Voll larmoyant

Schönes Wort. Oder?
Ich könnte auch „weinerlich“ sagen. Aber das klingt so negativ. Also benutze ich eines, das kaum jemand kennt, um intellektuell zu wirken.
Ich muss es so machen, weil ich es nicht bin. Das Vorgaukeln falscher Tatsachen ist ja in den letzten Jahren ziemlich en vogue.
Gelernt habe ich es übrigens, als ich Französisch-Vokabeln gepaukt habe. Man nimmt, was man kriegen kann. Auch sprachlich gesehen.

Zurück zum Thema.
Weinerlich.
Ja.
Das trifft es.
Ich verstehe langsam, dass wir es wirklich dieses Jahr nicht aus diesem Land hinausschaffen werden. Ich weiß, dass es sowieso die rationale Entscheidung ist, nicht nur aus Gründen der Pandemie. Schwiegermutter Ellen ist praktisch von einem Tag zum anderen zu einem leichten Pflegefall geworden. Nicht dass wir nicht Hoffnungen haben, dass sie sich wieder weitgehend erholen könnte, trotzdem ist es eine schwierige Phase. Ehefrau Nina könnte sicher nicht einfach wegfahren, zumindest im Augenblick noch nicht. Zu frisch noch die Sorge, dass es zum wiederholten Mal zu einem Krankenhausaufenthalt kommen könnte.
Hinzu kommt ein sich anschließendes Problem, das sicherlich einfacher zu lösen, doch gerade am Anfang emotional nicht zu unterschätzen ist: unsere Katzen.
Bislang hat Schwiegermutter Ellen immer auf die beiden Schlafmützen aufgepasst. Dazu ist sie sogar für die Zeit zu uns gezogen. Zweiwöchiger Ausflug nach Tempelhof sozusagen.
Das entfällt ab jetzt, wahrscheinlich nicht nur für die nähere Zukunft. Wir haben inzwischen einen wirklich verlässlichen Katzensitter, aber wollen wir unseren Fellnasen wirklich zumuten, zwei Wochen praktisch ohne Bespaßung allein zu bleiben? Wahrscheinlich würden die uns durchaus unterstützen: Haut bloß ab.
Aber bislang können wir uns das noch nicht vorstellen. Auf lange Sicht werden wir uns damit aber wohl abfinden müssen, wenn wir die nächsten zehn Jahre nicht auf Urlaub verzichten wollen. Unsere Katzen sind fünf und vier. Also noch ziemlich junge Hüpfer. Auch wenn sie oft nicht so aussehen.

Und Corona?
Ja, da war doch noch was.
Es ist die gleiche Antwort wie vor einigen Wochen: Es ist, wie es ist, staycation ist besser und gesünder. Nicht nur für uns, sondern auch für diejenigen, die wir wirklich noch treffen und sehen.

Also mal wieder viele Gründe, nicht zu fahren. Und das ist das Deprimierende. Eine positive Seite gibt es: Lange Zeit brauche ich nicht mehr weinerlich in der Ecke hängen, denn auch die Spätsaison ist bald zu Ende. Ab Anfang Oktober braucht man nicht mal mehr darüber nachzudenken, noch wegzufahren. Wer bis dahin nicht gebucht hat, macht es auch nicht mehr.
„Positiv thinking bei Aussitzen“ sozusagen.
Es wäre schon fast lustig, wenn es nicht so deprimierend wäre.
Um der Sache heute noch die Krone aufzusetzen, hat es gerade angefangen zu schütten. Aber richtig. Literweise nasses Zeug von oben.
Ich mache jetzt einen Tee und ziehe mir Socken an.
Wohl bekomm’s.

Hier ein Link zum Coronavirus-Update mit Prof. Drosten.