit ist sicherlich komplizierter, doch einen Beitrag dazu hat das Bauhaus geleistet. Einen nicht Unwesentlichen.

Bernau also sollte es heute sein.
Die Anfahrt war allerdings etwas sperrig.
Wir fuhren gegen halb zehn ab, nur um 20 Minuten später an der Friedrichstraße festzustellen, dass aufgrund eines Notfalleinsatzes keine S-Bahn nach Bernau fuhr.
Also entschieden wir uns dazu, zum Hauptbahnhof zu fahren, wo erst um halb elf der nächste Zug nach Bernau fahren sollte. Eine halbe Stunde warteten wir darauf und wussten, dass wir um 11 Uhr den Bus zum Bauhaus-Gebäude bekommen mussten, um rechtzeitig zur obligatorischen Führung anzukommen.
Ohne Ironie: Die Bahn hatte Verspätung. Sechs Minuten. Also kamen wir pünktlich eine Minute vor Abfahrt des Busses an der Haltestelle an. Außer Atem. Man rennt ja wie um sein Leben. Das kann sich niemand ausdenken.
Am Ende hat also alles funktioniert. Gerade so. Wahrscheinlich, weil wir letztlich so früh abgefahren waren.

UNESCO-Welterbe Bauhaus Denkmal Bundesschule Bernau

Egal.
Wir waren angekommen.
Das Gebäude erkannten wir, hatten wir es doch schon mal in einer Dokumentation gesehen. Und ich muss es nochmals sagen: Ich weiß nicht, ob ich daran etwas Besonderes erkannt hätte, wenn ich nicht wissen würde, dass es etwas Besonderes ist.
Die Führung begann pünktlich gegen 11:30 Uhr. Eine kleine ältere elegante Dame, einstmals Beschäftigte im Gebäude, erzählte uns alles, was man über das Bernauer Bauhaus-Gebäude wissen musste. Ich möchte jetzt nicht so sehr auf die geschichtlichen und architektonischen Besonderheiten eingehen, das kann jeder bei Wikipedia nachlesen, sondern das erzählen, was mich bewegt hat.
Das Erste, bei dem ich aufhorchte, war die Tatsache, dass das Areal vom Bauhaus-Direktor Hannes Meyer und seinem Kollegen Hans Wittwer gemeinsam konzipiert wurde. Sie gewannen die Ausschreibung zur Errichtung, auch gegen den Architekten Bruno Taut, der die Hufeisensiedlung in Berlin konzipiert hatte.
Hannes Meyer vergaß allerdings, den Namen seines Co-Architekten Wittwer auf der Einreichung zu erwähnen.
So etwas ist nie Schusseligkeit. Und ich musste mich einmal mehr wundern, dass ein solch reger Geist wie der von Hannes Meyer es nötig hatte, sich auf Kosten seines Freundes zu erhöhen. Letztlich führte das zur Trennung der beiden, allerdings erst ein paar Jahre später. Der Grund war trotzdem diese bittere Auseinandersetzungum die Einreichung der Pläne.

Die lichtdurchflutete Mensa mit Blick auf den Wald

Nach diesen menschlichen Abgründen ging es positiv weiter. Als Erstes besichtigen wir das ehemalige Auditorium. Ein lichtdurchfluteter Saal, freundlich und weit, der für 120 Studenten/angehende Gewerkschafter Platz geboten hat. Von der Möblierung ist nichts mehr erhalten, auch die Vertäfelung aus Holz ist nur noch durch Farbe angedeutet, doch der Raum wirkt trotzdem.

Als nächstes sahen wir uns die ehemalige Mensa an. Ein eindrucksvoller Raum, ebenfalls sehr hell, ein Markenzeichen von Meyer und Wittwer. Die großen Fensterwände erwecken den Eindruck, sich draußen zu befinden. Das Prinzip der Kippfenster, das uns schon in Dessau begegnet ist, konnten wir wieder bewundern. Beeindruckend aber ist die unverbaute Aussicht auf die Natur von hier aus. Der Wald steht nur einige Meter entfernt, ohne allerdings das Licht abzuhalten. Man lebt also praktisch in der Natur, ohne draußen zu sein.
Witzig auch: die Säulen, die im ganzen Gebäude zur Geltung kommen. Heute würde man das als brutale Betonkunst bezeichnen. Ist sie hier aber nicht. Trotzdem liegen die Betonpfeiler frei, so wie von den Architekten gewollt. Da diese aber ausgesprochen schlank sind, dominieren sie nicht. Wirken aber rustikal. Genau die richtige Mischung.

Der Gang – das Herzstück des Komplexes, der wirklich alle Teile verbindet.

Ich muss dazu sagen, dass das gesamte Gebäude auf einen Hang gebaut wurde, den Meyer und Wittwer genutzt haben. Der Komplex ist also abschüssig, nicht sehr, ca. sechs Meter auf der gesamten Länge. Dabei sind vier Gebäudeteile versetzt an einen verbindenden Gang gelegt, so wie Würfel an einer Schnur. Der Gang ist ein Höhepunkt für sich. Als das Gebäude in den 2000ern saniert wurde, entdeckten die Architekten die roten Stahlbalken wieder, die jahrzehntelang durch Vertäfelung verdeckt gewesen waren. Sie wussten nicht, dass diese rot gewesen waren, auf Schwarz-Weiß-Fotos ist das nicht zu erkennen. Ich finde es lustig, dass selbst hartgesottene Fans vom Bauhaus sich aufgrund ihres Fundes sicherlich wie die Kinder gefreut haben. So stelle ich es mir zumindest vor.
Auch der Gang ist durch die großen Fenster geprägt. Früher war auch hier der Blick auf die Natur ungetrübt, heute befinden sich dort allerdings Gebäude, die jetzt ebenfalls zum Ensemble gehören. Trotzdem ist alles sehr freundlich und wirkt wie aus einem Guss. Manchmal funktioniert das.

Klappfenster in der Mensa – typisches Bauhaus-Detail

Wir durften sogar ein typisches Zweierzimmer für die Studenten sehen, das ziemlich original aufbereitet ist. Klein, aber ausreichend, mit einer Art Gemeinschaftsdusche. Schade, dass es keine Original-Möbel mehr gibt. Alles nur geklaut, wie die Prinzen sangen.
Am Ende des Ganges befindet sich die Turnhalle. Ich glaube, ich war seit 30 Jahren nicht mehr in solch einem Konstrukt. Als Erstes fiel mir die dicke Matte am der Wand auf. So etwas gibt es heute also immer noch.
Die Sprossenwände sind unzweifelhaft noch aus der damaligen Zeit erhalten. Knorriges Holz, an vielen Stellen schon dunkel und vollkommen glatt von unzähligen verschwitzten Händen, die daran geturnt haben.
Wieder aber sind die Fenster die eigentliche Hauptattraktion.
Ein Teil davon ist noch Original, eine Seltenheit. Der Grund dafür: Sie waren zugemauert, daher sind sie erhalten. Die gesamte Außenwand kann praktisch durch vertikale Klappfenster aufgeschoben werden. Einmalig damals, einmalig heute. Es muss etwas kompliziert sein, sie zu öffnen, ich würde es allerdings gerne einmal sehen.

Der Wintergarten – einziges rundes Element am Gebäude

Nach der Führung liefen wir nochmals um den Komplex herum. Damals wie heute befand sich hier ein Freibad, das heutige ist natürlich moderner. Muss sein, es soll ja nicht nur Denkmal sein. Neben der Mensa befindet sich noch ein runder Anbau, ein Wintergarten. Er lockert das eckige Gebäude auf. Und war sicherlich beliebt bei Studenten, auch wenn er unbeheizt gewesen ist. Auch einen Tümpel gibt es hier, in den 1930ern bildete es das erste Freibad. Er wurde einfach teilweise betoniert, um darin schwimmen zu können. Manchmal muss man nutzen, was man hat.
Was wir auch noch sahen, waren die Lehrerhäuser. Anders als in Dessau, wo die Meisterhäuser ja in einiger Entfernung zu den Lehrstätten errichtet wurden, befinden sich die Lehrerhäuser auf dem Gelände, nur wenige Meter vom Hauptgebäude entfernt. Sie sind an sich ebenfalls interessant, alle mehrstöckig mit Terrassen und auch kleinen Gärten, soweit ich das sehen konnte. 140 Quadratmeter. Damals sicherlich einmaliger Luxus. Aber das Bauhaus war in dieser Hinsicht immer Vorreiter, als Antipode zu den beengten Behausungen in der Hauptstadt. Somit bekommt dann übrigens auch die Gropiusstadt wieder ein anderes Gesicht, denn meine Großeltern zogen in den 70ern dahin, weil es dort fließendes Wasser und Zentralheizung gab. Manchmal muss man den Blickwinkel ändern, um Errungenschaften besser zu verstehen. Was damals Luxus war, ist heute selbstverständlich. Ändert aber nichts an dem Genie, etwas, dass es nur für Reiche gab, auf diese Weise auch normalen Menschen zur

„Steine“ aus Glas – so kommt Licht ins Haus

Verfügung zu stellen.

Der Rückweg dann war unspektakulär.
Die Besichtigung gestern war eine unglaubliche Erfahrung. Vor den Toren Berlins steht also ein ziemlich unentdecktes Juwel. Die Führungen muss man anmelden, die finden auch nur am Donnerstag und Samstag statt. Für uns war es natürlich ein Segen, besonders zu Corona-Zeiten, mehr als 20 Personen dürfen nicht teilnehmen. Ich glaube, auch sonst nicht.
Trotzdem hätte dieses Bauhaus-Denkmal mehr Aufmerksamkeit verdient. Aber vielleicht kommt das noch.
Schließlich ist es seit 2017 UNESCO-Weltkulturerbe.
Und nächstes Jahr ist ein neues Besucherzentrum fertig, das jetzt im Bau ist.
Wie Dessau auch, werde ich Bernau in ein oder zwei Jahren nochmals besuchen. Mal sehen, was aus der urdeutschen Architekturgeschichte des Bauhauses dann geworden ist.

Wer das Denkmal besuchen will, findet hier die nötigen Informationen.