Voll diskutiert

Hand auf’s Herz: Gäbe es die Krise nicht, wären wir jetzt alle auf der Straße. Sogar ich, der sich ungerne in Menschenmengen befindet.
Ich rede vom Widerstand gegen die Maßnahmen der Regierungen in aller Welt, besonders über diejenigen der demokratischen Staaten. Wir erleben Einschränkungen in einer Art, die in jedem rechts- oder linksfaschistischen Staat einschneidend genannt werden würde. Wir dürfen das Land nicht mehr verlassen. Selbst unsere Stadt nicht. Es wird von Ausgangssperre geredet, von Straßenkontrollen und davon, jederzeit von der Polizei angehalten werden zu können.
Es ist drastisch.
Und doch haben wir Demokraten Verständnis dafür. Zumindest im Augenblick. Es geht eben um das gemeinsame Ziel, diese Pandemie zu reduzieren, zu verzögern, aufzuhalten. Und damit retten wir die Leben derjenigen, die am verwundbarsten sind.

Auf der anderen Seite erleben wir aber auch einen Einschnitt in alle demokratischen Freiheiten, die wir uns nur vorstellen können. Wir dürfen nicht mehr demonstrieren, Länderchefs regieren praktisch per Dekret, Verwaltungen übernehmen die Aufgabe, Bürgern mitzuteilen, dass sie eigentlich kaum noch etwas dürfen, sonst drohen harte Bußgelder. In normalen Zeiten wäre das die Vollendung einer Machtübernahme eines Diktators.
Warum beschreibe ich das? Weil es eben nicht so ist. Ich glaube daran, dass diese Maßnahmen wirklich nur temporär sind. Verschwörungstheoretiker sind natürlich anderer Ansicht, aber das sind sie immer.

Trotzdem finde ich es jetzt enorm wichtig, nach dem ersten Schock und den ersten Wochen der Erfahrung mit dieser Situation, dass wir ohne Hysterie beginnen, diese Maßnahmen zu diskutieren. Ich gebe ehrlich zu, dass auch ich mir erst seit einigen Tagen darüber Gedanken mache. Wäre es eine ernste politische Situation, wäre es praktisch bereits zu spät. Jetzt jedoch müssen wir unsere Stimmen wiederfinden und diskutieren. Und zwar nicht als Google-Virologen, sondern als Bürger eines freiheitlichen demokratischen Staates. Denn: Es gibt Grenzen, auch bei der Bekämpfung von Corona. Ich möchte eine nennen, die für mich gilt: die App, die anzeigt, ob ich mich in der Nähe von jemandem befunden habe, der eventuell bereits krank ist. Ich kann verstehen, dass Virologen, also Experten, eine Unmenge an Informationen aus den gesammelten Daten ziehen können. Auch darüber, wie sich die Ansteckung ausbreitet.
Aber es gibt eben auch noch den anderen Punkt: den freiheitlich-demokratischen. Und für mich als Individuum die Frage: Möchte ich, in welcher Lage auch immer, Informationen über meine privaten Bewegungen dem Staat überlassen? Kritiker werden einlassen, dass ich das bei Google ohnehin mache, weil diese private Datenkrake alles aufzeichnet. Das ist richtig. Und auch das verurteile ich, versuche es, so weit es mir möglich ist, einzudämmen. Aber es ist noch einmal etwas anderes, ob eine private Firma mir gezielt Werbung schicken möchte oder ein Staat Informationen von mir bekommt, die ihm nicht zustehen.
Im jetzigen Moment ist das nicht gefährlich, so schätze ich es zumindest ein. Aber gerade so. Sobald unsere Regierung nur ein kleines Stück nach rechts rückt, und damit autoritärer wird, der Definition nach, kann sich das ändern.

Auch finde ich es wichtig, darüber zu diskutieren, wann und wie wir die derzeitigen Maßnahmen zurückdrehen. Das heißt nicht, dass es sofort geschehen muss, der Verstand muss uns schließlich leiten. Trotzdem muss diese Diskussion stattfinden. Derzeit wird sie meines Erachtens noch ziemlich unterdrückt geführt. Sobald ich damit anfange, kommt aus irgendeiner Ecke ein Mordvorwurf. Das muss sich ändern. Und, wie ich denke, es wird sich auch ändern.
Und noch eines, das mal gesagt werden muss: Ich bin froh, derzeit in Europa zu leben, einem Ort, der noch am besten dafür gewappnet war, diese Krise zu überstehen. Natürlich ist nicht alles Gold, was glänzt, aber wo in der Welt haben wir denn bessere Gesundheitssysteme? Und so viel Geld, diese Krise auch sozial aufzufangen?
Also, alles in allem habe ich Hoffnung, dass wir diesen Virus hier gut überstehen.
Woanders bin ich hingegen nicht so optimistisch.

Hier ein Link zum Coronavirus-Update mit Prof. Drosten.