Voll abgewrackt

Ein bisschen spät für dieses Thema, ist es doch schon ein paar Tage alt.
Aber jetzt kommt das Konjunkturpaket.
Ich hatte kürzlich eine Online-Diskussion mit jemandem im Zeit-Forum. Netter Geselle, trifft man nicht so oft im vertrollten Äther. Der verglich die Situation heute mit der von 1929, also dem Beginn vom Ende der ersten demokratischen Republik auf deutschem Boden. Der Ausgang ist allgemein bekannt.
Ich musste widersprechen.
Denn selbst wenn bestimmte Rahmenbedingungen ähnlich sind, gibt es doch fundamentale Unterschiede, die schon von Beginn dieser ersten Demokratie 1919 an immanent waren. Erstens hatte Deutschland gerade einen Weltkrieg verloren. Und, durch den Versailler Vertrag, eine nationale Demütigung ertragen müssen, indem sie die Hauptschuld am Ersten Weltkrieg hat schultern müssen, ein Witz angesichts der imperialen Mächte, die gemeinsam in diesen Krieg hineingeschlittert sind.
Der zweite Punkt: Die Demokratie war ausgerufen worden. Zwei Mal übrigens, sowohl von einem Sozialdemokraten Scheidemann (der den Namen damals noch verdiente) und dem Kommunisten Liebknecht. Beide hatten vollkommen unterschiedliche Vorstellung, wie Demokratie zu funktionieren hatte. Der Sozialdemokrat Scheidemann setzte sich letztlich durch, Deutschland wurde zu einer parlamentarischen Demokratie mit starkem Präsidenten. Trotzdem gab es natürlich Streit. Ebenso mit den Monarchisten, die den Kaiser wiederhaben wollten. Auch wenn der den Krieg verloren hatte, lebte der noch recht junge Mann in den nahen Niederlanden. Den wollten also viele zurück.
Bei diesen Ausführungen bin ich noch nicht bei den Rechten angelangt. Die NSDAP entstand gerade erst, gespeist durch so viele gedemütigte Soldaten, die „ungeschlagen“ aus dem Weltkrieg zurückgekehrt waren.
Straßenschlachten zwischen Rechten und Linken waren keine Seltenheit, es gab Tote, zumeist aufgrund rechter Gewalt. Auch politischer. Morde waren an der Tagesordnung.
Zwischen diesen ganzen Extremen befanden sich auch moderate Parteien. Die aber letztlich zu wenige Menschen vereinen konnten. Das führte immer wieder zu schwachen Regierungen, ständigen Neuwahlen, instabilen Verhältnissen.
Vielleicht hätte es funktioniert, wenn nicht 1929 die Wirtschaftskrise gekommen wäre.

Über Nacht brach die Wirtschaft zusammen, Hunderttausende verloren ihren Broterwerb. Wie so oft in solchen Fällen gewinnen die Extremen, in diesem Fall die NSDAP. Der Rest ist Geschichte.
Hier aber befinden sich die größten Unterschiede zu heute.
Wir leben in einer gefestigten Demokratie; kein anderes System ist in Sicht, schon gar keine Monarchie. Will heißen, dass fast 90% aller Wähler Parteien aus den demokratischen Spektrum wählen. Nur 12,6 % machen es nicht, Tendenz fallend.
Auch über die Art der Demokratie, einer föderalistischen parlamentarischen Demokratie gibt es Konsens. Gerade jetzt, in der Krise, merke ich, wie stark doch die Bundesländer wirklich sind, wie mächtig auch Landesfürsten sein können.
Unsere Regierungen sind nach 1949, dem Gründungsjahr der Bundesrepublik, allesamt stabil gewesen. Staatskrisen gab es selten. Gerade in den letzten Jahrzehnten seit den 80ern, hatten wir nur vier Kanzler. Ich bin damit zwar nicht unbedingt einverstanden und sehe diesen Fakt als Zeichen von zu wenig gesellschaftlicher Dynamik, doch kann ich nicht leugnen, dass wir zum Inbegriff der Stabilität geworden sind.
Unser Ansehen in der Welt ist ebenfalls gefestigt. Vielleicht mögen uns nicht alle Menschen auf dieser Welt, aber es gibt schon einen gewissen Respekt vor der Leistung der letzten Jahrzehnte. Keine Demütigungen mehr, im Gegenteil, wir Deutschen kennen unseren Platz in Europa und auf der Welt ziemlich genau. Anders als damals jedenfalls.
Der Hauptpunkt aber: Unsere Wirtschaft ist ausgesprochen gesund. Trotz der wirtschaftlichen Krise, die uns durch Corona ereilte, sind wir noch immer auf einem guten Weg. Das liegt übrigens auch daran, dass unsere konservativ-sozialdemokratische Regierung einschließlich weiter Teile der Opposition sofort dafür gesorgt hat, die sozialen Folgen des wirtschaftlichen (sicher kurzfristigen) Niedergangs abzufedern. Und zwar nicht nur kosmetisch. Es wurde geklotzt. Und es wird weiter geklotzt.
Ich würde fast wetten, dass in einigen Monaten die Gewinner der Krise feststehen werden. Ich bin mir fast sicher, dass wir dazugehören werden. Und mit „wir“ meine ich die EU als Ganzes, denn dank der Griechenland-Krise von 2008 haben gerade die reichen Länder Europas gelernt, wie man es nicht macht. Auch hier wird ein Paket geschnürt, dass den südlichen Ländern helfen wird, die Krise zu verdauen. Somit kann dieses Virus noch etwas Positives bewirken: Das weitere Zusammenwachsen des Kontinents (für mich der faszinierendste auf der Welt, aber das sehe ich wahrscheinlich aus Ignoranz so). So wie ich denke, ist das auch dringend nötig, in einer Welt, die zunehmend aus Blöcken besteht. Es wäre an der Zeit für Europa, dieses endlich einzusehen und noch mehr an einem Strang zu ziehen.
Eines ist jedenfalls sicher: Anders als vor 100 Jahren profitieren bei uns nicht die Rechtsextremen von der Krise. Die Ursachen sind, wie oben dargestellt, vielfältig.
Der wichtigste Aspekt aber: Die Menschen werden nicht alleine gelassen. Und siehe da, dann wenden sie sich auch nicht den Extremen zu.
Wenn ich ganz gemein wäre, könnte ich sagen, dass sich unsere Gesellschaft solidarisiert und auch sozialdemokratisiert hat. Aber das würde ich höchstens denken, aber niemals sagen.
Huch. Ich habe es gerade geschrieben.
Naja.
Das gilt übrigens allgemein, auch wenn die Automobilindustrie dieses Mal leer ausgeht und keine Abwrackprämie bekommt.
Eine Entscheidung, die mich diebisch gefreut hat.

Hier ein Link zum Coronavirus-Update mit Prof. Drosten.