Voll Christianisierung

Religion?
Nein.
Damit habe ich nichts am Hut. Ist auch ein anderes Thema. Trotz der Überschrift, die aber gewollt irreführend ist.
Dieser Artikel soll einem Menschen gelten, der seit Beginn der Corona-Krise Staat, Staatslenker und Bürger begleitet:
Professor Christian Drosten.
Der Corona-Spezialist, der Wissenschaftler, der geduldige Beantworter von Fragen beim NDR (und auch woanders). Er ist Berater der Kanzlerin und anderer Politiker der Republik, der aufgrund seines Wissens großen Anteil daran hat, dass die Krise in Deutschland so glimpflich verlaufen ist, in vielen Bereichen: gesundheitlich, ökonomisch, demokratisch.

Drosten hat dabei ein einzigartiges Talent, das den meisten Wissenschaftlern fehlt. Er kann reden. Und zwar in einer Sprache, die auch Menschen wie du und ich verstehen können. Höchst komplexe Sachverhalte kann er so aufbereiten, dass sie der Allgemeinheit zugänglich(er) werden. Und das ist wahrscheinlich ein ebenso großer Verdienst, wie seine Forschung zu Covid-19.
Er hat mit dem Umgang mit der Pandemie auch etwas zustande gebracht, das man ihm gar nicht hoch genug anrechnen kann: Er hat mit seiner Sachlichkeit dazu beigetragen, dass Menschen in Deutschland nicht in Panik geraten sind. Was man immer besser versteht, verliert seinen Schrecken. Man kann ihm, trotz aller Gefährlichkeit, begegnen, mit Verstand und – vor allem – ohne Angst.
Anders als in anderen Ländern sind wir damit um einen kompletten Lockdown herumgekommen. Wir konnten früher als andere unsere Wirtschaft wieder öffnen, zumindest in weiten Teilen. Und wir haben es bis zum heutigen Tag geschafft, das Virus eingedämmt zu halten. Zumindest bis zu einem gewissen Punkt. Weil wir den Wissenschaftlern gefolgt sind. Mit Mut und Verstand.

Es gibt natürlich auch Probleme:
Drosten ist Wissenschaftler.
Und er berät die Kanzlerin.
Jeder, der hier eins und eins zusammenzählen kann, wird wissen, was das heißt:
Drosten zieht eine gewisse Kritik auf sich.
Es ist wie immer, wenn eine komplexe Realität auf einfache Menschen trifft. Die einfachen Menschen schlagen mit dem Einzigen zurück, das sie haben: Ablehnung und Gewalt. Wer es sich antun möchte, kann gerne mal die Tweets von Professor Drosten googeln und sich einige Reaktionen darauf durchlesen. Was dort geschrieben wird, geht nicht nur unter die Gürtellinie. Es ist triefender Hass. Hass, der in dieser Zeit, auch schon vor Corona, scheinbar in Mode gekommen ist. Befeuert auch durch einen Mieter einer größerem Immobilie in der Hauptstadt der USA, dessen Kennzeichen neben seiner orangen Hautfarbe auch sein Umgang mit Twitter ist, dem er sehr zugeneigt ist. In vielen Fällen stillos und hassdurchzogen. Seine Anhänger tun es ihm nach.
Leider sind dadurch die Schimpftiraden noch stärker geworden, was auch Drosten zu spüren bekommt. Neben anderen. Genannt sei auch Karl Lauterbach, Gesundheitspolitiker und Mitglied des Bundestages. Und Sozialdemokrat. Auch der bekommt den überschwänglichen Hass einiger Weniger im Netz ab.

Trotz dieser ausgesprochen unangenehmen Begleiterscheinung bleiben die Covidioten, also die, die sich jeglicher Hinwendung zur Wissenschaft verweigern, in de Minderheit. Nur ca. 10% der Menschen lehnen die Maßnahmen der Regierung ab, 88% finden sie entweder ausreichend oder sogar noch nicht scharf genug.
Die 10% sind leider sehr laut. Was sie Drosten und anderen Wissenschaftlern vorwerfen, ist, dass diese sich am Anfang oft geirrt und ihre Meinungen ebenso oft geändert hätten.
Ja, das stimmt. Auch Drosten.
Der sagte noch Ende März, dass eine Gesichtsmaske nicht hilft. Später änderte er seine Meinung.
Er hat etwas getan, das in der Wissenschaft vollkommen normal ist, in der Politik aber leider tödlich: Wenn die Wissenslage sich ändert, also neue Erkenntnisse hinzukommen, muss man sich anpassen. Auch Annahmen, die einst als richtig galten, über Bord werfen. Das ist keine Schwäche, sondern das, was Wissenschaft ausmacht. Eine allgemeingültige Wahrheit, die man kaum mehr diskutieren sollte.
Die aber leider viel zu häufig diskutiert wird.
Warum?
Weil sich Politik und Wissenschaft in ihrer Außendarstellung vermischt haben, zumindest in den Augen einiger. Die können nicht mehr unterscheiden, wollen lieber ihre alten Lager wiederhaben, in denen rechts und links noch sauber getrennt waren.
Das Virus aber kennt keine politischen Lager. Es nimmt sich, was es kriegen kann.

Greta Thunberg sagte vor einiger Zeit einen Satz, für den sie, besonders von einem „Komiker“ kritisiert wurde: Folgt der Wissenschaft.
Was dieser Komiker nu(h)r nicht verstanden hat: Sie meinte es genauso wie oben angeführt: Hört zu, forscht, ändert eure Thesen, wenn die Ergebnisse anderes beweisen.
Sie sprach damals vom Klimawandel. Aber dieser Satz ist natürlich ebenso anwendbar auf alles andere. Auch auf Corona.
Unser großes Glück in Deutschland ist, dass wir noch nicht den Weg anderer Staaten in die politische Entwissenschaftlichung gefolgt sind. In den USA und Brasilien zum Beispiel ist das Vertrauen in die Forschung derartig unterwandert worden, dass es schwierig ist, dort noch faktenbasiert diskutieren zu können. Menschen verwechseln zunehmend freie Meinungsäußerung mit wissenschaftlichen Disputen.
Haben sie ein Recht darauf, Fakten anders zu interpretieren?
Natürlich, wenn sie dazu in der Lage sind.
Haben sie ein Recht auf andere Fakten?
Nein. Denn die sind so lange Diskussionsgrundlage, bis sie sich geändert haben. Auf wissenschaftlicher Basis.
Trotzdem ist das das Dilemma unserer Zeit.
Simple Menschen, die meinen, laut mitreden zu können.
Und jetzt muss ich besagten Komiker auch mal zitieren, denn er hat m.E. auch mal etwas Richtiges gesagt: Einfach mal die Fresse halten.
Das gilt insbesondere dann, wenn kluge Köpfe wie Professor Drosten reden.

Von hier also einmal ein großes Dankeschön.
Und natürlich der Hinweis, der seit Beginn der Krise nach jedem Artikel zu finden ist:

Hier ein Link zum Coronavirus-Update mit Prof. Drosten.