Voll relaxt
Wir entspannen die Angelegenheit jetzt.
Langsam erwacht also alles wieder. Die Geschäfte haben geöffnet, bald ziehen die Gaststätten und Cafés nach, ebenso wie die Freibäder und die Hotels. Es wird nicht lange dauern, dann sind auch die Grenzen wieder auf, dessen bin ich sicher. Gerade Letzteres beruhigt mich ungemein, denn wir leben auf einem freien und zusammenwachsenden Kontinent, der in den letzten Jahrzehnten seine blutige Geschichte hinter sich gelassen zu haben scheint.
Was mich freudig stimmen sollte, beunruhigt mich jedoch auch. Nichts hat sich geändert, das schrieb ich vor ein paar Tagen schon einmal. Warum also jetzt die Eile?
Ich kann es natürlich verstehen. Die Sonne lacht, es wird zunehmend wärmer, auch wenn die letzten beiden Nächte in meiner Datsche anderes hätten vermuten lassen, die Menschen wollen nach zwei Monaten des Abstands endlich wieder ein bisschen heraus und sich zeigen. Letztlich jedoch ist es ein Experiment. Eines an uns Bürgern, denn es wird sich zeigen, ob wir verantwortungsvoll mit der Situation umgehen können. Gefahr hin oder her, wir können uns nicht ein Leben lang wegschließen, wobei ein Leben durchaus auch mal aus zwei Monaten bestehen kann, wenn man auf einige Zeitgenossen hört, die sich am lautesten beschweren.
Ehefrau Nina und ich sind uns aber einig.
Wie eine Kollegin, die sich öfter mal in Vulgärsprache sonnt, meint: Man darf auf den Tisch kacken, mache ich das dann auch?
Wir werden uns also weiterhin zurückhalten. Cafés und Restaurants fallen im Augenblick aus. Auch wenn ich es vermisse, wäre es beinahe schon dumm, jetzt einfach zum Normalzustand überzugehen. Vorsichtiges Abwarten, die anderen vorgehen lassen und beobachten, wie sich die Infektionszahlen entwickeln.
Klingt vernünftig, oder?
Und doch habe auch ich irgendwie Anflüge von Egoismus und Selbstverwirklichung, die kaum in dieses Schema passen. So hege ich jetzt gerade, ganz geheim (oder auch nicht geheim, denn ich schreibe ja darüber), wieder etwas Hoffnung, dass mein 50. doch in Griechenland stattfinden könnte. Natürlich vollkommen selbstlos, es geht ja nur um die armen Hotel- und Restaurantbesitzer im Land der unbegrenzten Sonne.
Mal ehrlich, es ist wahnsinnig. Kann ich nicht mal ein Jahr auf das Reisen verzichten? Leider bin ich in schlechter Gesellschaft, denn viele andere denken auch laut darüber nach, oftmals mit einer Vehemenz, die nur den Boomern zu eigen ist, denen andere aufgrund des Alters vollkommen gleichgültig sind. Altersstarsinn? Wahrscheinlich. Und doch frage ich mich manchmal, warum wir das alles machen.
Aber genug davon.
Im Augenblick genieße ich meinen zweiten Aufenthalt in Brandenburg. Trotz meiner griechischen Träume, werde ich wohl hier meine Ferien verbringen. Es ist ein lieblicher Gedanke. Abseits von Internet, ist trotzdem die Zivilisation eingezogen. Letztes Jahr haben wir die Datsche ans Abwassernetz anschließen lassen, ein unglaublicher Schritt in Richtung Lebensqualität hier draußen. Eine Dusche fehlt noch, aber das scheint mir gar nicht schlimm. Es geht auch mal ohne, und ich denke darüber nach, ein kleines Kinderschwimmbecken zu kaufen. Nur für den Fall. Im Sommer ist das sicherlich angenehm. Mit was für herrlichen Nichtigkeiten ich mich hier draußen beschäftigen kann. Vieles fällt ab, dabei ist es ein solch unangenehmes Jahr, und das in vielerlei Hinsicht. US-Wahlen, der Brexit, der letztlich Ende des Jahres endgültig vollzogen wird (nicht sicher, denn die Übergangsphase könnte doch noch verlängert werden) und, allem voran, die Wahl des nächsten Kanzlers steht ins Haus, denn es besteht kaum Zweifel, dass auch der nächste aus dem Hause der Konservativen kommt, was mich ziemlich grämt. Schon wieder Stillstand, schon wieder das alte Einerlei.
Aber hier draußen ist alles ein Stück weiter entfernt. Es ist nicht fort, aber auch nicht so immanent wichtig. Das ist natürlich ein Fortschieben, denn nichts ist verschwunden. Doch manchmal muss man auch abspannen und einfach abwarten können. Wir haben wenig Einfluss auf das Geschehen, die letzten Monate und Jahre haben das in einer Weise gezeigt, die mich manchmal erschauern lassen. Vielleicht geht es ja auch mal in eine andere Richtung.
Besonders optimistisch bin ich allerdings nicht.
Hier ein Link zum Coronavirus-Update mit Prof. Drosten.