Voll (Wetter-) Wechsel

Ich kann mich an eine Lesung erinnern. Damals noch via CD.
Hermann Hesse sprach, als alter Mann, über das Vergehen von Blumen in seinem Garten an der Schwelle zwischen Herbst und Winter. Er, ein Mann, der immer versucht hat, alles im Leben loszulassen, damit er sich neuen Räumen zuwenden kann, konnte vom Sommer nicht lassen. Und von seinem blühenden Garten, ein Umstand, der ihn, wenn ich mich recht erinnere, ziemlich wunderte.
Mich wundert so etwas hingegen nicht.
Denn gestern ging es mir ähnlich.

Eigentlich wollte ich noch eine Woche länger in der Datsche bei Gräbendorf bleiben, die letzten Tage waren jedoch derartig kalt und unangenehm, dass es keine Freude war. Die letzten Nächte verbrachte ich dort mit Schlafsack und mehreren Wolldecken im ungeheizten Schlafzimmer, besonders das Aufstehen am Morgen fürchtete ich, weil es so erbärmlich kalt war. Die klammen Finger hielten dann immer die viel zu schnell auskühlende Teetasse, während ich versuchte, mich vor dem gesundheitlich bedenklichen Gasofen zu wärmen, bei geöffnetem Fenster, um nicht an einer Kohlenstoffmonoxidvergiftung zu sterben.
Nein. Das war kein Zustand. Daher bin ich gestern spontan abgefahren. Auch weil es in der Nacht gefroren hat und die Leitungen außen dieser Kälte ausgesetzt waren. Ich habe es durch heißes Wasser verhindert, das zumindest die Leitungen so bedampfte, dass sie nicht zufroren. Besonders die frühen Morgenstunden waren diesbezüglich gefährlich.
Zeit also, das Wasser abzustellen. Um das Bersten zu verhindern.

Ich muss es geahnt haben, denn ich hatte alle anstehenden Arbeiten um Haus und Garten herum in den Tagen zuvor erledigt. Den karge Rasen habe ich ausgeharkt, Moos und Laub beseitigt, dann neuen Rasen gesät. Der musste eingeharkt werden. Eine ziemliche Arbeit auf einem Grundstück von 800 Quadratmetern.
Vorher hatte ich noch die Büsche beschnitten und alles Gehölz, das klein genug war, gehäckselt. Und, vielleicht das Wichtigste: Das Haus musste abgedichtet werden. Zwischen Wintergarten und Hütte hatte sich im Laufe der Jahre eine Spalte gebildet. Und hier fließt fröhlich das Wasser ins Innere, eher zwischen den Wänden übrigens, also kein Zustand. Wer schon mal mit vor Kälte steifen Fingern auf einem Dach gestanden hat, um eine Regenrinne abzuschrauben, weiß vielleicht, welche Flüche man dabei erfinden kann.

Nun, ich übertreibe natürlich ein bisschen. Aber es war eine unangenehme Arbeit, die ich eigentlich im Sommer habe durchführen wollen, zu der ich aber immer zu faul gewesen war. Strafe musste also sein. Ein bisschen zumindest. Semi-Handwerker Klaus wollte ich nicht anrufen. Etwas Stolz habe ich noch. Ich kann das alleine.
Wir werden sehen, wie lange es hält, ich schätze, dass ich das alles nächstes Jahr wieder machen werde. Es gibt so viele Arten von Silikon. Ich ahne, welches ich verwenden muss. Das hatte ich natürlich nicht.
Sei es drum, dieses Jahr wird es schon irgendwie halten.

Die Blumen aber im Garten waren noch nicht vergangen. Besonders viele Wunderblumen standen noch in voller Blüte. Ich habe trotzdem einige herausgezogen, um die Knollen aufzubewahren. Andere ließ ich einfach stehen. Soll doch der Winter für das natürliche Vergehen der Pflanzen sorgen. Bei der Kapuzinerkresse ebenfalls. Mit den üppig sprießenden Blüten hatte ich noch diese Woche meine Salate veredelt. Ebenso mit den Kräutern.
Der Feigenbaum schien auch noch frisch, voller Blätter, die er im Winter abwirft.
Ich konnte mich also schwer trennen.
Nicht nur von den Blumen, auch vom Grundstück dieses Jahr, das uns durch die Corona-Zeit gebracht hat. Als Ort des Ausbruchs in einem urlaubsfreien Jahr, als Tapetenwechsel, wenn wir die eigenen vier Wände nicht mehr sehen konnten.
Das ist jetzt vorbei.
Die letzten Jahre war ich noch viel länger draußen geblieben. Bis Ende Oktober, mit Tagen voll Wärme und Sonne. Und, vor allem, noch recht laue Nächte.
Dieses Jahr also nicht.
Aber ich will mich nicht beschweren.
Es war eine gute Zeit, die wir hier haben verbringen können.
Den kommenden Monaten aber sehe ich mit wenig Freude entgegen. Die Corona-Zahlen steigen in Berlin und es wird sicher nicht lange dauern, bis wir wieder strengen Maßnahmen entgegensehen. Auch ohne diese werden wir vieles nicht machen können. Café- und Restaurantbesuche stehen nicht auf dem Programm, kein Kino (nicht so schlimm, es gibt ja Netflix), vielleicht ab und zu mal ein Museumsbesuch, wenn wir es gut planen.
Und dann die Dunkelheit, die immer aufdringlicher wird.
An Weihnachten möchte ich dabei noch gar nicht denken.
Ein bisschen gespannt aber bin ich trotzdem. Denn irgendwie müssen wir etwas aus der Zeit machen, die uns gegeben ist. Vielleicht wird es ganz nett. Anders als sonst.
Mal sehen.
Und nach Gräbendorf fahre ich in vier Wochen sowieso wieder. Schließlich muss ich die Blumen ja noch abschneiden und Feige und Oleander winterfest machen.
Pfiffig, nicht gleich alles erledigt zu haben.
Und vielleicht wird es ja ein warmer Winter.
Dann spricht nichts gegen einen Aufenthalt im Garten.
Wenn auch nur tageweise.

Hier ein Link zum Coronavirus-Update mit Prof. Drosten.