Voll normal?
Alles hat sich irgendwie eingepegelt.
Was vor zwei Monaten noch unvorstellbar schien, ist jetzt Realität. Immer mehr gewöhne ich mich an all das, was der Virus gesellschaftlich mitgebracht hat.
Ich erinnere mich: anfangs war da fast schon eine Form von Aufregung dabei. Diese speiste sich aus mehreren Emotionen, die widersprüchlicher nicht sein konnten: Angst, Lust auf das Neue (vielleicht sogar Abenteuerlust im weiteren Sinne), Trotz, Nachgiebigkeit in Form von Unbeugsamkeit (was die Akzeptanz von Freiheitsbeschränkungen betraf). Neben den Emotionen kam ein Mangel an Informationen, der Ausgleich also zwischen Bauchgefühlt und Wissenschaft. Das machte die Situation so unberechenbar.
Heute jedoch ist es anders. Die anfängliche Panik ist beinahe einer gewissen Langeweile gewichen. Das merke ich auch an diesem Blog, denn ich möchte kaum noch über den Virus schreiben. Dabei hat sich kaum etwas geändert. Corona ist immer noch genauso tödlich wie vorher. Eine Impfung gibt es nicht, nicht einmal ein Medikament, das schwere Verläufe abmildert. Natürlich lernen die Wissenschaftler jeden Tag mehr, doch die anfänglichen Maßnahmen sind heute noch ebenso in Gebrauch wie vor sieben Wochen: Social Distancing. Hinzu gekommen ist nur die Maskenpflicht, über die man geteilter Meinung sein kann, die meiner Meinung nach nur eine Art Pseudo-Maßnahme ist, damit die Leute sich besser fühlen. Hinter so einem selbst genähten Teil wähnt man sich sicherer. Ist aber eigentlich nicht so.
Dabei geschehen allerorts schon Lockerungen. Geschäfte sind wieder auf. Leute können wieder zum Friseur, wobei die Frage erlaubt sein muss, warum das heute sicherer sein soll als noch Mitte März. Denn der Haarkünstler muss einem zwangsläufig nahe kommen. Und das ist nur ein Beispiel.
Fakt ist, die Gefährlichkeit, sich anzustecken, ist nach wie vor groß. Zwar sinken die Zahlen der Neuinfektionen, aber es scheint nur eine Frage der Zeit, bis diese wieder anziehen. Ich kann deshalb vieles nicht verstehen, auch Fragen, die ich mir selbst stelle. Fragen nach Urlaub und Reise. Ist es doch möglich, nach Griechenland zu fliegen? Es ist abstrus, wenn nicht gar pervers, sich solchen Gedankenspielen hinzugeben.
Ich habe eigentlich nur eine Erklärung für die Normalisierung. Wir haben uns alle an die Gefahr gewöhnt. Sie ist nichts Außergewöhnliches mehr, wir leben mit ihr so wie die Leute früher mit hoher Kindersterblichkeit, Keuchhusten und Wundbrand gelebt haben. Es scheint nicht mehr so surreal. Wir fangen an, uns nicht mehr um Leib und Leben in der Gegenwart zu sorgen, sondern um unser Leben in der Zukunft, was angesichts der maslowschen Bedürfnis-Pyramide eigentlich kein schlechtes Zeichen ist, denn wir haben die nächste Stufe erklommen.
Und trotzdem müssen wir weiter vorsichtig sein. Es gibt keine Entwarnung. Morgen kann es mich erwischen, übermorgen Ehefrau Nina. Von Schwiegermutter Ellen mal abgesehen.
Manchmal wünsche ich mir, dass ich einen Hauch von dem anfänglichen Schwung, der zu Beginn der Krise herrschte, wieder entwickeln kann. Nicht um ein Thema zum Schreiben zu haben, denn davon habe ich genug.
Sondern wegen der Sicherheit. Der Lockdown war erfolgreich. Er hat den Virus eingedämmt, ihn aber nicht ausgeschaltet. Das kann er auch nicht. Nun aber pressen die Leute darauf, dass alles wieder gelockert wird. Und das mit großer Intensität.
Ich hoffe also, dass die Vernunft, die uns am Anfang zur Vorsicht gezwungen hat, nicht aufgrund zu großer Lebenslust wieder abgedrängt wird.
Denn es besteht keinen Grund, nicht weiter übertrieben vorsichtig zu sein.
Hier ein Link zum Coronavirus-Update mit Prof. Drosten.