Voll virtuelle Flucht

Ich könnte über so Vieles schreiben.
Über die miserable Stimmung, die sich allmählich in der Republik breitmacht. Oder die Tatsache, dass ein weiterer Impfstoff, Johnson und Johnson, nicht mehr ausgeliefert werden darf, weil ebenfalls Thrombosefälle aufgetreten sind. Oder die Eigenart, dass die Zahl der Impfungen wieder sinkt, was ich nicht verstehe. Oder den Streit um die Kanzlerkandidatur zweier Alphamännchen in der „Christlichen“ Union, die die Pandemie offensichtlich nicht mehr interessiert.

Nein, das ist alles zu deprimierend.
Um nicht selbst in Trübsal zu versinken, habe ich mir morgens angewöhnt, nur noch kurz die Nachrichten zu überfliegen. Nach einer Yoga-Session und noch vor der Arbeit beruhige ich mich neuerdings damit, Leuten beim Autofahren zuzusehen. Ich weiß nicht warum, aber das entspannt mich ungemein. Es ist Jahre her, dass ich selbst Auto gefahren bin. Seit der Abschaffung meines Wohnmobils 2013 habe ich eine solche Erfahrung nicht mehr machen dürfen. Gerade das Fahren durch fremde Orte ist dabei immer interessant gewesen, ich wusste gar nicht, wie sehr ich das vermisst habe.
Eine Webseite bietet so einen „Service“ gerade virtuell an. Nizza, Prag, Miami, und noch so viele mehr. Die Aufnahmen sind allesamt von bestechender Qualität. Dazu kann man Radio hören, sich regionale Sender aus der Gegend aussuchen. Also tatsächlich fast wie im Auto. Ich bin schon virtuell durch die Corniches an der Cote d’Azur gefahren, auch durch Prag und Rom.
Ich kann gar nicht genug betonen, wie sehr mich das freut, diese Seite gefunden zu haben. Sie versetzt zurück in die Zeit meiner Europa-Tour 2010. Ich bin fast 30.000 Kilometer gefahren, und das in nicht einmal elf Monaten, von Marokko bis in die Türkei, dann nach Sizilien. Es scheint ein Trip aus einer anderen Epoche zu sein, denn ich reise jetzt anders. Eben ohne Auto. Ich bin aber an dem Punkt, an dem ich fast nostalgisch zurückschaue. Auf eine „bessere“ Zeit, die natürlich besser ist, weil wir damals eben keine Pandemie hatten. Und auch keinen politischen Rechtsruck in demokratischen Ländern. Alles schien einfacher, aber das lag wahrscheinlich eher daran, dass mich Politik damals nicht sonderlich interessiert hat. Jetzt dringt es durch jede Faser des öffentlichen Lebens, zwangsläufig, denn auch das Virus ist mittlerweile politisch.
Egal.
Ich fahre gerade durch Barcelona. In der Mittagspause. Ich erkenne Orte wieder, die ich das letzte Mal vor 11 Jahren gesehen habe. Ich weiß, dass ich im Moment nicht hinreisen kann. Aber vielleicht ist es ja trotzdem Inspiration dafür, was eines Tages wieder möglich sein sollte, auch wenn ich es nicht wage, daran zu denken. Es scheint so weit weg, die Welt ist größer geworden in den letzten Monaten, viele Orte nun unerreichbar. Und das ist etwas, das ich extrem bedaure.
Aber es wird sicher der Tag kommen, an dem wir wieder ausbrechen können aus unseren inzwischen winzigen Lebensbereichen.
Doch daran ist im Moment nicht zu denken.
Lieber also nochmal die Corniches entlangfahren. Ist besser so.

Anmerkung: Ich kann die Videos nicht einbinden, aber hier geht es zur Webseite.

Und wer es nur auf Youtube sehen will, kann sich zumindest Barcelona ansehen. Und die anderen Städte auch.