Voll kaufhauslos
Also gerechnet habe ich damit schon seit Jahren.
Man mag es kaum glauben, aber ich bin in Tempelhof-Berlin aufgewachsen. In den 70ern geboren, lebte ich dort bis 1991. Eine Konstante war dabei das Kaufhaus Karstadt am T-Damm.
Es war immer da, wenn man etwas brauchte. Sie hatten alles, zumindest das meiste. Natürlich immer mindestens mittelpreisig, oft auch hochpreisig, aber wir kannten es damals einfach nicht anders.
Ich zog dann irgendwann in den Wedding.
Da war es auch. Zwar etwas weiter entfernt, am Leopoldplatz, ich wohnte U-Bahnhof Rehberge, trotzdem war ich schnell dort. Zwei U-Bahnstationen sind nicht wirklich weit. Auch hier hat es mich begleitet.
Ich werde nicht vergessen, wie die Verkäufer sich oft verhielten. Hochnäsig, arrogant, manchmal liefen sie sogar vor Kunden weg oder schimpften auf sie, hörbar für alle.
Ein Lächeln bekam man nur selten, einen mitleidigen Blick allerdings schon öfters. Der schien Voraussetzung für die Einstellung dort.
In den letzten Jahren stand Karstadt schon oft vor der Pleite. Ausgenommen vom Investor Berggrün machte sich der Neue, ein Österreicher mit dem Namen Benko, daran, wirklich etwas zu verändern. Tatsächlich wehte ein neuer Geist durch die ehrwürdigen und etwas verstaubten Verkaufshallen.
Die Verkäufer wirkten bodenständiger, lächelten öfter, doch dann und wann erwischte man noch einen vom alten Schlag und wusste, dass man wieder da war, wo man hingehörte. Im Konsumentendreck.
Online hingegen war Karstadt eine Katastrophe. Der Shop wirkte antiquiert, tippte ich „Topf“ ins Suchfeld, schlug mir die Maschine Tischdecken vor. Oder so ähnlich.
In den Untiefen des Angebots gab es alles, man fand es nur nicht.
Daher traf die Coronakrise das Kaufhaus mit ganzer Härte. Schrieb es schon vorher rote Zahlen, wurden diese nun tiefrot. Lange Rede, es war nur eine Frage der Zeit, bis geschah, was geschehen musste. Gestern wurde die Entscheidung verkündet, 62 Filialen deutschlandweit zu schließen.
Natürlich auch die in Tempelhof, wo ich seit zehn Jahren wieder wohne. Auch die im Wedding, neben sieben von zwölf in Berlin.
Es ist dringend notwendig. Diese Dinosaurier aus vergangenen Tagen haben es eben einfach nicht geschafft. Kein Mensch braucht sie noch. Amazon hat alles, günstiger und besser.
Und doch geht eine Ära zu Ende.
Einfach mal aus dem Haus springen und etwas einkaufen, das gerade fehlt. Das war einmal. Auch wenn ich weiß, dass es unausweichlich war, schauen wir jetzt in den Konsumabgrund.
Aber nicht nur das.
Karstadt war noch irgendwie ein Highlight am T-Damm, der in den letzten Jahren immer weiter herabgesunken ist. Eingenommen von arabischen Clans, die in Wetthöllen, Shisha-Bars und Herrensalons ihr Geld waschen, emporspringende Nagel- und Sonnenstudios, Euroläden, deren Produkte neuerdings 1,10 Euro kosten (muss nun der Name geändert werden?) machten aus diesem Teil Tempelhofs eine Abstiege sondergleichen.
Karstadt ragte dabei noch heraus, brachte auch ein anderes Publikum heran.
Das ist nun vorbei.
Ich glaube, das ist es, was ich am Meisten fürchte. Der weitere Abstieg des Bezirks. Einst bürgerlich, heute mehr und mehr heruntergekommen.
Alles wird auf die Nachnutzung ankommen. Künstler und Bars könnten die Gegend beleben. Ich denke aber nicht, dass das geschehen wird. Zu teuer wird die Miete in dem erst vor kurzem renovierten Gebäude der bald ehemaligen Karstadt-Filiale sein.
Wir werden sehen.
Bevor die Tore endgültig schließen, werde ich nochmals vorbeischauen. Um noch einen letzten herabwürdigenden Blick eines arroganten Verkäufers zu erhaschen.
Dann weiß ich wenigstens, wo ich hingehöre.
Und diese ehrliche Einschätzung wird mir am Meisten fehlen.
Hier ein Link zum Coronavirus-Update mit Prof. Drosten.