Voll koloriert

Wir warten weiter. Und das im Grunde auf alles.
Auf eine Impfung, auf Schnelltests, auf weitere Öffnungen, auf Urlaub, Restaurants und Cafés, und selbstverständlich auf den Frühling, der sich so rargemacht hat, dass ich es fast schon als Frechheit empfinde.
Anders als vor zwei Tagen, als der Frust mich doch ein wenig übertölpelt hat, bin ich aber wieder etwas ruhiger. Und vor allem geduldiger.
Das hat einen Grund: Inspiration. Durch das, was andere Menschen vor uns überstanden haben.

Ich habe in den letzten Tagen öfter YouTube-File angesehen, Schwarz-Weiß-Aufnahmen, die jemand in mühevoller Arbeit nachkoloriert hat. Das Erstaunliche dabei ist, dass Menschen trotz der damaligen Moden genauso aussahen wie wir heute und sich auch genauso bewegt haben. Das ist keine grandiose Erkenntnis, denn Evolution wird in einigen Jahrzehnten nicht stattgefunden haben, um merkliche Veränderungen hervorzubringen.
Es sind also die typischen Filmaufnahmen, die mich immer diesbezüglich beeinflusst haben. Leute bewegen sich anders auf alten Filmen, weil die Technik noch nicht so gut war. Und natürlich spielt es auch eine Rolle, dass die Filme nicht in Farbe gedreht wurden.
Jetzt aber sah es alles so echt aus. Ich habe einen Film aus den 20ern gesehen, nicht einmal eine Minute lang, eine Szene mit der Friedrichstraße in Berlin im Hintergrund. Alles in Farbe und, vor allem, stabilisiert, wodurch die sonst zackigen Schritte und unnatürlichen Bewegungen beruhigt wurden. Ich hatte wirklich den Eindruck, dass sich das heute noch so abspielen könnte. Auch das keine weltbewegende Weisheit.
Aber weitergedacht (ein kleiner Gedankensprung): Menschen in den 20ern hatten gerade einen der grausamsten Kriege der Menschheitsgeschichte hinter sich. Und einen noch viel Schlimmeren vor sich, von dem sie vielleicht sogar schon etwas ahnten. Also dachte ich weiter: Was mag in diesen Leuten vorgegangen sein? Wahrscheinlich haben sie wie heute das Leben einfach gelebt. Etwas anderes geht ja im Grunde auch nicht, denn man kann sich nicht aussuchen, wann man geboren wird. Akzeptanz der Situation ist wichtig, was nicht heißt, dass man alles hinnehmen muss.
Wieder etwas weitergedacht: Wie war es für diese Leute, als sie endlich alles überstanden hatten? Als sich nach ’45 die Situation beruhigte, nach den schlimmen Jahren sich sogar so etwas wie Wohlstand und Sicherheit einstellte?
Und: Werden wir etwas Ähnliches auch erleben? Vielleicht das Hochgefühl, wenn alles wieder normaler wird? Wenn wir andere Menschen sehen können, uns bewegen können, wie wir wollen, ohne immer auf die anderthalb Meter Abstand achten zu müssen, wenn das Leben als solches wieder etwas planbarer wird, wir uns also wieder auf Dinge freuen können, die wir machen möchten.
Das ist es, worüber ich mir Gedanken mache. Ich bin nicht sicher, ob es so kommen wird, scheinen mir doch die Debatten im Augenblick als vollkommen toxisch. Doch ein Schwung Positivismus, entstanden durch Impfungen und zurückgehende Ansteckungszahlen könnten solch eine Entwicklung auslösen. So hoffe ich zumindest. Das wäre jedenfalls etwas, worauf es sich lohnt zu warten. Geduld zu haben. Und auch noch ein bisschen zu leiden, auch wenn sich das in unkontrolliertem Meckern äußert.
Warten wir also ab, was passiert. Und darauf, dass die Impfwelle endlich richtig durchstartet. Denn daran wird es letztlich liegen.
Ohne Medizin keine Normalität.
Auch das keine Weisheit, sondern ein Fakt.