Voll Cricket

Es geht wieder los.
Ich habe es nun schon öfter beschrieben, mein inzwischen vollkommen gestörtes Verhältnis zu Großbritannien. Eine lange Geschichte, die ich jetzt nicht wiederholen will. Brexit, Tories, Eu-Sceptics. Dieser Mist eben.
Heute aber ist ein besonderer Tag. Denn eines habe ich mir in den Jahren seit dem Votum nicht verderben lassen: meine Faszination mit dem britischsten Sport, der auch nur in den sog. Commonwealth-Staaten gespielt wird, also im Grunde in den Staaten, die Großbritannien kolonialisiert hat. Das gilt zumindest für die „Tests“, das heißt die Spiele, die auf jeweils fünf (!) Tage angesetzt werden.
Heute also ist der Tag, an dem wieder gespielt wird. England gegen die West Indies.
Es ist der einzige Sport, den ich in den letzten Monaten vermisst habe. Vergiss die Champions League, vergiss die Fußball-Europameisterschaft.
Cricket ist die einzig wahre Sportart.
Sie ist kompliziert, altmodische Begriffe verhindern ebenso wie die undurchschaubaren Regeln ein leichtes Verstehen. Vielleicht fasziniert Cricket mich deshalb so, weil es nach 20 Jahren, nachdem ich damit in Berührung gekommen bin, noch immer manchmal ein absolutes Rätsel ist. Etwas, das sich nicht sofort zeigt, dessen Charme man nur langsam entdecken kann. Eine genaue Beschreibung des Sports sprengt diesen Blogbeitrag, daher nur kurz: Wie beim Baseball geht es darum, einen gegnerischen Schlagmann zu einem Fehler zu bewegen, so dass er „aus“ ist. Der wiederum versucht, den Ball, der im Gegensatz zur amerikanischen Sportart einmal auf dem Boden aufsetzen muss, so weit wie möglich zu schlagen. Oder so platziert wie möglich, denn ein Fang in der Luft bedeutet ebenfalls das „aus“. Dabei gibt es solch lustige Begriffe wie „Leg before Wicket“, Extra-Cover, Bouncer, Googly, Silly Point, Teesra oder Yorker. Und das sind nur wenige Beispiele einer Terminologie, deren Aufzählung ein Lexikon von beachtlicher Stärke füllen könnte.
Vor 20 Jahren also, bei meiner Ankunft in Manchester, hatte ich also das Vergnügen, eben die Paarung England – West Indies im Fernsehen zu verfolgen. Eine derartig kuriose Geschichte, die sich über Stunden und Tage hinzog, dass ich kaum davon lassen konnte. Fünf Tage dauert ein Test Spiel, und es kommt nicht selten vor, dass beide Mannschaften sich mit einem Unentschieden begnügen müssen, weil die Zeit nicht ausreicht, um es zu beenden. Taktik ist dabei alles, die Variationen endlos.
Und das Beste: Cricket beinhaltet alles, was man im Leben braucht. Es bringt einem Geduld bei. Und die richtige Zeit für Aggression. Man kann lernen, mit Druck umzugehen oder mit dem „Sledging“ der Mitglieder der gegnerischen Mannschaft, will heißen, dem Spott, der still und leise kübelweise meist über die „Batsmen“/Schlagleute ausgeschüttet wird und manchmal mehr als nur zu weit geht. Kennen viele vielleicht auch aus dem Arbeitsleben, das ebenfalls kein Zuckerschlecken ist.
Aber es bringt einem auch bei, die gegnerische Mannschaft zu bewundern. Denn es geht um das Spiel selbst. Ich will nicht so weit gehen, hier edlere Ziele als bei anderen Sportarten zu unterstellen, denn dazu hat sich Cricket in den letzten Jahren zu sehr professionalisiert, mit allen positiven und negativen Aspekten. Doch gibt es so etwas wie den „Spirit of the game“, also eine Art Codex, der von Sportgerichten sehr ernst genommen wird. Da kann es schon einmal geschehen, dass jemand gesperrt wird, weil er zu lange mit dem Schiedsrichter diskutiert hat. Und ich meine wirklich nur geredet.

Aber ich schweife ab. Das geschieht schnell bei dieser Sportart, die sich vollständig in Details verlieren kann.
Heute also beginnt um 12 Uhr das Test Spiel, in Southampton in der Ageas Bowl, dem Stadium, das natürlich aufgrund des Virus leer sein wird. Die englischen Spieler werden es gewohnt sein, denn kaum jemand geht auch unter normalen Umständen noch in die Stadien, kostet doch eine Eintrittskarte oft einen dreistelligen Pfundbetrag. Und die gilt immer nur für einen der möglichen fünf Tage eines Spiels. Aber das ist ein anderes Thema.

Ich freue mich also darauf, auf die ersten Würfe, auf das erste Wicket („Aus“ eines Schlagmanns) und natürlich auf die ersten „Runs“ und „Boundaries“.
Es ist kompliziert. Also gehen wir es an.
Let the game beginn (again).

Hier ein Link zum Coronavirus-Update mit Prof. Drosten.