Voll Weihnachten?

Es waren wirklich surreale Tage.
Letzte Woche hatte ich bereits am Montag und Dienstag dafür gesorgt, dass alles im Haus war, was wir für die Feiertage brauchen würden. Am Dienstag war mein Einkauf allerdings bereits grenzwertig, die heiligen Hallen der ehrwürdigen Edeka gefüllt mit potentiellen Viren und Menschen, die mir für meinen Geschmack viel zu nahe kamen, waren keine besonders große Freude.

Dann, am 24.12., geschah … nichts. Ehefrau Nina hat wie jedes Jahr den Baum geschmückt, dabei eine Tasse Glühwein nach der anderen konsumiert. Was soll man auch sonst machen? Weihnachtlich war uns hingegen kaum zumute. Einen Vorteil hatte dieses Prozedere: „Last Christmas“ von Wham mussten wir uns nicht antun.
Sonst haben wir um diese Zeit immer recht volles Haus, zumindest ist Schwester Franzi und Verlobter Endri da, so dass es in der Wohnung nicht still ist. Dieses Jahr war der Gegensatz jedoch gewaltig. Diese Ruhe, die so künstlich war, dass ich sie beinahe greifen konnte, wirkte fade und leer. Ich hatte frei, und doch ging mir diese freie Zeit auf die Nerven. So viele nutzlose Minuten habe ich selten verbracht, konnte aber auch keine Möglichkeit finden, das zu ändern. Wie bleiern lag diese Weihnachtszeit auf mir, auch an den folgenden Tagen.

Am Abend dann aßen wir via Zoom gemeinsam mit Schwester Franzi und Verlobtem Endri. Es war schön. Allerdings empfinde ich diese Zoom-Meetings als etwas anstrengend. Ich weiß auch nicht warum, wahrscheinlich, weil ich das Gesagte manchmal nicht so gut verstehen konnte. Die Lautsprecher meines Android-Tablets sind alles andere als perfekt. Trotzdem machten wir das Beste daraus.

Der erste Feiertag dann war noch skurriler.
Schon früh machten wir uns auf den Weg zu Schwiegermutter Ellen nach Spandau, eine 45-minütige Fahrt in der U-Bahn. Es war das erste Mal seit Monaten, dass wir uns in die öffentlichen Verkehrsmittel der Hauptstadt begeben hatten. Aber das war nicht das Verrückteste. Um Schwiegermutter Ellen zu schützen, hatten wir uns entschieden, nur ein bisschen Spazieren zu gehen. Einmal um den Block, was wir auf eine Stunde ausdehnten. Noch heute halte ich diese Aktion für absolut gerechtfertigt, aber es schmerzt schon ein wenig. Statt eines vegetarischen Bratens und wohliger Wärme liefen wir in stechender Kälte durch seelenlose Straßen der Spandauer Mietskasernen-Quartiere. Wenigstens haben wir Schwiegermutter Ellen sehen können, nach Monaten das erste Mal.
Am Abend dann hatten wir einen Zoom-Glühwein mit Bruder Alex (und Anhang) und wieder Schwester Franzi (ebenfalls mit Anhang). In diesem zweisprachigen Zoom-Meeting versuchten wir, eine Spur von Normalität wiederzufinden. Und ein bisschen ist es uns auch gelungen.
Danach aber war ich vollkommen fertig. Physisch und psychisch wirklich erschöpft, eine Schwäche, die sich merkwürdigerweise erst heute, also drei Tage später, wieder einigermaßen gelegt hat.
Vielleicht lag es am Wetterwechsel. Ich schiebe so etwas eigentlich immer darauf.

Der zweite Feiertag hingegen ist nur ein verschwommenes Etwas. Vollgefressen mit viel zu vielen selbstgebackenen Plätzchen und verkatert vom Gesöff der Vortage, gammelte ich vor mich hin und fühlte mich fett. Wirklich. Ich glaube auch, ziemlich schlecht gelaunt gewesen zu sein. So genau weiß ich das nicht mehr, es scheint alles so undeutlich. Auch wenn es erst zwei Tage her ist. Wir haben uns eine neue Version von „Christmas Carol“ angesehen, eine Verfilmung mit Guy Pearce. Auf den BBC ist immer Verlass. Eine sehr gute Verfilmung, die vielleicht beste, die ich kenne. Und ich kenne einige.

Gestern, am Sonntag, hatte ich dann genug von Feiertagen. Ein merkwürdiges Gefühl von Unvollendung hatte sich endgültig breitgemacht. Der Berliner Himmel war über die ganze Zeit hinweg grau und düster geblieben, was sicher auch nicht zu bester Laune geführt hat. Aber das sind Ausreden.

In einigen Tagen geht es wieder los, wieder vier freie Tage. Dann steht Neujahr ins Haus. Immerhin haben gestern die Impfungen begonnen, so dass wir ernsthaft gute Hoffnungen haben können, dass sich so etwas wie 2020 nicht noch einmal wiederholt.

Ich glaube, dass ich das alles ziemlich schnell vergessen werde, wenn es erst einmal vorbei ist. Es war ein „freak year“, eines, das wir wahrscheinlich in dieser Form nicht noch einmal erleben werden. Aber darüber zu spekulieren, ist im Augenblick noch müßig. Ich jedenfalls hoffe jetzt darauf, dass ich bald mal wieder unterwegs sein kann. In meinen Gedanken bin ich in letzter Zeit so oft bei meiner letzten Reise ins Périgord, die immerhin auch schon fast drei Jahre zurückliegt, welche aber in meinen Erinnerungen noch wundervoll lebendig ist. Manchmal reise ich im Geiste auch nach Sifnos, wandere dann auf die Berge über Kamares hinaus, um dort dieses einmalige Panorama zu genießen.
Es wird Zeit, dass ich wieder etwas planen kann. Dass ich mich wieder vorbereiten und, bevor ich hinfahre, Reisen bereits genießen kann. Und dann nochmal, wenn ich sie erlebe. Und wieder, wenn ich sie aufbereite, um die Eindrücke in welcher Form auch immer zu veröffentlichen.
Und dass wir uns wieder mit Menschen treffen können. Nicht oft, aber manchmal. Denn auch einem Schizoid-Gestörtem wie mir geht diese vollkommen kontaktlose Zeit langsam auf die Nerven.
Also, los geht es. Von mir aus kann die Impfung kommen.